Esther Bejarano

geb. als Esther Loewy am 15. Dez. 1924 in Saarlouis, gest. 10. Juli 2021 in Hamburg

Foto: Martin Broschwitz

Sängerin, Autorin, Friedensaktivistin
Am 26. April 2012 erhält die kleine, aber willensstarke und kämpferische Frau im Hamburger Rathaus das Große Bundesverdienstkreuz überreicht, vom damaligen Bürgermeister Olaf Scholz. Er würdigt ihre beeindruckende Lebensleistung u. a. mit folgenden Worten: „Esther Bejarano widmet ihre Zeit der Erinnerungskultur in unserem Land. Sie ist beharrlich. Sie engagiert sich seit mehr als 25 Jahren gegen Rechtsradikalismus und klärt Jugendliche über die Zeit des Nationalsozialismus auf. Warum sie das macht, das erklärt ihr Leben. Wie sie das macht, ist beispielhaft.“

Nach Ende des 1. Weltkrieges ziehen die Eltern, Margarethe und Rudolf Loewy, mit Tochter Tosca in das Dorf Hoppstädten an der Nahe (unweit der Grenze zum Saargebiet). Dort übernimmt Loewy 1919 eine Stelle als Lehrer und Kantor in der jüdischen Gemeinde. In Hoppstädten kommen auch die Geschwister Gerhard „Gerdi“, Georg und Ruth zur Welt. Die Familie siedelt für kurze Zeit (1924) nach Saarlouis über, wo Esther geboren wird. Vater Loewy erhält schließlich 1925 eine attraktive Stelle in Saarbrücken als Oberkantor der jüdischen Gemeinde, ist zudem als (Religions-) Lehrer an diversen Oberschulen tätig.

Die ersten Jahre lebt die Familie auf dem Rotenbühl, ab 1932 in der Bismarckstraße 1. Der Vater, ein begeisterter Pianist, legt Wert darauf, dass auch Esther das Klavierspiel erlernt. Esther führt rückblickend „ein ganz normales Leben“, zehn weitgehend unbeschwerte Jahre an der Saar.

In Saarbrücken wird die Lage unerträglich

In ihren „Erinnerungen heißt es: „Ende 1934 wurde die politische Lage für uns in Saarbrücken immer düsterer. Der Antisemitismus machte sich breit. Genau wie im übrigen Deutschland schon im Jahre 1933 fing die Hetze gegen die Juden jetzt auch hier an. Die Massenmedien verbreiteten alle möglichen Lügen über die jüdische Bevölkerung. Jüdischen Kindern wurde verboten, die allgemeinen Volks- und Hochschulen zu besuchen. Eine jüdische Schule wurde in der ehemaligen Schillerschule nicht weit von uns eingerichtet.“ Zuvor hatte Esther noch auf die (christliche) Volksschule gehen dürfen.

„Mit der Zeit wurde es immer unerträglicher in Saarbrücken. Die ehemaligen Schulkameraden und christlichen Freundinnen, die in meiner Nähe wohnten, wollten nicht mehr mit mir spielen, denn ich war Jüdin… Mein Vater, der ein ziemlicher Patriot war, der sich im Ersten Weltkrieg ums Vaterland verdient gemacht, das Eiserne Kreuz Erster Klasse verliehen bekommen hatte und 50 % kriegsbeschädigt war, glaubte, daß die Hitlerregierung sich höchstens noch ein Jahr halten konnte, und daß der Antisemitismus eine vorübergehende Sache wäre.“ („Richtig daheim waren wir nie“)

1936 findet Rudolf Loewy eine neue Stelle als Kantor in Ulm. Erste Auftritte als jugendliche Sängerin hat Esther beim jüdischen Kulturbund, singt Schlager, aber auch jüdische Lieder. Bruder Gerdi wandert rechtzeitig in die USA aus, Schwester Tosca geht nach Palästina. Ihr will auch Ruth folgen. Die Situation wird für die Familie immer riskanter. Vater Rudolf findet eine Anstellung im fernen Breslau. Esther wechselt nach Berlin, besucht dort die Jugend-Alijah-Schule. Auch sie plant eine Ausreise nach Palästina.

Musik im KZ

Mit der Reichspogromnacht 1938 wird die Lage für die verbliebene jüdische Bevölkerung immer bedrohlicher, auch für die Loewys. Eine Auswanderung, auch bedingt durch den von Nazi-Deutschland entfachten Krieg, ist praktisch nicht mehr möglich, die Vorbereitungslager waren im Juni 1941 geschlossen worden. Esther Loewy ist nunmehr auf sich allein gestellt, muss fortan Zwangsarbeit leisten (u. a. im Landwerk Neuendorf/Brandenburg). Im April 1943 wird sie nach Auschwitz deportiert. Dank ihrer musikalischen Ausbildung bleibt sie irgendwann von der Zwangsarbeit verschont. Die Blockältesten hatten die junge Frau für das im Aufbau befindliche Mädchenorchester vorgeschlagen. Da kein Klavier vorhanden ist, bringt sie sich in kürzester Zeit das Akkordeonspiel bei.

