Ingrid Caven
geb. 3. Aug. 1938 in Saarbrücken, lebt in Paris
Ingrid Caven ist eine aus Saarbrücken stammende Sängerin mit internationaler Karriere, die zur Romanheldin wurde.
Ingrid Caven (Künstlername), die seit ihrer Ehe mit dem Filmemacher Rainer Werner Fassbinder bürgerlich Ingrid Fassbinder heißt, wird als Ingrid Schmidt im Saarbrücker Arbeiterviertel Burbach (Burbacher Hütte) geboren. Ihre jüngere Schwester ist die Opernsängerin Trudeliese Schmidt (1942-2004), die in den großen Opernhäusern und bei den renommierten Festivals in Europa unter Dirigenten wie Böhm, Harnoncourt oder Karajan auftritt.
Der Vater betreibt einen Tabakwarenladen (Ingrid Caven spricht von „Zigarrengeschäft“) in der Burbacher Hochstraße. Die Familie wohnt gleich um die Ecke in der Brunnenstraße 2a. Das Haus wird im Zweiten Weltkrieg zerstört, danach wieder aufgebaut.
Sie studiert in Saarbrücken Musikgeschichte und Germanistik fürs Lehramt. Danach bewirbt sie sich erfolgreich bei der Musikhochschule München und zieht in die bayerische Hauptstadt. Ende der 60er Jahre wird sie von Rainer Werner Fassbinder entdeckt. Sie wirkt in zahlreichen seiner Filme mit, wird seine Muse und Ehefrau (1970-72). Auch andere Regisseure arbeiten mit ihr: Daniel Schmid, Werner Schroeter, Dani Levy. Durch die Rolle der Nachtclubsängerin La Paloma in Werner Schmids gleichnamigem Film (1974) wird sie international bekannt. 1978 zieht sie nach Paris und beginnt eine zweite Karriere als Chanson-Sängerin. Rainer Werner Fassbinder, Peer Raben, Jean-Jacques Schuhl, Hans Magnus Enzensberger und Wolf Wondratschek schreiben ihr Texte auf den Leib. Ein schwarzes Samtkleid wörtlich auf den Leib geschneidert hat ihr Yves Saint-Laurent.
Im Jahr 2000 wird Ingrid Caven zur Titel- und Hauptfigur eines Romans (deutsch 2001). Sein Autor Jean-Jacques Schuhl, der 24 Jahre lang kein Buch mehr veröffentlicht hat, bekommt dafür Frankreichs bedeutendsten Literaturpreis, den Prix Concourt. Seit 30 Jahren ist er damals Cavens Lebensgefährte. „Verwandelte Jean-Jacques Schuhl das Leben von Ingrid Caven in einen Bestseller oder machte Ingrid Caven aus Jean-Jaques Schuhl einen erfolgreichen Romancier?“, fragt die Wochenzeitung „der Freitag“.
„Ingrid Caven“ ist keine Biographie, es ist ein Roman. Schuhl, 1941 in Marseille geboren, erzählt das Leben der Diva nicht chronologisch und vollständig nach, er baut ein Kaleidoskop aus Erzählsplittern unterschiedlicher Art, unter anderem aus Erinnerungsbruchstücken der Caven; er selber figuriert in der dritten Person als „Charles“. Schuhls Bestreben ist es, die Sängerin zum Mythos zu stilisieren und „ein deutsches Märchen“ („Die Welt“) zu schaffen.
Immer wieder kommt er auf Ingrids ersten Bühnenauftritt zurück, als das viereinhalb Jahre alte Mädchen an Heiligabend 1943 an der Ostseeküste, wo ihr Vater Kommandant einer Marinebasis ist, unter dem Porträt des Führers für Wehrmachtsoldaten „Stille Nacht, heilige Nacht“ singt.
