geb. 17. Nov. 1917 in Einöd, gest. 16. Febr. 1997 in Zweibrücken
Erni Deutsch-Einöder war eine saarpfälzische Schriftstellerin, die autobiografische wie regionale Motive in ihre Arbeit einfließen ließ.
Unter dem Pseudonym Erni Einöder begann sie, gerade 13 Jahre alt, mit ersten literarischen Versuchen, die in regionalen Tageszeitungen auch veröffentlicht wurden. Ihr Vater stammte aus Frankreich, die Mutter aus dem saarpfälzischen Einöd. Die Volksschule besuchte sie in ihrem Geburtsort, der damals unmittelbar an der Grenze zwischen dem Saargebiet und dem Deutschen Reich lag und in dem es über ihre Kindheit und Jugend hinweg eine stets vielfrequentierte Zollstation gab. Ihre weitere Ausbildung führte sie über einen einjährigen Cours complémentaire im lothringischen Merlebach über Metz, Straßburg bis nach St. Etienne, wo sie drei Jahre lang auf Berufe in Werbung, Dekoration und Zeitungswesen vorbereitet wurde. Es folgten Tätigkeiten in Jugendverbänden und Pressearbeit, wobei sie bis 1945 in St. Avold lebte.
Nach dem Zweiten Weltkrieg ließ sich die perfekt zweisprachige Autorin in Zweibrücken nieder, dort war sie als Dolmetscherin und Übersetzerin, aber auch weiterhin in den Bereichen Werbung und Dekoration tätig. Von 1965 an war sie bis 1977 Geschäftsführerin der Zweibrücker Volkshochschule. Zudem engagierte sie sich über einige Jahre hinweg als Vorsitzende der dortigen Sektion des Literarischen Vereins der Pfalz, an dessen Wiedergründung sie nach 1945 maßgeblichen Anteil hatte: Zeitlebens galt sie als die „Mutter“ der Organisation.
Als Schriftstellerin trat sie etwa ab 1950 unter ihrem Pseudonym „Deutsch-Einöder“ in Erscheinung. Ihre Erzählungen, Kurzgeschichten und Essays, Gedichte und Miniaturen wurden von Zeitungen und Zeitschriften abgedruckt und fanden ihr Publikum auch über das Radio. Das Themenspektrum, dem sie sich widmete, war sehr breit gefächert: schicksalhafte Episoden aus dem Leben von Menschen verschiedener Herkunft und Mentalität, intensive Charakterstudien und Perspektiven in die Psyche ihrer Protagonisten, die jedem angeborene Suche nach Glück, das freilich nicht jedem winkt – das sind die markanten Merkmale ihrer Literatur. In präziser und unkomplizierter Sprache, aber mit durchaus modernen Erzähltechniken (innere Monologe, erlebte Reden) lässt sie ihre Leser über Sinnfragen reflektieren.
Dabei greift sie durchaus auf autobiografische wie auf historische Motive der Region zurück. ZITAT
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Totenpfuhl im Limbacher Wald
Auf der Hochzeit des Zacharias Herzog mit der Jungfer Maria-Sophie Schwender war’s lustig zugegangen. Die Vettern und Basen in der Nachbarschaft konnten zwar alle ein Schlücklein vertragen. Aber mancher hatte den Mund doch allzu voll genommen.
Die den weitesten Heimweg hatten, hatten’s am tollsten getrieben. Sie hatten vor Nacht und Nebel keine Angst, und von jenen schillernden Wesen, die oft nächtlichen Zechern das Verderben brachten, wollten sie nichts wissen. Der Bauer Balthasar kletterte zuerst auf das Gefährt. Die Schimmel schüttelten unwillig die Mähnen, und ihr Wiehern klang ängstlich in die Nacht. »Hör, Balthes, deine Rößlein fürchten sich schon beizeiten! « höhnte der dünne Wallacher-Sepp.
