Die Comicexplosion

Cover „Fungirl“ – © Elizabeth Pich
Mit Elizabeth Pich und Jonathan Kunz beginnt eine zweite Epoche des saarländischen Comics respektive der saarländischen Grafic Novel, die sich sowohl in ihren Publikationswegen als auch in der Stilistik von den Vorgängern unterscheidet. Schon zu ihren Studienzeiten an der HBK begannen sie gemeinsam, das kultige Comic „War and Peas“ ins Netz zu stellen. Sie regten das Studienfach Comic an der Kunsthochschule an, das Jonathan Kunz als Lehrbeauftragter leitete. Auch Elizabeth Pich war an der HBK als Dozentin aktiv. Beide initiierten von 2014 bis 2018 in Saarbrücken fünf international ausgelegte Comic-Symposien. Ihre Aktivitäten ermutigten eine Reihe junger Nachwuchszeicher:innen, sich dem Comic zuzuwenden. Inzwischen ist durch sie eine wild blühende Comicszene herangewachsen. Die folgende Aufstellung muss daher unvollständig bleiben, da Studierende und Absolvent:innen der HBK sich unter Umständen einmalig mit Comic befassen und anschließend anderen gestalterischen Fragestellungen zuwenden. Zum Teil erscheint ihre Arbeit im Netz und damit unter dem Radar einer nicht darauf spezialisierten Öffentlichkeit.
Jonathan Kunz (1988 in Ulm geboren, jonathankunz.com) studierte an der HBK Media Art, bevor er dort Dozent wurde. Er tritt eher als Co-Autor von Comicreihen und als Herausgeber von und Autor in Anthologien in Erscheinung. 2023 gründete er mit Mitstreitern den Comicverlag „Polly“ als Non-profit-Unternehmen mit dem Ziel, unbekannteren Zeichner:innen, die am Anfang ihrer Karriere stehen, eine Plattform zu bieten. Es handelt sich um Publikationen, die bewusst auf Undergroundattitude statt auf Hochglanzästhetik setzen. Die Einnahmen des Verlags fließen komplett in die Produktion einer neuen Veröffentlichung.
Das mit Elizabeth Pich entwickelte Webcomic „War and Peas“ erscheint seit 2011 einmal die Woche. Dabei handelt es sich um einen in der Regel aus vier Bildern bestehenden Cartoon, der um einer größeren Reichweite willen englischsprachig gehalten ist. Er zählt rund eine Million Follower. In den schwarzhumorigen, sarkastischen Bildergeschichten treten regelmäßig der in seine Arbeit verliebte Tod, zu kleinen Gespenster mutierte Seelen Verstorbener, homosexuelle Pärchen, eine so bezeichnete Schlampenhexe, Hunde und Roboter mit allzu menschlichen Regungen auf, die in die gemeinen Fallen des Lebens treten oder sie sogar inszenieren. Charakteristisch sind ihre stark vereinfachten Figuren vor klar umrissenen monochromen Farbflächen. Jonathan Kunz und Elizabeth Pich schreiben die Geschichten gemeinsam und zeichnen abwechselnd. Nur für Spezialisten sind die Handschriften sicher zu unterscheiden.
Ihre gemeinsame Veröffentlichung aus dem Jahr 2024 heißt „Once Upon a Workday – Encouraging Tales of Resilience“ (Es war einmal ein Arbeitstag – Ermutigende Geschichten über Widerstandsfähigkeit). Laut Selbstauskunft geht es „um das Erschöpfende, das Hoffnungsvolle, den Kampf und das Schöne im Alltag. Es geht um Work-Life-Balance, kreative Blockaden und das überwältigende Gefühl, ein ruheloses Herz zu haben.“ Und weiter: „Egal wie groß oder klein, in diesem Buch finden Sie unsere Überlegungen zu den Lebensfragen der Kreativen.“

