geb. 18. Juli 1973 in Braunschweig
Rechtsanwalt, Prosaautor, Performer, Künstlerhaus-Vorsitzender
Was seine Biografie angeht, sind in seinen Büchern oder auf der Website des Schriftstellerverbandes statt Fakten nur launige Bemerkungen zu finden, die aber ein Licht auf das Selbstverständnis des Autors werfen. Das gilt auch für die Antwort auf die Anfrage von LITERATURLAND SAAR (siehe ZITAT unten). Jedenfalls kam Hans Gerhard 1996 zum Jurastudium nach Saarbrücken.
Dem Schriftsteller Hans Gerhard ist die Show-Seite der Literatur nicht fremd. Er tritt erfolgreich als Poetry-Slammer auf, moderiert später solche Veranstaltungen – bis 2006, wo er aufhört mit der Begründung: „Weil Slams Comedy geworden sind.“ Der Fußball-Fan kommentiert auch mal live in der Kneipe eine Spielübertragung aus dem Fernsehapparat, dessen Ton abgeschaltet ist, und rezensiert eine Zeitlang, frei formulierend, ebenfalls in der Kneipe, für das SR-Fernsehmagazin „Kulturspiegel“ Bücher seiner Kolleginnen und Kollegen..
Aber – und vor allem: Er schreibt Erzählungen. Für die Erzählung „Flachs und Lärchen“ um Arbeiter in russischer Kriegsgefangenschaft erhält er 2010 den Hans-Bernhard-Schiff-Literaturpreis. Ab August 2010 wirkt er ein Jahr lang als Saarbrücker Stadtteilautor für das Nauwieser Viertel und liefert die versprochenen 24 Kurzgeschichten ab – aber der Stadtrat ist enttäuscht, weil Hans Gerhard es sich erlaubt hat, in der ursprünglich als Literaturförderung geltenden Funktion auch Fiktionales zu schreiben statt einer rein sachlichen Dokumentation. Die Texte sind unter dem Titel „Alles was wir brauchen“ in Buchform erschienen.
Von 2013 bis zu seinem Rücktritt im Februar 2022 ist Hans Gerhard Vorsitzender des Saarländischen Künstlerhauses.
In den Texten des Bandes „Glaub’s mir halt“ begibt der Autor sich als Ich-Erzähler häufig in die Rolle von Jugendlichen vom Dorf oder aus der Kleinstadt und lehnt sich an deren Jargon an. Da wird viel Dosenbier getrunken und gekotzt, Wirklichkeit und Film werden durcheinandergebracht, und jemandem ist alles „scheißegal“. Es sind Milieus und Situationen, die von der Literatur eher selten beleuchtet werden: u.a. das Aufnahmeritual in die Gruppe („du musst jetzt endlich mal gefickt haben“), nachts an der Tankstelle, an der Wohnungstür mit dem Pizzaboten, nach dem Fußballspiel, beim Schminken vor dem Spiegel. Die Protagonisten sind Außenseiter („Schon nicht so toll, wenn man uncool ist, aber was will man machen.“) auf der Suche nach Glück, Sinn, Identität, Liebe. Hans Gerhard macht düstere Zustandsbeschreibungen, er zeigt keine Entwicklung, keine Lösung, liefert keine Moral. „Irgendwann ging ich einfach so nach Hause, nur um irgendwann wiederzukommen. Wie wir immer wiederkommen, und wie es halt so weitergeht, ich erspare mir jetzt diesen Wie-es-eben-so-weitergeht-Scheiß, weil ja jeder weiß, wie es immer so weitergeht und nicht aufhört, nie. 2017 hat Hans Gerhard im Conte-Verlag seinen dritten Prosaband veröffentlicht. (RP) ZITAT
Zitat Hans Gerhard:
Auf unsere Frage nach Geburtsdatum und Geburtsort schickt Hans Gerhard uns am 5.7.2016 folgende Mail – gemeint als Parodie auf unser literaturtopographisches Konzept. Seine Antwort soll hier gleichzeitig auch als Textprobe stehen:
Geburtstag ist der 18.07.1973, Geburtsort ist Braunschweig. Meine Eltern wohnten seinerzeit in der Wendenmaschstraße, das Krankenhaus, Herzogin-Elisabeth-Heim, war damals, glaube ich, in der Fasanenstraße oder auf jeden Fall in der Ecke, aber inzwischen ist es in Heidberg (Achtung: nicht AM Heidberg, der ist ganz auf der anderen Seite, am Schulzentrum, genauer gesagt Anklamstraße, den meisten ist das gar nicht bewusst, jedenfalls sagt man tatsächlich IM Heidberg und meint den Vorort. Wobei – mir fällt gerade ein, es könnte technisch gesehen auch noch Melverode sein, also wo das Krankenhaus jetzt ist, aber das kann ich ermitteln, genau wie die Straße, in der es sich damals befunden hat, wie gesagt, wahrscheinlich Fasanenstraße, das ist auf jeden Fall in der Nähe des Staatstheaters, über das Oberhauser mit Sicherheit zu berichten gewusst hätte, dass dort Faust und Emilia Galotti uraufgeführt worden sind. Und einer der ersten Direktoren war wahrscheinlich Bonaventura, der mit den Nachtwachen. *) Es könnte, wenn ich ganz ehrlich bin, auch der Urfaust gewesen sein, das müsste man recherchieren. Aber Emilia Galotti bestimmt! Lessing liegt dreihundert Meter entfernt begraben, auch das findet sich sicher bei Oberhauser **), genau wie die Tatsache, dass schräg gegenüber des kleinen Friedhofs, das ist der in der Nähe der Stadthalle, Wilhelm Raabe gewohnt hat! ***) Was sagt man dazu? Man kann die Wohnung besichtigen, da wurde ein kleines Museum eingerichtet. Wo war ich? Genau. Mein Geburtsort. Fasanenstraße wahrscheinlich, das ist schon östliches Ringgebiet, wie gesagt, unweit des Staatstheaters. Anders als die Nachtwachen des Bonaventura vermuten lassen, wurde ich übrigens am Nachmittag geboren, laut meiner Oma, den Wochentag wusste ich mal, aber da gibt es so eine Seite im Internet, da kann man nachschauen.****) Und es gibt einen Autisten, einen Savant, der kann das blitzschnell ausrechnen, man sagt ihm irgendein Datum und wie aus der Pistole geschossen sagt er den Wochentag und es stimmt immer. Wahnsinn! Die Wendenmaschstraße, also da, wo meine Eltern gewohnt haben, ist, das hatte ich noch vergessen, im nördlichen Ringgebiet, am sog. Affenfelsen (ein Studentenwohnheim), grobe Richtung Eintrachtstadion, aber auf der Seite der Feuerwehrhauptwache, ich glaube, die ist immer noch da. Postleitzahlen nützen Euch nichts, damals war das alles noch 3300. Ob es irgendwann einmal so etwas wie „Braunschweig 4“ gegeben hat, weiß ich beim besten Willen nicht, aber das krieg ich raus, das steht bestimmt auch im Internet. Wenn es so eine Seite noch nicht gibt, hätten wir, glaube ich, eine echte Marktlücke. Braunschweig war damals wahrscheinlich kreisfreie Stadt, wie heute, aber es war mal zwischendrin ein Landkreis, oder umgekehrt, aber heute müsste es ziemlich sicher kreisfrei sein. Sonst schreibt einfach Niedersachsen. Süd-Ost-Niedersachsen. Egal – so viel zum Geburtsort, das war jetzt komplizierter als ich dachte, sorry, aber da darf man sich keine Ambiguitäten erlauben, finde ich. Zum Rest meines Lebens führe ich dann in der nächsten Mail aus. *****)
Zitat mit freundlicher Genehmigung des Autors
*) „Nachtwachen / von Bonaventura“, um 1804 anonym erschienener satirischer Roman, von der neueren Forschung dem Braunschweiger Dichter und Theaterdirektor August Klingemann zugeschrieben
**) In der Tat. Im „Literarischen Führer Deutschland“ ist nachzulesen: Gotthold Ephraim Lessing kam von Wolfenbüttel aus oft nach Braunschweig, wo 1772 im Opernhaus am Hagenmarkt seine „Emilia Galotti“ uraufgeführt wurde. Er starb am 15.2.1781 während eines Besuches in Braunschweig. Grab auf dem Magnifriedhof.
***) „Wilhelm Raabe wohnte seit Juli 1870 in Braunschweig, im Südosten der Stadt, dem sog. Krähenfeld, das er 1879 als Titel für einen Erzählzyklus wählte.“ (Oberhausers Lit. Führer)
****) Der 18.7.1973 war ein Mittwoch – nachzulesen auf mehreren Internetseiten.
*****) Eine Mail von Hans Gerhard mit der versprochenen Klärung der von ihm offen gelassenen Fragen und mit der Fortführung des Lebenslaufs hat uns bis heute nicht erreicht.
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