Albrecht Buschmann

geb. 5. Aug.1964 in Neunkirchen/Saar

„Nirgendwo wird so gut übersetzt wie in Deutschland. Es merkt nur keiner“, sagt Professor Albrecht Buschmann von der Universität Rostock. Als Übersetzer des Spaniers Max Aub greift er auf seine praktische Erfahrung zurück, auch wenn er wissenschaftlich zum Thema Übersetzen arbeitet. Dabei beschäftigen ihn u.a. die Fragen, warum Übersetzer und ihre Arbeit kaum oder falsch wahrgenommen werden und: Was ist überhaupt gutes Übersetzen?

Das Gefühl für Sprache ist Buschmann ein Stück weit in die Wiege gelegt. Beide Elternteile waren Journalisten. Der Vater, Paul Kaps, war lange Jahre bei der „Rheinpfalz“, die Mutter, Annemarie Buschmann, ist im Saarland vielen noch als Redakteurin im Feuilleton der „Saarbrücker Zeitung“ bekannt. Albrecht Buschmann wächst in Saarbrücken auf („zeitweise unter den Schreibtischen der Redaktion in der Gutenbergstraße“ – A.B.), besucht die Grundschule auf dem Rodenhof und anschließend das Ludwigsgymnasium; Abitur macht er 1983 am Johanneum in Homburg.

Von 1984 bis 1991 Studium der Romanistik und Islamkunde an der Universität des Saarlands, u.a. bei > Wilfried Böhringer, sowie in Granada und in Paris. Nach der Magisterprüfung 1991 bleibt er zunächst als Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Saarbrücker Uni und wechselt 1993 an die Uni Potsdam, wo er 2003 mit einer Arbeit über „Detektorisches Erzählen bei Leonardo Sciascia und Manuel Vazquez Montalban“ promoviert wird. 2009 Habilitation an der Universität Potsdam; Titel der Arbeit: „Max Aub und die spanische Literatur zwischen Avantgarde und Exil.“ Seit 2010 leitet Buschmann den Lehrstuhl für spanische und französische Literatur- und Kulturwissenschaft an der Universität Rostock.

Der Übersetzer

1991 ist Spanien Gastland und Schwerpunktthema der Frankfurter Buchmesse. Im Piper-Verlag erscheint aus diesem Anlass eine Anthologie mit dem Titel „Die Orange ist eine Frucht des Winters“, ein „spanisches Lesebuch“, das 39 Erzählungen aus der Zeit zwischen 1910 und 1990 versammelt, herausgegeben von Mercedes Figueras. Mit der Übertragung von zwei Erzählungen von Juan Pedro Aparicio und Juan José Millás tritt Albrecht Buschmann hier erstmals als Übersetzer auf. Zusammen mit > Eugen Helmlé arbeitet Buschmann in der Folge an der Übertragung von Max Aubs Roman „Jusep Torres Campalans“, die 1997 im Frankfurter Eichborn Verlag erscheint. 2003 jährt sich der Geburtstag Aubs (A.B.: „einer der wichtigsten Autoren des spanischen Exils“) zum hundertsten Mal. Mit seiner Frau, der Übersetzerin und Autorin Stefanie Gerhold, überträgt Buschmann bis zum 100. Geburtstag des Spaniers dessen „Magisches Labyrinth“ (siehe Bibliografie), einen sechsbändigen Romanzyklus über den spanischen Bürgerkrieg. Für ihre Übersetzung des Romans „Bittere Mandeln“ werden sie 2003 mit dem Übersetzerpreis der Spanischen Botschaft in Deutschland ausgezeichnet.

Der Übersetzungswissenschaftler

Nirgendwo werde so gut übersetzt wie in Deutschland, sagt Albrecht Buschmann im Vorwort des von ihm herausgegebenen Buches „Gutes Übersetzen – Neue Perspektiven für Theorie und Praxis des Literaturübersetzens“. Und er fährt fort: „Nirgendwo wird so gut und so viel übersetzt wie bei uns.“ Deutsch ist tatsächlich die häufigste Zielsprache belletristischer Übersetzungen. Laut einer Erhebung des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels bewältigen literarische Übersetzer in Deutschland, Österreich und der Schweiz Jahr für Jahr etwa 4.000 belletristische Titel. Trotzdem wird der Berufszweig kaum wahrgenommen, weder vom breiten Publikum noch von der Wissenschaft. Laut Buschmann „herrscht zwischen der akademischen Wissenschaft und den literarischen Übersetzern bestenfalls freundliches Desinteresse“.

