Poetry Slam, die Dichterschlacht: Geliebt. Gelebt. Gehasst.

 

Von Mark Heydrich

Ein Poetry Slam ist ein Wettbewerb der gesprochenen Worte, eine Dichterschlacht. Poetinnen und Poeten treten mit selbstverfassten Texten gegeneinander an. Ob Lyrik, Prosa, ob Kurzgeschichte, DADA, Sprechgesang oder Beatboxing: Jede Textgattung ist zugelassen, egal ob auswendig erlernt oder von einem Textblatt abgelesen. Es gelten immer und überall auf der Welt lediglich die drei goldenen Poetry-Slam-Regeln:

1. Der Text muss selbst geschrieben sein. Fremdtexte sind nicht erlaubt.
2. Es gilt ein Zeitlimit. Dies kann immer variieren, zwischen 5 und 8 Minuten, je nach Art der Veranstaltung.
3. Kostüme oder jedwede Art von Requisiten sind verboten.

Und: Das Publikum urteilt via Punktetafeln über die Qualität des gerade Gehörten. Es ist die Jury, und jene Poetinnen und Poeten, welche sich gerade eine Runde weitergekämpft haben, werden per Applausabstimmung im Finale zur jeweiligen Siegerin oder zum Sieger gekürt.


Wie es im Saarland anfing

Die Poetry-Slam-Bewegung – 1986 von einem US-amerikanischen Dichter namens Marc Kelly Smith in Chicago erfunden – erfreut sich ungebrochen großer Beliebtheit. Die deutschsprachige Slam-Szene gilt inzwischen als eine der größten der Welt, und 2016 wurden deutschsprachige Poetry Slams gar in das bundesweite Verzeichnis des immateriellen Kulturerbes der UNESCO aufgenommen.

Im Saarland existiert Poetry Slam als Literaturformat seit dem Jahr 2001. In jenem Jahr fand in Saarbrücken der erste Slam im Saarland überhaupt statt, ausgetragen im Café Ubu Roi im Nauwieser Viertel.

Nach mehreren vereinzelt stattfindenden Veranstaltungen gleicher Art – ausschließlich in Saarbrücken – gründeten 2008 die Freunde Hauke Trustorff und Christoph Endres das Netzwerk „Dichterdschungel“. Ihr Ziel war es, Slam-Kultur ins Saarland zu bringen und einen regelmäßig stattfindenden Poetry Slam in Saarbrücken zu etablieren.

Ein Jahr später gründeten zudem die Freunde Kay von Reisen, Rike Reinau und Anni Tasdöttir den „Poetry Club“, eine offene Bühne für Kleinkunst in Saarbrücken, zunächst im Nachtklub „Modul“ und anschließend bis 2011 im Bistro „Malzeit“.

Der Poetry Slam „Dichterdschungel“, der sich rasch großer Beliebtheit beim Publikum erfreute, musste aus Platzgründen vom alten Theater im Viertel in den großen Saal des Programmkinos „Camera Zwo“ übersiedeln. Auch bei den Slammern und Slammerinnen selbst, regional wie überregional, war der Slam äußerst beliebt. Die Veranstaltung fand dreimal im Jahr statt und war über Jahre hin regelmäßig ausverkauft. Die Eintrittskarte fungierte als Stimmzettel. Zehn Poetinnen und Poeten – regional wie überregional – hatten jeweils 7 Minuten Zeit, um ihre Texte zu performen. Es galten wie immer die drei goldenen Regeln.

Bei Überschreitung des siebenminütigen Zeitlimits, betrat das Maskottchen des Dichterdschungels – ein Mensch in einem Gorillakostüm, gespielt von Peter Leinen – die Bühne und bedeutete der jeweiligen Performerin oder dem jeweiligen Performer, den Vortrag doch bitte jetzt langsam zu beenden. Im Anschluss zückten die Zuschauer ihre Eintrittskarten und gaben der Slammerin oder dem Slammer Punkte von 1 bis 10. Diese wurden dann in der darauffolgenden Pause ausgewertet, mit dem Resultat, dass vier Poetinnen und Poeten weiterkamen. Die Gewinnerin oder der Gewinner wurde schließlich per Applaus ermittelt. Zu gewinnen gab es beim saarländischen Poetry Slam „Dichterdschungel“ eine goldene Medaille mit Gorillakopf am roten Band. So weit, so gut.

 

Was gute Slam Poetry ausmacht

Poetry Slam. Geliebt. Vom Publikum. Meint man Poetry Slam, so meint man die Veranstaltung als solche. Und diese lebt von Zuschauern, die, ob man will oder nicht, unweigerlich Teil des jeweiligen Textes und der damit einhergehenden Performance werden. Ein guter dynamischer Vortrag, wobei der Text Tempo und Rhythmus vorgibt, ist stets zu empfehlen und kann auch einen stilistisch oder gar thematisch schwachen Text oftmals aufwerten.