Am Kriegsende flieht die Familie aus Norddeutschland zurück in die Heimat. Schuhl leitet die Passage über das zerstörte Saarbrücken ein mit dem hierzulande gern verwendeten Goethe-Zitat aus dem 10. Buch von „Dichtung und Wahrheit“ und assoziiert dann den Feuerschein der wieder in Gang gesetzten Hochöfen mit dem Schein der als „Christbäume“ bezeichneten Phosphorbomben, die den Himmel über Kiel erleuchtet hatten. An das vom Großvater in den 20er Jahren gebaute eigene Haus, das jetzt eine Ruine ist, erinnert Ingrid Caven sich als ein Haus mit „Musik in allen Stockwerken“, vollgestopft mit Instrumenten, auf denen die Familie, die Freunde spielten. Und in den Ruinen, überzogen von Brombeer- und Heckenrosenranken, findet der Großvater ein nagelneues Klavier: „und auf diesem gefundenen Klavier habe ich angefangen zu spielen…“
Reminiszenzen an Saarbrücken, ans Saarland finden sich übers ganze Buch verstreut: der Zug der Bergleute, das Geräusch der Loren, der Pianist Walter Gieseking (der auch im Nachkriegs-Roman von François-Régis Bastide eine Rolle spielt), die Zigaretten Marke „Lasso“ aus dem Hause Jyldis in Saarlouis. Die „Vitalität“ der Eisenwerke mit ihren Geräuschen, Gerüchen, Lichtern ist für sie ein Äquivalent zur Musik von Arnold Schönberg. Auch die Grenzlage wird angesprochen: Der Vater hat sie auf einen Hügel mitgenommen, sie lassen einen Drachen in Richtung Frankreich steigen, „der nach Forbach hinübersegelte, nachdem er die beiden von weißen Kreuzen übersäten Friedhöfe aus dem Ersten Weltkrieg, der eine deutsch, der andere französisch, überflogen hatte“.
Die Besonderheit der öffentlichen Figur Caven ist für Jean-Jacques Schuhl ein Phänomen, das er u.a. mit der Hauterkrankung des Mädchens erklärt, durch die sie ihren Körper habe neu erfinden müssen. In immer neuen Formulierungen umkreist er ihre Bühnenwirkung: „Sie hatten sofort gesehen, dass es etwas anderes ging als um Gesang: eine Geisteshaltung, eine Anregung, schon ein wenig der Vorschlag für eine Art zu leben…“
Eine wichtige Rolle im Buch wie in Cavens Leben spielt Rainer Werner Fassbinder (1945-1982), mit dem Ingrid Caven nach der kurzen Ehe immer noch Kontakt hat und der auch gelegentlich mit dabei ist, wenn sie ihre Mutter in Burbach besucht. Fassbinder habe sie – „sehr kleinbürgerlich“ – anderen Leuten immer als „seine Frau“ vorgestellt, was oft ein Lächeln auslöste: „Es war das Lächeln derer, die das Weibliche bei Männern verleugnen und nicht sehen können, dass nur ein Homosexueller eine Frau so sehr und so ausschließlich lieben kann.“
2018 steht Ingrid Caven noch einmal auf der Bühne, zusammen mit Helmut Berger unter der Regie von Albert Serra im Stück „Liberté“ an der Volksbühne in Berlin. Ihr 80. Geburtstag ist Anlass für zahllose Würdigungen in den Medien. Der „Tagesspiegel“ schreibt: „Dieses feine, kolibrihafte Flattern in der Stimme: Ingrid Caven war schon immer eine Schauspielerin und Diseuse, ach was, eine Diva, bei der die Membran zwischen Kunst und Leben besonders durchlässig ist. Das Vibrato als Daseinsform. […] Von Anfang an kreierte sie sich selbst, eine Kunstfigur mit kapriziösen Posen, leicht exaltierter Gestik und dem präzise dosierten Überschwang ihres zwischen Sopran und Alt changierenden Gesangs. Und doch sind ihre Figuren, ihre Auftritte immer restbodenständig.“ (RP)