Peter Eckert (Schiffweiler)

geb. 7. April 1885 in Schiffweiler, gest. 13. Oktober 1944 in Wachenheim; ein Grab ist nicht bekannt

Peter Eckert, barfuß aus Überzeugung.

Peter Eckert (Schiffweiler) – nicht zu verwechseln mit dem Mundartautor Peter Eckert aus Differten – war ein Sonderling, dessen Lebenszeugnisse das bewegende Bild eines einsamen Mannes zeichnen, dessen Begabungen nicht erkannt und der von der Dorfgemeinschaft ausgegrenzt wurde.

Dass wir von Peter Eckert, genannt „Eckerpittche“, überhaupt noch etwas wissen, ist in erster Linie Helmut Weyand zu verdanken. Ein Dachbodenfund im Pfarrhaus St. Martin aus Anlass eines Pastorenwechsels spielte dem Gymnasiallehrer und Schiffweiler Historiker handgeschriebene Texte in die Hände: die schriftliche Hinterlassenschaft von Peter Eckert, oder wenigstens ein Teil von ihr.

Von Peter Eckert adressierter Briefumschlag an den Paulinus-Verlag in Trier.

Einen anderen Teil trugen Helmut Weyand Bürger und Bürgerinnen von Schiffweiler bei, die das eine oder andere Eckertsche Schriftstück noch bei sich entdeckten. Anscheinend hat Peter Eckert seine Schriften seinerzeit unter die Leute gebracht, wobei man sich fragt, ob er tatsächlich Abschriften anfertigte und wie viele; andere Kopiermöglichkeiten gab es für ihn damals nicht.

Ein Unzurechnungsfähiger?

Peter Eckert, Sohn des Bergmannes Andreas Eckert und der Hausfrau Katharina Eckert geb. Hitzler, war in Schiffweiler bekannt als Bote bzw. Zeitschriften-Zusteller, Hausierer und Glöckner, zeitweise auch Blasebalg-Treter beim Organisten in der Pfarrkirche St. Martin. Im erlernten Beruf war er Schuhmacher; diesen konnte er wegen „schlechter Augen“ nicht ausüben. „Schlechte Augen“ hieß: Starke Kurzsichtigkeit auf beiden Seiten; deswegen war Peter Eckert bei einem Augenarzt in Neunkirchen in Behandlung. Eine Besserung wurde dadurch nicht erreicht. Peter Eckert gelangte schon früh zu der Überzeugung, dass er wegen seines Leidens „nur geeignet“ sei „für auch im Dunkeln ausführbare Berufe, wie Reisehandel und Glöcknerei“.

Das, was er auf allen möglichen Oberflächen – in Heften, Rechnungsbüchern und sogar auf der Rückseite von Tapeten – „zu Papier“ brachte, stand in Gegensatz zu dem Bild eines Unzurechnungsfähigen, das sich das Dorf von ihm machte; es erhob ihn geradezu über das Niveau des Durchschnittes der Dorfgemeinschaft, die sich über ihn erhoben hatte. Helmut Weyand bewertet: „200 Seiten hab ich, da sind keine Rechtschreibefehler! Als Deutschlehrer würde ich sagen (…) – zwei plus, grammatisch vollkommen fehlerlos, absolut fehlerlos, mit Konjunktiv und allem“.

Das Schriftbild, teils Sütterlin, teils lateinische Zeichen, die fast wie gedruckt aussehen, ist auffallend sauber. Kein einziges Wort ist durchgestrichen und ersetzt, nichts ist korrigiert oder ausgebessert. Schwer zu glauben, dass Peter Eckert seine Texte in dieser Klarheit gleich im ersten Anlauf ins Reine geschrieben haben sollte. Hat er zuvor Entwürfe verfasst? Das werden wir wohl nie mehr erfahren.

Nur noch monatliche Zustellung der Wochenzeitschriften.
Juli 1924.

Inhaltlich wirkten Peter Eckerts Schriften abstrus und skurril; sie schienen die Leute zu bestätigen, für die feststand: „Der hat se nemmeh all“. Absurd waren sie vielleicht auf den ersten Blick; bei näherem Hinsehen jedoch offenbarten sie auch eine gewisse innere Logik, wie zum Beispiel die Ankündigung an die Bezieher der von ihm ausgetragenen Wochenzeitungen, diese ab Juli 1924 nur noch monatlich zuzustellen.
ZITAT

Was dem Verlag des Bistumsblattes „Paulinus“ gar nicht recht war; er kündigte
Peter Eckert.

