geb. 6. April 1950 in Riegelsberg
Rainer G. Schmidt stammt aus dem Saarland und lebt als freier Autor und mehrfach ausgezeichneter Übersetzer in Berlin.
Gymnasium in Saarbrücken. Ab 1968 Studium der Germanistik, Kunstgeschichte, Philosophie und Soziologie in Saarbrücken, ab 1970 in Marburg, dort Erstes Staatsexamen. Ab 1976 in Berlin, verschiedene Tätigkeiten (u.a. Rundfunkarbeit) freier Autor und Übersetzer.
Im Jahr 2000 veröffentlicht Rainer G. Schmidt einen Band mit eigenen Gedichten unter dem Titel „Der Fall Schnee“. Nicht in diesem Band enthalten sind Gedichte, die Bezug aufs Saarland nehmen, etwa zur Versetzung der Schlossmauer in Saarbrücken. ZITAT
Zitat von
Die Versetzung der Schloßmauer
Die Versetzung der Schloßmauer
– nie gefährdet! –
in einen Zustand
der Entrückung, Verrücktheit
– am Platze und dennoch fehl –
Abschabung des Balgs des Bergs
Schnitt durch den Fleischkäse
Weitung des Tals
auf daß die Wasser kommen mögen
alle Jahre
auf daß die Stadt schwimme
in ihrem nassen Glück
Ich versetze mich in sie:
die Schloßmauer, als sie
versetzt wurde, und ich
– ein Schülerlein –
sie sah, beziffert
Stein um Stein
die Zukunft ausgewürfelt
mit kleinen Augen des Geworfenseins
Erinnerungssplitter –
neu geschichtet
in eleganter Fälschung
am Hang der Zeit.
Neu memoriert.
Zurückversetzt, die Steine.
Und neue Steine obenauf
die ihr Entsetzen
nach unten kehren
mit Namen von Aschenorten.
Hartes Pflaster der Gegenwart:
des Marktes Wasser rinnt ab.
UND unten sammelt sich
die Flut:
Krokodile, Penichen
schwimmen vorbei,
leicht manövrierbar –
Amphibienfahrzeuge
blenden auf
im Schlickvorhang.
Nur einen Steinwurf weit:
das Neue Paradies
der Abgespeckte Garten Eden
der Schlangenleib der Saar,
gemästet nun in
Semiramis‘ Gehänge.
Versetzte sie, die Schloßmauer,
ja, versetzte sie
im Pfandleihhaus der Zukunft
gegen Blechkarossen.
Ein Lindwurm, der sich wiegt.
Das Glück: ein Puzzle,
Scherbenhaufen.
Der Ingenieur versetzt
nun Berge.
Ja, versetzte mich in sie,
versetzte mich zurück
und gehe nochmals
diesen Weg,
vorbei an Fechtigs Apotheke –
in Erinnerung.
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knappe knappen
knapp
in den schlund hinab
kurz angebunden
an loren hunden
im seilschacht vor ort
abgehackt radebrechend
teufen ab
wie der teufel
häufen schwarzes gold
auf die kruppe
kumpel rumpeln
im dunkeln
klirrendes geschirr
gezähe schlägt
brocken los
schrämt schamlos
hämmert taubes gestein
– rotliegendes hangendes
stürzt verrutscht –
ader des bergs
die anschwillt
ader ader flöz
flankiert von salbändern
unter tage
nur nacht
nackt in der kaue dann
die knappen waschen
den schweiß
maske des toten mannes
des brotbringers
UND
Steiler steiger
Steigt
alle wetter! –
im aufzug zutage
durchstößt
mit seinem helmspitz
beinah
die stratosphäre
Anmerkung des Autors: Die Verbindung Bergbau/Weltraum wurde durch die Zeitungsmeldung angeregt, der deutsche Astronaut Reinhold Furrer (später in einem Sportflugzeug in Berlin tödlich verunglückt) plane, den Neuhausschacht im Saarland zu einem Versuchsschacht für den Freien Fall umzubauen.
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Schwarz-in-Schwarz
Zur Sonnenfinsternis
am 11.8.99
bei einem Waldstück
nahe Riegelsberg
Der Wald schiebt
ein Wolkenflöz
vor den Sonnenrest,
verhängt die Totalität.
Verschwinden des
ersehnten Gesichts:
strahlenumkränzte Maske
des Kumpels Sonne,
aus Bergestiefe gestiegen,
von der Kohle Brand
illuminiert, nun versackt
im Schatten
der Göttelborner Höhe:
eine schöne Finsternis ist das !
Karierte Blicke scharren
im Grau, wollen
daß sich der Stempel
in ihre Netzhaut präge,
daß des Himmels
schwarzes Loch
mit ihrer Pupille
in eins falle.
Köhlergläubig erwarten sie
die Verdunklung,
den Dimmer Gottes,
seinen Zeigefinger, der
über das Land streicht.
Nacht bei Tage.
Vögel stocken im Flug.
Das Pferd verhält.
Innere Funken stieben.
Kein Stern.
Strich durch die Rechnung
des Milchmädchens:
verfinsterte Verfinsterung.
Schwarz-in-Schwarz,
wie gemalt –
von Pierre Soulages.
Dann Eos‘ Rosenfinger
verkehrterweise im Westen
über den Höhen von Berus.
Veröffentlichung der Gedichte mit freundlicher Genehmigung des Autors.
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Das Übersetzen hat für Schmidt Vorrang. 1998 wird er mit dem Paul-Celan-Übersetzerpreis ausgezeichnet. 2022 erhält er die renommierteste Auszeichnung für literarische Übersetzung im deutschsprachigen Raum, den Voss-Preis. In der Begründung der Jury der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung heißt es: „Rainer G. Schmidt […] übersetzt seit vier Jahrzehnten literarisch höchst anspruchsvolle Werke französischer und englischsprachiger Literatur des 19. und 20. Jahrhunderts ins Deutsche. Oft sind es die weniger bekannten Werke bedeutender Autoren, die er der deutschsprachigen Leserschaft erschließt. […] Eine ausdrucksvolle, ideenreiche und klare Sprache zeichnen seine Übertragungen aus, auch sein großes Gespür für Takt und Rhythmus, für Nuancen und Details, das insbesondere bei seinen Lyrik-Übersetzungen zum Tragen kommt.“
Die meisten von Schmidts Büchern sind Erstübersetzungen und/oder „Entdeckungen“. Dabei besonders hervorzuheben: Herman Melville, Henri Michaux, Victor Segalen, Roger Caillois, Henry David Thoreau, Michale Palmer, Wallace Stevens (Lyrik), Gerald Murnane (ein australischer Nobelpreiskandidat). Als Neu-Übersetzungen zwei Romane von Victor Hugo. (RP)