Dirk von Petersdorff
geb. 16. März 1966 in Kiel
Dirk von Petersdorff, einer der bekanntesten deutschsprachigen Lyriker der Gegenwart, gehört zu jenen Schriftstellern, die es der Saarbrücker Uni wegen ins Saarland verschlagen hat.
Er lebt mit seiner Familie von 1995 bis 2008 in Saarbrücken. Bis dahin sind im S. Fischer Verlag zwei Lyrikbände von ihm erschienen, die kunstinternen Themen behandeln. In seiner Saarbrücker Zeit entwickelt er sich hin zu einem subjektiven Schreiben, ist literarisch sehr produktiv, findet stärkere Beachtung und veröffentlicht zum ersten Mal einen Prosaband. Hier entstehen ganz oder teilweise die Gedichtbände „Bekenntnisse und Postkarten“, „Die Teufel in Arezzo“ und „Nimm den langen Weg nach Haus“, das Prosabuch „Lebensanfang“ und der Essay-Band „Verlorene Kämpfe“. 1998 erhält von Petersdorff eine der bedeutendsten literarischen Auszeichnungen der Republik, den Kleist-Preis.
Seine wissenschaftliche Laufbahn: 1991 Staatsexamen, 1995 Promotion über das Selbstverständnis romantischer Intellektueller, an der Christian-Albrechts-Universität Kiel. 1995 als Wissenschaftlicher Mitarbeiter an die Universität des Saarlandes. 2003 Habilitation über Lyrik des frühen 20. Jahrhunderts. Seit Oktober 2008 Professur an der Friedrich-Schiller-Universität Jena.
In einem Interview mit den „Saarbrücker Heften“ (94/2005) erläutert von Petersdorff, dass für ihn „die Lyrik primär der Funktion der Selbstaussprache und der Selbstvergewisserung bedient“. Er bekennt sich zur Affirmation (Bestätigung des Bestehenden), allerdings „Affirmation nicht im platten Sinne“: „Es geht einfach nur darum, zu sehen, dass es auch in dem Weltzustand, in dem wir leben, eine ganze Menge Dinge und Erfahrungen gibt, die etwas wie Schönheit ausmachen, Zustände wie Freude und Glück, ganz elementare Dinge.“
Als er für die „Saarbrücker Zeitung“ (21.01.2000) Albert Weisgerbers im Saarland Museum ausgestelltes Bild „Sommernachmittag. Picknick“ (1910) bespricht, hebt er lobend hervor, dass hier „ein glücklicher Moment eingefangen“ sei: „Ein friedliches Bild, gemalt vor dem Zeitalter der Abstraktion, bevor die Kunst mit der Auflösung des Menschen begann, Quadrate aus ihm machte oder Dreiecke“. In dem zitierten Interview hat er zu seiner Lyrik gesagt: „Ich möchte auch von dieser ewigen Zerrissenheit wegkommen, von dieser Verfremdung, dem Zerschlagen der Oberfläche, dem Desillusionieren, Enthüllen; das ist doch inzwischen Masche, das hat der Modernismus totgeritten.“
In einem anderen Beitrag für die „Saarbrücker Zeitung“ (5.9.01) berichtet von Petersdorff von seinen Wanderungen in den Vogesen, die er von Saarbrücken aus unternimmt, und preist den Blick über das Rheintal zum Schwarzwald. „In unserer Zeit wird oft gefragt: Was bleibt? Da würde ich sagen: Das Rheintal bleibt, der Schwarzwald bleibt.“
Vom saarländischen Literaturbetrieb hat sich von Petersdorff weitgehend ferngehalten, hat keine Beziehungen zu saarländischen Schriftstellern geknüpft. Seit 2008 lebt er in Jena.
Seine erste Prosaveröffentlichung, „Lebensanfang“, Untertitel: „Eine wahre Geschichte“, ist offensichtlich autobiographisch angelegt. Der Ich-Erzähler arbeitet, wie der Autor, an der Uni, und er schreibt Gedichte. Das Buch ist eine Selbstbeobachtung des frischgebackenen Vaters von Zwillingen. Es beschreibt die Veränderungen, die mit ihm seit der Geburt von Luise und Max vorgehen: Wie sich im Zusammenleben mit den Kindern und der Fürsorge für sie sein Bild von der Welt wandelt, wie andere Dinge als bisher für ihn wichtig werden.
Topographische Bezüge spielen in dem Buch keine Rolle, die Geschichte könnte überall spielen. Einmal wird gesagt, dass die Kinder, „im tiefen Südwesten Deutschlands geboren“, nach dem Willen der Eltern schon früh „mit dem Meer in Berührung kommen“ sollen, weshalb sie mit ihnen an die Ostsee reisen. In dem Gedicht „Im Café, Saarbrücken“ (im Band „Nimm den langen Weg nach Haus“) heißt es: „Wieder erstaunt, dass ich hierhergekommen bin / an diesen Fluss, der anders als das Meer riecht, / wo meine Kinder einen dunklen Dialekt lernen, / sie sagen: ‚Das ist mir‘ – “
2018 veröffentlicht Dirk von Petersdorff den Roman „Wie bin ich denn hierhergekommen“. Dieser Roman enthält eine Reminiszenz an die Saarbrücker Zeit des Autors. Das Paar Anna und Tim und ihr Sohn Elias, die in Thüringen wohnen, wollen Freunde besuchen, „die es beruflich nach Saarbrücken verschlagen“ hat. Die Freunde schlagen vor, zu den Spicherer Höhen zu fahren, „wir müssen nur einmal quer durch die Stadt, und oben ist schon Frankreich“. Sie kehren in der Gaststätte Woll ein. Sie sehen die Grabmale des Deutsch-Französischen Krieges von 1870/71 und die aus dem Zweiten Weltkrieg. Anna sagt: „Der Krieg komme zurück, mit deutschen Soldaten in den Nachrichten, die gefallen sind, und vorhin, diese Namen auf den Gräbern, Helmut und Dietrich, so hießen sie auch jetzt wieder im Kindergarten, diese altdeutschen Namen, Otto I., Otto II., und dann habe sie Elias in einer Soldatenuniform vor sich gesehen.“ (RP)