Der Sonderling lebte in äußerster Einsamkeit; wahrscheinlich rührte daher seine Schreibwut. „Ein Einsiedlerleben“ habe er begonnen, notierte er in kurzen Aufzeichnungen in der Zeit von 1907 bis 1927: „Die Eltern waren verstorben, die Geschwister verheiratet. Um Peter Eckert kümmerte sich niemand, so daß er allein bleiben mußte.“ Die Aufzeichnungen der Ereignisse, die er „Abenteuer“ nannte, fasste er unter dem Titel „Kultur und Bildung in Schiffweiler seit 20 Jahren von 1907 – 1927 durch das handwerksgemäße Berufsläuten oder Ordnungs- Fachläuten des Berufsglöckners und Kirchenfachmannes Peter Eckert, welches dieser freiwillig ausführt“ zusammen. ZITAT

Die Kunst des Glockenläutens

„Freiwillig“ hieß in diesem Falle „für Gottes Lohn“; denn ab 1923 läutete Peter Eckert die Glocken von Sankt Martin in Schiffweiler ohne offiziellen Auftrag. Gleichwohl nahm man seine „freiwillige“ Dienstleistung gerne in Anspruch, bis das Geläut elektrifiziert wurde.

Titelseite Peter Eckert, Zeitschriftenbote und Reisehändler“.

Das Glockenläuten war noch vor dem Schreiben Peter Eckerts große Leidenschaft, die Bestimmung seines Lebens. Schon während der Schuster-Lehre wurde er „Hilfsglöckner“, wie er als viertes „Abenteuer“ in seinen Aufzeichnungen festhielt, „als einer der früheren, letzten Läutehelfer abdankte.“ Danach sei er „Glöcknergeselle“ geworden, „und führte nach und nach ein handwerksgemäßes Berufsläuten ein, nebst handwerksgemäßer Turmwärterei“. Von 1908 bis 1919, schrieb er an anderer Stelle, sei er „angestellter Ordnungs-Hilfsglöckner und Hilfskirchendiener“ gewesen.

Den Prozess der Vervollkommnung des Glockenläutens in Schiffweiler schilderte er im Detail in verschiedenen Manuskripten. Das Ergebnis dieses Prozesses handwerklicher Vollendung nannte er „Mäßigkeitsläuten“, unter dem er verschiedene Qualitäten subsumierte. ZITAT

Qualitäten, die sich wohltuend absetzten vom dem, was er als „unverständliches Kirchensteuer-Berufsläuten“ oder gar „Eppelborner Umsturzgeklimper“ bezeichnete. Das alles mag uns heute absurd vorkommen, andererseits aber auch einleuchtend.

Auch sein Plädoyer für das Barfußlaufen von Mai bis Oktober („Der Oktober ist der Mai des Herbstes“) klingt plausibel: „Das Barfußgehen härtet für den Winter ab, erspart Geld und Ärzte, ohne daß man den geringsten Schnupfen dadurch bekommt, selbst nicht bei rauher, nasser Witterung im Sommer“. Er selbst habe sich ab 1918 das Barfußlaufen angewöhnt, schrieb Peter Eckert. Auf Fotos erkannte man ihn schon daran, auch wenn er Koffer und Pakete einmal nicht mit sich führte.

Anscheinend hat er sich gerne fotografieren lassen, und auf keiner der Aufnahmen sieht er ungepflegt oder verwahrlost aus. Aber manchmal „scherzhaft“ zurechtgemacht mit Feder am Hut. Vor Kindern hatte Peter Eckert geradezu panische Angst. Wenn sich ein Rudel an seine Fersen heftete und ihm Spottverse hinterherrief, ergriff er die Flucht und nahm auch größere Umwege in Kauf, um ungeschoren nach Hause zu kommen.

„Abgeholt“

Sein Zuhause in der Ottweiler Straße 46 wiederum war, in dem Maße, wie seine Existenz sich immer prekärer gestaltete, zunehmend verwahrlost und am Ende zugemüllt. Der Bürgermeister von Schiffweiler wies ihn schließlich seinem Bruder Johann Eckert zur Versorgung zu.

Irgendwann 1943 verschwand Peter Eckert aus dem Dorf. Es hieß, man habe ihn „abgeholt“, berichtete Helmut Weyand. Auf Anordnung des Bürgermeisters, eines linientreuen Nazis, wurde er mit unbekanntem Datum in ein „Blindenheim“ eingewiesen, obwohl er gar nicht blind war.