Slam Poetry ist Text, der für den Vortrag verfasst wird und der sich, streng nach Regelwerk, in einem klar abgesteckten Zeitraum abspielen muss. Daher sollte sich sein Inhalt auf das Notwendige beschränken. Der Text muss den Zuhörer unmittelbar in seinen Bann ziehen. Dabei wäre es falsch anzunehmen, dass nur humoristische Texte beim Publikum gut ankommen. Auch ernsthafte Themen, ob nun sozialkritischer, politischer oder religiöser Natur werden auf den Bühnen zu Gehör gebracht. Und da sie ja für den Vortrag verfasst werden, unterscheiden sie sich bereits darin von „klassischer“ Literatur aus der Feder von konventionellen Schriftstellerinnen und Schriftstellern, welche ihre jeweiligen Texte bereits mit der Absicht schreiben, diese in Papierform, sei es in Zeitschriften oder Büchern, zu veröffentlichen. Bei Slam Poetry ist das anders, womit nicht gesagt ist, dass Slam-Texte nicht auch in Zeitschriften oder Büchern, Anthologien etwa, erscheinen können. Nur entfalten sie naturgemäß erst ihren vollen Reiz, wenn man sie von ihren Schöpferinnen und Schöpfern selbst hört. Live, vor Publikum. 


Die liebe Slamily

Gelebt. Von den Slammerinnen und Slammern. Der Slam-Communit, liebevoll „Slamily“ genannt. Ein Kreis, ein Schmelztiegel von Personen, die sich auf unterschiedlichste Art und Weise mehr (oftmals sogar sehr) oder weniger professionell mit Poetry Slam beschäftigen. Sei es als Auftretende und Auftretender, die und der kreuz und quer durch die Republik und darüber hinaus reist und Auftritte absolviert. Sei es als Moderatorin und Moderator und damit Slam Master, also Veranstalter von Slams selbst, die aber alle etwas eint: Poetry Slam als Chance zu sehen. Als Sprungbrett. Als ein dynamisches Ausloten der eigenen Fähigkeiten.

Bekannte Namen aus der Kabarett-, Literatur-, Film- und Comedyszene wie Sebastian Krämer, Michael Lentz, Marc-Uwe Kling, Nico Semsrott, Felix Lobrecht, Hazel Brugger oder Till Reiners eint das Entdecken der eigenen Fähigkeiten durch die Teilnahme in frühen Jahren an Poetry Slams. Man slammt und slammt und wird Teil eines großen Netzwerks, das einem so manche Tür, manchmal auch ganz andere Türen, öffnen kann. Slammer performen für ihr Leben gern. Auch das unterscheidet sie von konventionellen Schriftstellerinnen und Schriftstellern, die nicht selten so gar nicht gern ihre Texte vor Publikum verlesen.


Manche mögen keine Poetry Slams

Gehasst. Wo wir gerade von SchriftstellerInnen sprechen. Aus meiner Erfahrung, können „konventionelle“ AutorInnen dem Format Poetry Slam meistens nicht viel abgewinnen. Ausnahmen gibt es natürlich immer.
Poetry Slam wird immer noch dafür gescholten, die ohnehin immer weiter sinkende Aufmerksamkeitsspanne des Publikums, insbesondere auch von Kindern und Jugendlichen, noch zu befördern. Das auf der Bühne den Zuschauern Präsentierte verkomme zu reinem Entertainment ohne Tiefgang. Wie auch, in solch einem kurzen Zeitraum?
Es gibt viele Gründe Poetry Slam nichts abgewinnen zu können. Aber noch einmal: Es geht um das Netzwerk. Connections. Meet and greet. Ich tue etwas für dich, tue doch bitte auch etwas für mich. Netzwerk, Netzwerk. Auftreten und natürlich auch alles, was damit zusammenhängt: Reisen, Fahrtkostenerstattung, neue Orte, Catering, feiern, Hotelzimmer: Ich lebe.
Poetry Slam hat viele Facetten: Science Slams, Singer-Songwriter Slams, Comedy Slams, Diary Slams, Dead or Alive Slams: Alles Türen.
Get in the ring or not, sage ich, oder, wenn wir mit Hazel Brugger unnachahmlich böse und urkomisch bemerken:
„Poetry Slam. Die Paralympics der Literatur.“

Der Verfasser Mark Heydrich gilt als „Altmeister des Poetry Slam im Saarland“ („Saarbrücker Zeitung“). Sein Beitrag wurde erstellt im Mai 2024. Foto Startseite © Martin Ruppert.

Weiterführende Links zu Poetry Slam im Saarland:

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