Frank P. Meyer

geb. 17. Nov. 1962 in Hermeskeil

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Bei Lesungen ist er schon zweimal gefragt worden, ob das denn, wenn er über das Nordsaarland schreibt, überhaupt „richtige Literatur“ ist. Frank Meyer lässt sich nicht irritieren, „alles Menschliche ist hier genauso groß oder klein wie anderswo“, sagt er. Und dann ist da ja auch dieses „Wurzelgefühl“, seine Verbundenheit mit der Region und seiner Heimatgemeinde Primstal, die immer eine Rolle spielt – sogar, wenn der Ort der Handlung Oxford ist.

Frank Peter Meyer wächst in Primstal (Gemeinde Nonnweiler) auf, besucht dort die Volksschule und wechselt anschließend auf das Gymnasium nach Hermeskeil. „Ein erster Kulturschock“ – weil im Unterricht Hochdeutsch gesprochen wird. Untereinander pflegen die Schüler aus den Hunsrückdörfern aber ihre „vielen wunderbaren Dialekte.“ Meyer: „Ich liebe alle Arten von Dialekten.“

1982 macht er Abitur, leistet seinen Wehrdienst ab und beginnt im Winter 1983 ein sprach- und literaturwissenschaftliches Studium an der Uni Trier (Anglistik, Germanistik, Niederländische Philologie). 1990 Magister-Abschluss. Im Anschluss fängt er an, Material für eine Dissertation zu sammeln, und geht 1991/92 als Stipendiat ans Jesus College, Oxford.

1992/93 absolviert Meyer ein Volontariat beim „Luxemburger Wort“, kehrt dann aber in den akademischen Betrieb zurück. Von Ende 1993 bis 99 arbeitet er als Wissenschaftlicher Mitarbeiter (Institut für Angewandte Sprachwissenschaft) an der Uni Hildesheim. Dort 1999 Promotion zum Dr. phil. Er steht nun vor der Entscheidung, entweder die akademische Laufbahn weiter zu  verfolgen (Meyer: “…den Rest meines Lebens hochspezialisierte Linguistik zu betreiben“) oder das Angebot der Uni Trier anzunehmen, dort die Studienberatung zu übernehmen. Meyer entscheidet sich für diese Option („ein sehr abwechslungsreicher, sinnvoller Job“).

Erste literarische Veröffentlichungen fallen schon in seine Studentenzeit in Trier. Meyer schreibt Gedichte und Kurzgeschichten, die u.a. in der Zeitschrift „literamus“ (Hrsg. Hans Greis und Erwin Otto) erscheinen. In seiner Hildesheimer Zeit übersetzt er, zusammen mit Angharad Price, Kurzgeschichten aus dem Walisischen („Tee mit der Königin“, 1996) und schreibt weiter Kurzprosa, die im Bertuch-Verlag, Weimar, erscheint: „Raum 101 – Erzählungen über Männer“, 2005, und „Es war mir ehrlich gesagt völlig egal“, 2008.

Bereits in den Erzählungen werden Koordinaten gesetzt und Themen angesprochen, die der Autor auch künftig beibehält und weiterentwickelt: das Experimentieren mit Erzählperspektiven ist ihm wichtig, seine Protagonisten findet er oft unter den Vertretern der Baby-Boomer-Generation, und nicht zuletzt siedelt er seine Geschichten gerne im dörflichen Milieu mit seinen Traditionen und Ritualen an.

Drei Kindsköpfe und eine kluge Frau

2012 erscheint Meyers erster Roman, „Normal passiert da nichts“. Im Zentrum: eine Männer-WG im Primstal des Jahres 1999, die zunächst aus zwei Einheimischen und einem Belgier besteht und schließlich noch eine junge Frau unter dem Dach ihres traditionellen Trierer Einhauses aufnimmt. Diesen Vier ist eins gemeinsam: Sie sind ohne ihre (leiblichen) Väter aufgewachsen, ohne männliche Vorbilder. Die Abwesenheit der Väter/Großväter sieht Meyer als typisch für eine (nord-)saarländische Kindheit in den 1960er und 70er Jahre. Damals arbeiten viele Männer in den Kohlegruben und Stahlwerken im südlichen Landesteil, sie verlassen ihre Familien früh morgens mit dem Grubenbus, übernachten womöglich sogar im Schlafhaus. Ihre Söhne wüchsen unter Frauen auf, blieben in gewisser Weise orientierungslos. Vielleicht ist es auch diese Plan- und Ziellosigkeit, die sein Quartett der Endzwanziger auf die wahnwitzige Idee bringt, die Trierer Uni-Mensa zu überfallen? „Normal passiert da nichts“ ist eine moderne Variation des Schelmenromans; sie vereint Humor und Spannung und kehrt doch immer wieder zurück zu grundlegenden Fragen den Wandel der dörflichen Welt und die Zukunft ihrer Menschen betreffend.