Das Heim befand sich in „Apern über Remelach“; so lautete während der Einverleibung des Département Moselle ins Deutsche Reich 1940 bis 1945 der eingedeutschte Name der lothringischen Ortschaft Saint-Epvre bei Remilly im Kreis Chateau Salins. Über die Zustände in diesem Heim ist nichts Näheres bekannt. Man kann aber davon ausgehen, dass ein Aufenthalt in einem Heim, ganz gleich welchem, damals zum Wohlergehen der Insassen in keiner Weise beitrug.

Einige Zeit nach der Einweisung gelangte ein 3 x 7 Zentimeter großer Zettel nach Schiffweiler – Helmut Weyand nannte ihn „Kassiber“, – auf dem Peter Eckert seine „riesige Notlage“ beklagte und eindringlich darum bat, „den Bürgermeister zu meiner Rückführung zu bewegen“, der „ohne weiteres auf Aussagen Anderer mich in das Verderben gestürzt“ habe. Wenn man ihm nicht helfe, könne er „hier zugrunde gehen“. ZITAT

Kassiber aus dem Blindenheim, ohne Datum.
Vorder- und Rückseite

Die Rückseite des Kassibers hat Peter Eckert auf ein bedrucktes Stück Papier geschrieben. Zu lesen sind drei Zeilen Nazi-Kriegsertüchtigung: „Was die Front opfert, das kann überhaupt durch nichts vergolten werden. Aber auch das, was die Heimat opfert, muß vor der Geschichte dereinst bestehen können. (Der Führer am
3.10.1941).“

Peter Eckerts Hilferuf blieb ohne Echo. Das „Eckerpittche“ starb am 13. Oktober 1944 im „Waldhaus Pferchtal“ in Wachenheim. In dieser Idylle des Pfälzer Waldes war das „Blindenheim Apern“ nach Bescheinigung der Sterbeurkunde No 48/1944 des Standesamtes Wachenheim, „vorübergehend untergebracht“. Als Todesursache sind „Herzkrämpfe u. Herzschlag“ angegeben. Den Tod meldete laut Sterbeurkunde die „Wirtschafterin des Blindenheims Apern Mina Frisch geborene Lieblang“; sie erklärte, „vom Todesfall aus eigener Wissenschaft unterrichtet zu sein.“ Das Datum der „Auslagerung“ des Blindenheims aus Saint-Epvre nach Wachenheim ist nicht bekannt. Möglicherweise fand sie statt, als Streitkräfte der USA ab September 1944 ins Département Moselle vorzurücken begannen. Um das zu klären, bedarf es weiterer Nachforschungen.

Johann Eckert in Schiffweiler erhielt im Oktober 1944 „ein mit dem Stempel ‚Blindenheim Apern über Remelach‘ versehenes und mit ‚Heil Hitler‘ unterzeichnetes Schreiben“ mit der Mitteilung, „dass sein Bruder Peter Eckert, zur Zeit evakuiert im Oppauer Haus in Wachenheim‘, in der Nacht zum 13. Oktober 1944 ‚ganz plötzlich‘ gestorben sei. Der Zeitpunkt der Beerdigung konnte von der Heimleitung nicht angegeben werden“.

So schilderte es Helmut Weyand im April 2007 in „Unser Blättsche“. Dass Peter Eckert der „Euthanasie“ zum Opfer fiel, dem Massenmord der NS-Mediziner im Auftrag des NS-Staates an Tausenden von Menschen mit Behinderungen, angeblichen „Asozialen“ und Psychiatrie-Patienten, ist nicht auszuschließen. Zweifelsfrei bewiesen ist es aber nicht. Nach Auskunft des Standesamtes Wachenheim in einer E-Mail am 21. Mai 2024 wurden in den Jahren 1939 bis 1945 im Waldhaus Pferchtal bzw. dem dorthin ausgelagerten „Blindenheim Apern“ keine weiteren Todesfälle registriert. Das lässt nicht darauf schließen, dass es in diesem ausgelagerten Blindenheim zu systematischen Tötungen gekommen ist.

Ob „Euthanasie“-Opfer oder nicht, ist für das Erinnern an Peter Eckert aber nicht vorrangig. Wir haben vor uns die Lebenszeugnisse eines einsamen, ausgegrenzten Mannes, dessen Begabungen weder erkannt noch gefördert wurden, der für das öffentliche Gespött freigegeben war in einer Dorfgemeinschaft, die sich über ihre vordergründige Wahrnehmung hinaus nicht interessierte. Sicherlich kein einmaliges Schicksal, aber eines aus Schiffweiler, von dem wir dank Helmut Weyands Forscher-Neugier Einzelheiten erfahren haben.

Inge Plettenberg