Dieses beiderseitige Ignorieren hat aus Buschmanns Sicht ganz banale Gründe. „Literarische Übersetzer können es sich schlicht nicht leisten, für die Wissenschaft zu arbeiten, denn sie sind selbständige Kleinunternehmer, die nach Zeilenhonorar entlohnt werden. Für sie bedeuten […] drei Tage Anwesenheit bei einer wissenschaftlichen Konferenz […], dass ihnen am Ende des Monats einige hundert Euro Einnahmen fehlen.“ Die Wissenschaftler andererseits stützen sich weitgehend auf publizierte, zitierbare Quellen und werden deshalb bei den Übersetzern selten fündig. Das „in praktischer Arbeit gewonnene Wissen vom Übersetzen“ wird von den Akademikern nicht wahrgenommen. Den Dialog zwischen beiden Gruppen zu befördern und dieses Wissen zugänglich und verwertbar zu machen, ist eins der von Buschmann formulierten Ziele.

Daneben beschäftigt ihn auch die Frage, wie Übersetzer außerhalb der akademischen Welt, also vom breiteren Leserpublikum, wahrgenommen werden. In einem Aufsatz mit dem provokanten Titel „Dienstboten, Kuppler, Verräter. Warum Übersetzer moralisch im Zwielicht stehen und kulturgeschichtlich unsichtbar bleiben“ betrachtet Buschmann Ansehen und soziale Stellung des Berufsstands über Jahrhunderte hinweg und konstatiert, dass ihm pauschal „ein schlechter Ruf“ anhänge. Voltaire etwa wird der Ausspruch zugeschrieben: „Übersetzer sind wie Frauen; die Schönen sind untreu, und die Treuen sind hässlich.“

Als bloße Dienstboten diskreditiert, als Trickser oder Falschmünzer verleumdet, erfährt die schöpferische Leistung des Übersetzers keine Anerkennung. Er ist nicht systemrelevant, in der Regel namenlos und mangels ikonischer Zeichen seines Berufsstands für die Öffentlichkeit unsichtbar. Die Saarbrücker Übersetzerin > Vera Loos spricht vom „Schattenmenschen“, der seine Sache gut gemacht hat, „wenn man ihn nicht sieht“. Aufmerksamkeit, sagt Buschmann, erregen bestenfalls quantitative Ausreißer, beispielsweise die Übertragung eines zweitausend Seiten mächtigen Opus, die zehn Jahre in Anspruch genommen hat. Oder die kongeniale Neuübersetzung eines Klassikers. Solche Leistungen lassen den Übersetzer kurz aus dem Schatten ins Rampenlicht der Verlagswerbung treten.

Auch in Bibliotheken, stellt Buschmann fest, ist der Übersetzer praktisch nicht auffindbar. Die bis Ende des 20. Jahrhunderts in Deutschland gültigen Preußischen Bibliotheksregeln verlangten nicht, dass der Übersetzer eines fremdsprachigen Werks im Katalog erfasst wurde. Das immerhin habe sich geändert – im Jahr 2019.

Eine weitere der „großen Lügen über das Übersetzen“ (A.B.) ist wohl auf die Genie-Ästhetik der Romantiker zurückzuführen und lautet: „Originale reifen, Übersetzungen altern.“ Dem setzt Buschmann polemisch zugespitzt entgegen: „Originale verdunkeln, Übersetzungen erhellen.“ Mittelhochdeutsche Lyrik mag für den Studenten der Germanistik lesbar und verstehbar sein; eine (professionelle) Übersetzung ins Neuhochdeutsche kann aber Zweifel beseitigen und den Text in einem anderen Licht erscheinen lassen. „Originale“ von Shakespeare werden von Literaturwissenschaftlern und Übersetzern ständig revidiert. Heutige Engländer sind nicht in der Lage, Texte des Elisabethaners ohne Hilfsmittel zu lesen und zu verstehen. Hier ist die intralinguale Übersetzung ein wichtiges Werkzeug.

Neben der „Theorie und Praxis des Literaturübersetzens“ gehören zu den Schwerpunkten von Buschmanns Arbeit an der Universität Rostock „Transareale Literatur- und Kulturgeschichte“ (Hispanische Literaturen zwischen Avantgarde und Exil); „Formen und Ideologien des detektorischen Erzählens“, also Kriminalliteratur oder Literatur, die Gewalt verarbeitet indem sie sie „als Rätsel erzählt und so kognitiv lösbar macht“. pmk