geb. 16. Mai 1788 in Schweinfurt, gest. 31. Jan. 1866 in Neuses bei Coburg
Rückert war einer der bedeutendsten Schriftsteller, Übersetzer und Sprachwissenschaftler des 19. Jahrhunderts. Er gilt als Begründer der deutschen Orientalistik. Zu seinen bekanntesten Werken gehören die von Gustav Mahler vertonten „Kindertotenlieder“.
In der 2009 erschienenen Ausgabe seiner „Zeitgedichte“ innerhalb der historisch-kritischen Werkausgabe „wird die Wandlung des Autors vom einstigen Verfasser von Liebeslyrik im Stile Petrarcas zum populären Autor volksliedhaft eingängiger, antinapoleonisch-nationaler, die Befreiungskriege unterstützender Poeme erkennbar“ (Ralph Schock). Zu dieser Gruppe gehört ein Schmähgedicht auf Napoleons aus Saarlouis stammenden Marschall Michel Ney („Eye ey! / Ney, Ney!“) sowie das Klagegedicht „Arm Saarvögelein“. Es bezieht sich auf den Ersten Pariser Frieden von 1814, nach dem Gebiete an der Saar bei Frankreich blieben. In dem Gedicht figuriert das Land als „von je“ bei der Brücke an der Saar beheimatetes Vögelein, das „deutsch fürwahr“ ist, aber im Stich gelassen wird von den anderen deutschen Vögelein (den deutschen Ländern) wie vom „deutschen Kaiseraar“ (Aar = Adler). ZITAT
Zitat von Friedrich Rückert
Arm Saarvögelein
An der Brück‘ an der Saar
In den Gedanken mein
Stand ich und hört‘ aldar
Singen ein Vögelein,
das sang traurig so gar.
O armes Vögelein
An der Brück‘ an der Saar.
An der Brück‘ an der Saar
War ich von je zu Haus,
In Nöthen immerdar
Vor einem Vogel Straus;
Das Strausennest fürwahr
Zu nah ist meinem Haus
An der Brück‘ an der Saar.
An der Brück‘ an der Saar
Ein Ruf sich hören ließ
Von einer Vögelschaar,
Die Hülfe mir verhieß;
Die Vöglein hell und klar
Sangen mir das und dieß
An der Brück‘ an der Saar.
An der Brück‘ an der Saar
Ich muthig mich bewieß,
Gebrauchte streitebar
Mein Schnäbelein als Spieß;
Weh mir, in der Gefahr
Achtlos man mich verließ
An der Brück‘ an der Saar.
An der Brück‘ an der Saar!
Ihr deutschen Vögelein,
Weil groß ist eure Schaar,
Bin ich euch denn zu klein?
Bin doch auch deutsch fürwahr,
Und ihr laßt mich allein
An der Brück‘ an der Saar.
An der Brück‘ an der Saar!
Ich war dir immer hold,
Du deutscher Kaiseraar,
Hast mich befrein gewollt:
Jetzt stellest Du mich dar
Zum Raub dem, der mir grollt
An der Brück‘ an der Saar
An der Brück‘ an der Saar
Von ihm ich sehr viel litt
Schon an die funfzehn Jahr;
Jetzt er mich gar zertritt.
Könnt‘ ich nur ziehn von dar,
Mein Häuslein nehmen mit
An der Brück‘ an der Saar.
An der Brück‘ an der Saar
Mein Weiblein in der Wuth,
Anzünden wollte gar
Sein Nest mit Feuersglut,
Ich nahm es noch gewahr
Löschte mit Thränenflut
An der Brück‘ an der Saar.
An der Brück‘ an der Saar!
Deutsche Waldvögelein,
Wenn ihr singt hell und klar
Im freyen Sonnenschein;
Denkt, daß von eurer Schaar
Eins trauern muß allein
An der Brück‘ an der Saar.
An der Brück‘ an der Saar!
Deutsche Waldbrüderlein,
Wenn ihr nicht mehr mich klar
Hört seufzen übern Rhein;
So denkt, daß ich gar
Werde gestorben seyn
An der Brück‘ an der Saar.
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In Zeiten, in denen die Frage der nationalen Zugehörigkeit der Saar hochkochte, wurde das „Arm Saarvögelein“ immer wieder ausgegraben – durch vollständiges Zitieren, durch Einbau von Varianten, durch Bezugnahme auf den Titel. (Zu Einzelheiten der Rezeption vgl. Ralph Schock: An der Brück‘, an der Saar. In: Saargeschichte(n) 2.2012, S. 25-29) (RP)