»Bleib lieber da und schlaf deinen Rausch aus! «Der Gefoppte drohte mit der langen Peitsche. »Schneiderlein, Schneiderlein, meine Schimmel haben mehr Mut als dreißig Lappenflicker zusammen! « »Üho! « winselte der windige Schneider. »Dann laß sie erst in den Limbacher Wald kommen, jetzt um Mitternacht, da wird dir dein Großmaul vergehen!« »Was ist mit dem Limbacher Wald?- Der ist ein Wald wie die anderen. Meine Pferde haben schon dickere Bäume gesehen! « Den Balthasar schüttelte das Lachen. »Kommt, setzt euch rauf, Brüder. Wollen es dem Schneider zeigen, daß wir auch auf dem Waldweg kutschieren können! « Die Freunde krochen. auf den stattlichen Wagen. Singend und gröhlend fuhr man davon. Die in Kirkel Zurückgebliebenen schlugen heimlich ein Kreuz. Als das Dorf hinter ihnen lag und sie nahe am Wald waren, verhielten die Pferde. Keines wollte mehr weiter. Der dicke Balthasar stieg vom Wagen und fluchte: »Donnerkeil und Gewitter noch mal, soll denn der miese Schneider recht behalten mit seinem Geflunker!- Vorwärts, Hexe und Senta! «- Die weißen Stuten rührten sich nicht. »Hol euch der Teufel! « schrie da der Bauer wie von Sinnen. Sein trunkener Atem stieg den Pferden in die Nüstern, so daß sie sich hoch aufbäumten. Von neuem schwang sich der Bauer auf den Bock. Wie ein Besessener gebrauchte er die lange Peitsche. Mit einem Male zogen die Pferde an. Das war kein gemütliches Fahren mehr. Holpernd und polternd jagte der Wagen den sandigen Weg hinauf. Die Pferde schienen taub zu sein. Sie hörten auf keinen Zuruf. »Ah-hüh« schrie der Balthasar-Bauer, »nicht so schnell, ihr Braven« Die Freunde mit ihren Weibern dünkten sich in einem verhexten Gefährt. Die Zweige der Fichten und Buchen schlugen nach ihnen, zerkratzten den Frauen die Wangen und streiften den Männern die runden Hüte vom Haupt.
Der Rosselenker zerrte die Zügel gegen die Brust. Er war plötzlich so nüchtern, als hätte er nicht viele Humpen über seinen Durst getrunken, sondern seit Jahr und Tag keinen Tropfen angerührt. Der Wald wurde immer dichter. Die Baumkronen ließen keinen einzigen weißen Stern auf den Weg schimmern. So pechschwarz war die Nacht, daß Balthasar beim Rückwärtsschauen keinen von seinen Kumpanen mehr erkennen konnte. Nur ihre Stimmen konnte er hören, und die Stoßgebete der verzagten Frauen. Wenn wir nur erst auf der großen Lichtung wären, am Kreuzweg, dachte der Bauer. Indem er sich krampfhaft an den Zügeln hielt, schrie er, so laut seine Stimme vermochte: »Die Lichtung! – Die Lichtung!«
Er hatte so geschrien, daß sie’s drüben im Dorf noch hörten, als sie sich rüsteten, zu Bett zu gehen. Die Beherzten langten nach ihren Stiefeln, und eine Schar machte sich auf den Weg, mit Äxten und Dreschflegeln.
Diejenigen, die Laternen trugen, folgten den breiten Wagenspuren im Sand. Einer wollte wieder umkehren. Es war der dünne Schneider, den die Furcht mitgetrieben. Die anderen packten ihn. »Schneiderlein, Schneiderlein«, sagte der grobe Schmied und fuhr ihm mit der ranken harten Rechten über den Mund, »hast ein loses Maul und wenig Mumm in den Knochen, aber das mußt du doch mit austunken, was du uns und den anderen eingebrockt.«
Der Schneider zitterte wie Espenlaub. Man war noch nicht bis zu den sieben Fichten gekommen, als die Wagenspur plötzlich aufhörte. Dafür hörten die wackeren Kirkeler seitab einen gurgelnden Laut. Sie drangen durch Gebüsch und Niederholz – und fanden einen ihnen bis auf diesen Augenblick unbekannt gewesenen großen Tümpel. Einen Wasserpfuhl, so unheimlich und schaurig im rötlichen Schein der Laternen zu schauen, daß ein jeder hätte glauben mögen, hier und nirgends sonst sei das Höllenloch.
Noch einmal kam ein erstickter Ton aus der Tiefe, und eine weiße Wasserqualle zeigte sich in dem finsteren Teich. Die Männer sahen sich an, nahmen ihre Mützen ab und murmelten ein leises Gebet. Die Seelen der Ertrunkenen im Totenpfuhl konnten lange die Ruhe nicht finden. Manchmal hörte man drüben im Dorf ein Weinen und Klagen, das aus der Richtung des Totenpfuhls kam. Dann sagten die alten Leute: »Die armen Seelen rufen um Hilfe.«
Meine Großmutter hat immer noch ein Licht angesteckt in einer solchen Nacht. Das hat sie ans Fenster gestellt. Es sollte den armen Seelen sagen, daß man in einem christlichen Haus ihrer gedenke, denn mein Großvater war ein Nachkomme jenes Zacharias Herzog, auf dessen Hochzeitstag die munteren Gäste den schaurigen Tod gefunden.
Aus Erni Deutsch Einöder: Wege, die nach Hause führen. Ostfildern, 1980, S. 55-59
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Als begeisterte Gartenbesitzerin in Zweibrücken verfasste Erni Deutsch-Einöder auch Naturlyrik. „Unser sind die Ähren / Auf dem roten Feld / unser alle Hügel / In das Blau gestellt …“, beginnt beispielsweise ihr „Morgenspruch“. Für ihr literarisches Schaffen erhielt sie zahlreiche Preise.
Erni Deutsch-Einöder fand ihr Grab 1997 auf dem Friedhof ihres Geburtsorts. (MB)