11. Bahnhof Burbach, Hochstraße (ein Ersatzort für die Adresse Wilhelmstraße 12 in Burbach)

1947 wurde die Wilhelmstraße in Hochstraße umbenannt; das Haus Nummer 12 gibt es nicht mehr. Hier wohnte Witwe Josef Bollinger, die Mutter der Brüder Heinz und Wilhelm Bollinger. Willi Graf besuchte die Brüder in deren Wohnung und führte während seiner letzten Aufenthalte in Saarbrücken auf der Suche nach Unterstützern im Widerstand hier wichtige Gespräche. „Am Morgen besuche ich Fam. Bollinger. Wir sprechen über Freiburger Verhältnisse, dann verstehen wir uns aber rasch, sind uns ganz einig.[1]  Am 22. Januar 1943 übernachtet Willi Graf in dieser Wohnung bei Wilhelm Bollinger, bevor er am nächsten Morgen nach Freiburg weiterreist. Beide Bollinger-Brüder haben ihre Unterstützung zugesagt. Heinz Bollinger erinnerte sich nach dem Krieg: „Bei den Gesprächen in meiner Wohnung in Saarbrücken Ende Dezember 1942 wußten wir uns einig in der Auffassung: daß der Krieg schon verloren sei und daß der Krieg nicht gewonnen werden dürfe; daß aktiver und passiver Widerstand geleistet werden müsse, entgegen der Auffassung der Kirchen, untertan sein zu müssen gegenüber der obrigkeitlichen Gewalt, auch wenn sie böse ist; daß wir die Waffen, die wir uns beschafften, auch gebrauchen wollten und daß unser Hauptziel die Tötung Hitlers sei.(…) Willi erklärte mir die Auffassung der Münchener Gruppe: Der Krieg an der Front müsse zu Ende gehen, indem die Generäle sich mit den Alliierten verständigten und in Richtung Heimat marschierten, um die Nazis zu überwinden. Das sei dann die Stunde der örtlichen Widerstandsgruppen, die überall sofort die Nazi-Befehlszentralen beseitigen müßten, was aber sorgfältig, auch psychologisch (deshalb die Flugblätter) vorbereitet werden müsse. Jede Gruppe brauche einen Vervielfältigungsapparat und Geld für die Flugblätter, die mit der Post zu verschicken seien.“ [2] Auch Wilhelm Bollinger hinterließ eine Erinnerung an seine letzte Begegnung mit Willi Graf: „(…) Wir waren uns durchaus bewußt, daß das, was getan werden mußte, äußerst gefährlich war und daß jeder Einzelne mit sich selbst zu Rate gehen mußte, ob er bereit sei, für dieses Tun sein Leben zu opfern. Es sollte bewußt eine geistige Revolution sein, die Überwindung des Nationalsozialismus durch den Geist und durch die moralische Haltung des einzelnen. Solange ich Willi kannte, war er kein Enthusiast gewesen, der sich emotionell zu Dingen hinreißen ließ, die er später nicht hätte verantworten und billigen können.  Das, was wir an jenem wie Abend zu tun beschlossen, erschien uns von der gleichen logischen Konsequenz wie das Essen und Trinken. Die geistige Verpflichtung dazu war so bindend, daß es davon kein Entrinnen mehr gab. An diesem Abend wurden die Chancen, ob diese geistige Revolution Erfolg haben könnte oder nicht, so nüchtern berechnet wie in einer Mathematikstunde. Da wir aber als Christen die Überwindung des Bösen durch den Tod kannten, erschien uns der primäre Erfolg gar nicht einmal so wichtig, sondern wir glaubten, daß es Zeit sei, diesen geistigen Protest zu beginnen, weil unser Gewissen uns dazu verpflichtete. Am Morgen bevor wir uns trennten, erzählte ich Willi noch einen Traum, den ich in der Nacht hatte, in welchem der Tod wie in einem Holbein-Gemälde versuchte, uns umzumähen, und wir trennten uns so, als ob es für immer wäre.“ [3]


[1] Tagebuch 27. Dezember 1942. – Zit. nach Willi Graf, Briefe und Aufzeichnungen, Frankfurt am Main 1988, S. 91
[2] Bericht Heinz Bollinger, zit. nach Vielhaber/Hanisch/Knoop-Graf,  Gewalt und Gewissen, S. 29
[3] Bericht Wilhelm Bollinger, zit. nach Vielhaber/Hanisch/Knoop-Graf, S. 99