Karsten Dümmel
geb. 1960 in Zwickau
Dr. Karsten Dümmel, bis 1988 in der DDR lebend, war als Bürgerrechtler ein Opfer der Stasi und befasst sich in Sachpublikationen wie auch in Romanen mit deren Wirken.
In der DDR ist Dümmel wegen seines Engagements in kirchlich-oppositionellen Kreisen ab 1984 systematischen Zersetzungsmaßnahmen der Stasi ausgesetzt. 1988 wird er von der Bundesregierung freigekauft. Er holt das ihm bis dahin verwehrte Studium nach, promoviert in Tübingen, ist seit 1997 in der Erwachsenenbildung der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) tätig, bevor er im Januar 2019 Landesbeauftragter der KAS im Saarland und Leiter von deren Politischem Bildungsforum wird.
Im Einzelnen ist zu seinem Werdegang auf seiner Homepage nachzulesen: Mit 15 Jahren Mitglied des Arbeitskreises „Junge Talente“ Gera (fünf eigene Ausstellungen bis 1978); 1976 – 1978 Berufsausbildung zum Elektromonteur im Uranbergbau in Schlema; Februar 1977 Gründungsmitglied des Arbeitskreises „Kunst und Kirche“ in Aue/Schlema; Februar 1978 Auflösung des Arbeitskreises durch das Ministerium für Staatssicherheit (Stasi); Juli 1978 offizieller Austritt aus der FDJ (Freie Deutsche Jugend), der DSF (Gesellschaft für deutsch-sowjetische Freundschaft), dem FDGB (Freier Deutscher Gewerkschaftsbund); August 1978 Besuch des Abendgymnasiums in Gera; 1980 Abitur über den zweiten Bildungsweg; mehrfache Bewerbung zum Studium der Literaturwissenschaften in Leipzig und Berlin (Ablehnung aus politischen Gründen trotz bestandener Aufnahmeprüfungen); 1983 – 1988 Leiter von Literatur-, Friedens- und Menschenrechtsarbeitskreisen des Evangelischen Gemeindezentrums Gera-Lusan; nach der letzten Studienablehnung 1983 ‘Antrag auf ständige Ausreise aus der DDR’ (mit 56 abgelehnten Folgeanträgen); ab Mai 1984 beginnende Zersetzungsmaßnahmen der Stasi: angewiesene Arbeitsplatzbindung als Fensterputzer, Gebäudereiniger, dann Hilfsarbeiter in der Nachtreinigung von Zügen; 18. Juli 1985 kurzzeitige „Zuführung“ in die U-Haft Gera durch das Ministerium für Staatssicherheit wegen fortgesetzter Arbeit in den Arbeitskreisen („Androhung staatsfeindlicher Handlungen“); danach verschärfte „Disziplinierungs- und Zersetzungsmaßnahmen“: Arbeitsplatzbindung, Reisesperre, Berlinverbot, Kontaktaufnahmesperre, Postkontrolle, tägliche Meldepflicht, ununterbrochener Stadtarrest, teilweise Hausarrest; nach dem Honecker-Besuch in Bonn “Freikauf” im Rahmen des Häftlingsfreikaufs durch die Bundesregierung (Frühjahr 1988); 1988 – 1992 Studium der Rhetorik und der Germanistik in Tübingen (Magister Artium, M.A.); 1988 – 1996 mehrere Förderstipendien; seit 1993 verschiedene Forschungsprojekte zur Staatssicherheit der DDR; 1993 – 2003 Lehrbeauftragter an der Uni Tübingen; 1996 Promotion in Rhetorik an der Uni Tübingen (Dr. phil.); seit 1997 in der politischen Erwachsenenbildung der Konrad-Adenauer-Stiftung tätig (Leipzig, Stuttgart, Hamburg), Arbeitsaufenthalte in Dakar, Nairobi, Sarajevo; 2001 Gastdozent in den USA.
Karsten Dümmel befasst sich in zahlreichen Publikationen als Autor wie als Herausgeber mit der DDR und insbesondere mit der Stasi. 2007 erscheint sein erster Roman, „Nachtstaub und Klopfzeichen oder Die Akte Robert“.
Auch hier bleibt er seinem Thema treu. Die Handlung spielt in der DDR der 70er und 80er Jahre im Soziotop der Abrisshäuser in der Leipziger Kohlenstraße. Ein Lesekreis im Umfeld der evangelischen Kirche wird von der Staatsmacht als „feindlich-negative Gruppierung“ eingestuft und von der Stasi zersetzt. Der Roman ist ein Mosaik aus unterschiedlichen Elementen: Er-Erzählungen, Ich-Erzählungen, Stasi-Akten, Dialoge aus der Perspektive danach. Die Personen sind gruppiert um Robert K., einen Akademiker, der als Fensterputzer arbeiten muss und mit allen Mitteln schikaniert wird. Daneben gibt es die Hotelangestellte, die einem Stasi-Mitarbeiter hörig ist und für ihn auswärtige Gäste aushorcht; das Mädchen, das sich für seine Spitzeltätigkeit schämt und in den Tod geht; die Frau, die verschwindet und völlig überraschend am Ende als Behördenmitarbeiterin auftaucht; oder einen 17jähriger, der beim Versuch der Republikflucht erschossen wird.
Der Ausschnitt der Wirklichkeit, der beschrieben wird, ist düster und unwirtlich. Manches wird nur angedeutet, das Geflecht der Beziehungen ist schwer durchschaubar – die Struktur des Romans spiegelt die Komplexität der Verhältnisse. Auch stilistisch gibt der Text seinen nicht-dokumentarischen, literarischen Anspruch zu erkennen. Beklemmung entsteht beim Leser, ohne dass der Autor ein politisch-moralisches Urteil vorformuliert.
In einem Video (www.karstenduemmel.de/videos.html) erläutert Karsten Dümmel: Der Robert des Romans trägt Züge des Autors, ist aber nicht 1:1 sein Abbild, sondern bündelt die Züge einer Anzahl von Personen. Jedes Detail im Roman hat eine Entsprechung in der Wirklichkeit, wird aber anders zusammengesetzt.
Sieben Jahre später veröffentlicht Karsten Dümmel wieder einen Roman mit ähnlicher Thematik: „Strohblumenzeit“. Wieder geht es um Oppositionelle in der DDR in den 1970er Jahren, die sich in einem Literaturkreis in der Evangelischen Kirche sammeln. Im Visier der Behörden steht besonders Arno K., der von der Stasi beruflich behindert, sozial isoliert und schließlich ins Schweigen und in die Nervenkrise getrieben wird. Wieder werden Erzählpassagen mit Stasi-Vermerken collagiert, aber diesmal sind noch Briefe und Tagebuchnotizen dazugekommen und eine neue Zeitebene: Die Tochter von Arno K. und einer Französin fährt im Jahr 2011 zur Stasi-Unterlagenbehörde in Berlin, um mehr über ihren Vater zu erfahren, der für sie bis dahin „ein Phantom“ war, weil die Mutter alle Erinnerungen an ihn bis dahin „eingezäunt“ hatte. (RP)