Das Vater-Sohn-Thema hat Meyer schon in seiner Kurzgeschichte „Die Jäger“ (2005) behandelt, und er wird es 2016 auch in seinem zweiten Roman, „Hammelzauber“ wieder aufgreifen

Heimat Saar-Hunsrück

Primstal ist eine Gemeinde mit zweitausend Einwohnern. Man kennt sich, weiß seine Mitbürger einzuordnen. Und einmal „einsortiert“, bleibt man ein Leben lang in dieser Schublade. Auch wenn einer wie Frank Meyer zehn Jahre weg war, ist das, als wäre er nur mal kurz nicht da gewesen. Er ist und bleibt halt „der Meyer Frank.“ „Man kann hier auch nach Jahren nahtlos anknüpfen“, sagt er; es gibt „ein Langzeitgedächtnis.“ Die Stadt hat dagegen „eine angenehme Anonymität … die finde ich manchmal befreiend. Manchmal.“

Primstal ist für den Autor „nicht das Paradies und trotzdem immer ein Sehnsuchtsort.“ Und: „Diese Gegend ist mein Metier. Da muss ich nichts mehr recherchieren.“ Es genügt, mit zu leben und zu erleben; auch die unschönen Veränderungen. Etwa das Verschwinden der typischen Bauernhäuser (wie das der Wohngemeinschaft in „Normal passiert da nichts“). Meyer: „die Architektur, die noch bis in die 60er Jahre das Dorf geprägt hat, ist weg“. Schlimmer noch ist das Verschwinden der Traditionen, das Sterben der Vereine.

Meyers Großvater war noch in einem von drei Primstaler Gesangvereinen aktiv; heute, beklagt der Autor, haben die meisten Dörfer der Region überhaupt keinen Gesangverein mehr. Dabei hätte dieses Kulturgut in seinen Augen UNESCO-Welterbe-Status verdient. In seinem Roman „Normal passiert da nichts“ werden alte Bräuche und Feste noch zelebriert: von Hammeltanz und Hexennacht bis Kirmes und Maibaumsetzen. In „Vom Ende der Bundeskegelbahn“ (2022) ist es still geworden. Sogar der örtliche Kegelclub hat sich aufgelöst, die Bundeskegelbahn – Symbol des Vereinslebens – ist eingemottet worden.

Global Village oder: Exotik auf dem Land?

„Vom Ende der Bundeskegelbahn“ ist Meyers am stärksten satirisch geprägter Roman. Da muss ein Chinese kommen, um wieder Leben in die Gemeinde zu bringen! Um die Vereine wiederzubeleben und die fast vergessenen Bräuche. Für den Fremden mag das deutsche Dorf, die deutsche Kultur etwas Exotisches haben. Die Perspektive des Außenstehenden gibt Meyer Gelegenheit, unsere Sicht in Frage zu stellen, zu überzeichnen, zu konterkarieren. Für den Autor selbst hat das Dorf „überhaupt nichts Exotisches, deshalb will ich ja manchmal jemanden von außen draufgucken lassen, wie den Raffael (der Belgier in „Normal passiert da nichts“) oder den Wang, denn das macht ja erst den Spaß aus: wenn das jemand von außen sieht, wie muss denn der diese oder jene Tradition sehen?“ Exotisch, sagt Meyer, können uns unsere Bräuche nur werden, wenn wir aufhören, sie zu leben, lebendig zu erhalten.