„Fungirl Epilogue“ – © Elizabeth Pich
Vor allem die von ihr entwickelten, erzählten und gezeichneten Geschichten rund um „Fungirl“ machen Elizabeth Pich (elizabethpich.com) zur ungekrönten Königin der saarländischen Comicszene. Sie wurde 1989 als Kind deutsch-amerikanischer Eltern in Deutschland geboren, wuchs in den USA und als Heranwachsende in Bayern und Schwaben auf. Von 2009 bis 2015 studierte sie an der HBK Saar Kommunikationsdesign und schloss ein Informatikstudium an der Universität des Saarlandes an. Nach wie vor ist sie an der HBK als Dozentin tätig. Ursprünglich als Spaßprojekt entstanden und als englischsprachige Webcomic-Folgen veröffentlicht, ist „Fungirl“ inzwischen Kult einer wachsenden Fangemeinde. Seit 2021 erscheint der Comic auch in Heft- und Buchform. 2024 wurden die Geschichten von „Fungirl“ erstmals als opulentes Werk in deutscher Sprache vorgelegt und von der Kritik begeistert aufgenommen. Pichs schlangenbeinige, sexuell unersättliche und experimentierfreudige Protagonistin, der von Kritikern gelegentlich eine ferne stilistische Verwandtschaft zu Olive Oil, der Geliebten des spinatverschlingenden Seemanns Popeye, attestiert wird, schlingert sich schmerzunempfindlich und unbeeindruckt von Katastrophe zu Katastrophe. Ob in ihrer WG oder in dem Beerdigungsinstitut, in dem sie arbeitet – wo immer „Fungirl“ aufschlägt, stiftet sie zielsicher Chaos. Zweiflerische Selbstreflexion, moralische oder gesellschaftliche Schranken scheint sie nicht zu kennen – ein steter Quell für schwarzhumorige Geschichten über Sex, Gewalt und Tod.

Cover „Die Spinne“ – © Andreas Möller
Joni Marriott (geboren 1985 in Berlin) zählt strenggenommen nicht zur Riege der saarländischen Comiczeichner und -zeichnerinnen. Allerdings initiierte sie zusammen mit Jonathan Kunz und Elizabeth Pich das internationale Comic-Symposium in Saarbrücken und gab somit wichtige Impulse in die Szene. Sie studierte an der HBK Saar und lehrte nach ihrem Abschluss dort Illustration. Ihre signethaft reduzierten Zeichnungen, die keinen erzählerischen Bogen spannen, sind bei Zeitungen und Zeitschriften sehr gefragt. Gelegentlich gestaltet sie recht erfolgreich auch Häuserfassaden und Innenräume. Sie gab bisher zwei Bücher heraus: mit der Co-Autorin Nora Linnemann „Tu was – Jeder kann die Welt verändern“ (2019), mit 123 Ratschlägen, wie man die Welt verbessern kann, und mit der Co-Autorin Birte Spreuer „worklove: Ein Fragebuch. Von der Liebe zur Arbeit – und der Arbeit an der Liebe“ (2021), eine „Reise zu einem guten Leben“, an deren Wegesrand „Selbsterkenntnis“ und „Desillusionierung“ lauern.

aus „Die Spinne“ –
© Andreas Möller
Als Spätstarter legte der Illustrator und Comic-Zeichner Andreas Möller (geboren 1965, www.thelonercomics.de), der an der HBK eine Dozentur für Kunstdidaktik innehat, erst im Jahr 2019 seinen ersten Comic-Band vor. Zusammen mit dem Autor Michael Mikolajcek entwickelte er einen opulenten gezeichneten Krimi, der in Stil und Erzählweise an die amerikanischen Marvel-Comics oder an den Film noir erinnert. „Die Spinne“ spielt 1972 in einer Kleinstadt der USA. Eine junge Frau kehrt in ihre Heimat zurück und mietet sich unwissentlich bei einem Frauenmörder ein, weiß sich aber der Gefahr, in der sie schwebt, zu erwehren. Ein Episodenband rund um die „Spinne“ und die amerikanische Kleinstadt ist in Aussicht gestellt.