Im November 1943 wird Loewy ins KZ Ravensbrück verbracht, wo sie im Siemenslager erneut Zwangsarbeit leisten muss. Als anerkannte „Viertelarierin“ im Januar 1945 arisiert, erhält sie einen roten Winkel als „politisch Gefangene“, der Judenstern wird ihr abgenommen. Während eines sog. „Todesmarsches“ mit anderen KZ-Häftlingen zum Außenlager Malchow gelingt ihr die Flucht. Das Kriegsende und die Befreiung durch US-Truppen erlebt Loewy in Lübz (bei Parchim). Inzwischen hat sie erfahren, dass ihre Eltern im November 1941 von Breslau nach Riga (Litauen) deportiert und schließlich in Kowno (Ghetto Kauen) ermordet worden sind. Schwester Ruth kam im Dezember im KZ Auschwitz ums Leben.

Loewy nimmt mit ihrer in Palästina lebenden Schwester Tosca Kontakt auf. Mitte August 1945 reist sie mit gefälschten Papieren via Marseille aus, kommt einen Monat später in Haifa an und lebt – mit Unterbrechungen – bei ihrer Schwester. Sie strebt ein Gesangsstudium in Tel Aviv an, dass aber erst mit Verspätung möglich wird. Loewy schlägt sich mit Jobs in einer Zigarrenfabrik und als Kinderpflegerin durch. Nach zweijähriger Gesangsausbildung schließt sie sich dem renommierten Arbeiterchor Ron an.

Während ihres Militärdienstes 1948/49 (z. T. während des Unabhängigkeitskrieges) tritt Loewy in Soldatencamps auf. Inzwischen hat sie ihren späteren Ehemann, den LKW-Fahrer Nissim Bejarano, kennen- und lieben gelernt, den sie 1950 heiratet. Mit ihm hat sie zwei Kinder, Tochter Edna (* 1951) und Sohn Joram (* 1952). Die Folgejahre sind geprägt von Kindererziehung und Hausarbeit; daneben gibt sie Musikunterricht.

Politisches Engagement

Ihr Mann, ein überzeugter Kommunist und Gewerkschafter, wird 1956 während des Sinai-Krieges (Suezkrise) erneut rekrutiert – gegen seinen Willen. Da sie das Klima in Israel nicht verträgt, entschließen sich beide nach Deutschland überzusiedeln. Ende Mai 1960 legen Esther und Nissim Bejarano einen Zwischenstopp im Saarland ein. Sie zeigt ihm und den Kindern, wo sie einst in Saarlouis und vor allem in Saarbrücken aufgewachsen ist. Letztlich lässt sich die Familie in Hamburg nieder.

Zunehmend in den 1980er Jahren verstärkt sich bei Esther Bejarano das Bedürfnis, sich politisch zu engagieren – auch mit Blick auf neonazistische Tendenzen, denen sie mit ihrer Lebensgeschichte etwas entgegensetzen will. Sie schließt sich der VVN (Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes) an, gründet 1986 das „Auschwitz-Komitee“ (für die BRD).

Foto: Privat

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Auch tritt sie als Sängerin antifaschistischer und jiddischer Lieder auf, u. a. mit der Gruppe COINCIDENCE, der auch ihr Sohn Joram und Tochter Edna (Anfang der 1970er Jahre Frontfrau der Hamburger Rockband THE RATTLES!) angehören. Nach einer Rückzugsphase, in der sie ihren schwerkranken Mann bis zu dessen Tod 1999 pflegt, schließt sie sich (sporadisch) der Kölner HipHop-Band MICROPHONE MAFIA an.

Esther Bejarano unterhält auch im hohen Alter noch enge Beziehungen ins Saarland. Eine besondere Ehrung wird ihr am 29. November 2014 zuteil: Sie erhält in ihrer Geburtsstadt das Ehrenbürgerrecht: „Ich gehöre zu euch… und ihr gehört zu mir… Ich komme unheimlich gerne nach Saarlouis und freue mich immer, etwas über die Stadt zu hören.“

2019 wird u. a. von Landesjugendring und Arbeitskammer unter dem Motto „Erinnert euch!“ der Esther-Bejarano-Preis ausgelobt. Eingereicht werden können dabei Kurzvideos, die „…ein Zeichen setzen für Demokratie, Toleranz und Mitmenschlichkeit, und Flagge zeigen gegen Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und Intoleranz…“ Wegen der Corona-Pandemie 2020/21 wurde der Wettbewerb bis dato nur 2019 verliehen.

Esther Bejarano lebt in Hamburg, wo sie im Juli 2021 nach kurzer, schwerer Krankheit stirbt. Sie wurde auf dem Jüdischen Friedhof Hamburg-Ohlsdorf beigesetzt.
Roland Schmitt