Es scheint, als seien viele Dorfbewohner erstarrt, resigniert. Der Chinese Wang traut sich etwas, hat mehr Energie und Selbstvertrauen als die Einheimischen. Er kauft leerstehende Gebäude und eröffnet einen „Welthandel“. Er schafft Arbeitsplätze und er schafft es, die Schläfer zu mobilisieren. Wangs Engagement findet einen fulminanten Höhepunkt, wenn er mit „seinen“ Primstalern in China einen originalen Mosel-Saar-Ruwer-Weinberg anlegt. Und natürlich übernimmt er auch die Kegelbahn im Gasthaus „Zeggels“.

„Zeggels“

Primstal hat mehr als ein Gasthaus, aber für Frank Meyer ist „Zeggels“ unbestritten der zentrale Punkt des Orts und dem Autor „eine ständige Inspiration; fast hätte ich ‘Muse’ gesagt.“ Die Kneipe ist ein Symbol für den Kreislauf des Lebens. Hier wird alles gefeiert, von der Kindtaufe über die Hochzeit bis zur Ims, dem Leichenschmaus. „Im Laufe der letzten Jahre haben dort rauschende Integrationsfeste, ein Queen-unplugged-Konzert und eine Kabarett-Aufführung stattgefunden … Und natürlich gäbe es ohne „Zeggels“ keinen richtigen Kirmesmontag, denn der beginnt immer genau dort mit der Prozession zur Kirche. Im ‚Zeggels‘ ist sogar schon einmal ein Mord geschehen. In den 1920ern wurde jemand in der Kneipe erschossen; der Täter entkam über die nahe damalige deutsch-französische Grenze.“

Ungeklärte Todesfälle und polizeiliche Ermittlungen kommen in Frank Meyers Romanen auch vor – in „Vom Ende der Bundeskegelbahn“ oder im „Club der Romantiker“ (2018). Krimis sind diese Romane trotzdem nicht; allenfalls strukturelle Parallelen zum Trivialgenre lassen sich erkennen, das geschickte Zusammenführen loser Erzählstränge, die überraschende Auflösung eines Rätsels.

Von Primstal nach Oxford

Der „Club der Romantiker“ ist an der altehrwürdigen Universität von Oxford angesiedelt. Auf zwei Zeitebenen wird die Geschichte des Primstalers Peter Becker erzählt, der vor einem Vierteljahrhundert hier studiert hat und jetzt zu einem Ehemaligentreffen an sein College zurückkommt. Wie der Autor Anfang der 1990er Jahre, muss sich der junge Deutsche in einer fremden, komplizierten Welt mit ihren Regeln und Traditionen zurechtfinden. Und kann dabei tatsächlich auf Erfahrungen bauen, die er in seiner Heimatgemeinde gesammelt hat. Wer das Dorf Primstal verstehen und sich integrieren will, muss in ein paar Vereinen aktiv werden: Obst und Gartenbau, Gesangverein, Fußballclub… Auf Oxford übertragen heißt das: Peter Becker besucht einen Debattierverein, einen Ruderclub und einen literarischen Zirkel, den „Club der Romantiker“.

Wieder nutzt Meyer die Außensicht, die Perspektive des Fremden, um das Besondere des Orts zu entdecken. „Eigentlich schreibe ich deshalb so gern“, sagt Meyer, „weil ich es liebe, mit Perspektiven zu spielen.“ Die probiert er immer wieder aus, schreibt zwei, drei Kapitel eines neuen Romans aus verschiedenen Blickwinkeln, bevor er sich für eine Erzählperspektive entscheidet – oder mehrere.

Ähnlich arbeitet der Autor, wenn es darum geht, „Klarheit in einen Text zu bringen, das richtige Wort, die Nuancen zu finden“. Er nutzt seine Sprachvergleichsmöglichkeit, übersetzt hin und her vom Englischen ins Deutsche ins Niederländische. Oder vom Hochdeutschen in seinen Dialekt und zurück. „Sehr oft ist mein erster Gedanke: Wenn ich’s auf Primstalerisch sage, würd‘ ich’s so sagen. Manchmal ist es auch umgekehrt: Auf Hochdeutsch kann man das ja noch differenzierter ausdrücken.“ Und wenn in keiner Sprache das „mot juste“ zu finden ist, dann prägt er einen Neologismus.

pmk.