geb. 28. Januar 1954 in Brücken, Kreis Kusel

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Prosaautorin mit Spezialgebiet scheiternde Paarbeziehungen
Ab 1972, zunächst zum Studium (Germanistik, Sozialkunde, Philosophie), in Saarbrücken. Gründung des Saarländischen Literaturbüros zusammen mit Dirk Bubel und Annette Keinhorst (Keinhorst siehe THEMEN-Beitrag FrauenGenderBibliothek). Wissenschaftliche Mitarbeiterin der Universität des Saarlandes. Kunsttherapeutische Ausbildung am Fritz-Perls-Institut Köln. Lebt in Saarbrücken und Mainz.
Nach zahlreichen Veröffentlichungen im Hörfunk, in Zeitschriften und Anthologien erscheint 1999 ihre erste selbständige belletristische Veröffentlichung, die Erzählung „Die Fliege“, in der Buchreihe des Saarländischen Schriftstellerverbandes: die Rollenprosa einer Frau in der Psychiatrie, die unter der Zwangsvorstellung leidet, sie habe einen gewissen Albin getötet, und der die Kommunikation mit der jungen Ärztin, die ein Gutachten über sie schreiben soll, nicht gelingt: „Wie Raum und Zeit verhäkelt sind. Das interessiert sie nicht. Wie Ereignisse sich in diesen Maschen fangen gleich Fliegen in einem Spinnennetz.“
Auch in „Schollenabbruch“ geht es um Verstörte, um ihre Identität Ringende, ihre Balance Suchende; aber der Ansatz der vier Prosastücke ist erzählerischer, versucht weniger, den Seelenzustand der Protagonisten auch in der Form widerzuspiegeln.
Obwohl im gleichen Jahr 2009 erschienen wie „Schollenabbruch“, lesen sich die Texte in „Arglose Träume“ wie eine erzählerische Weiterentwicklung. Rätselhaftigkeit ist zum Spannungsfaktor geworden. Fast durchweg geht es um das eine Thema: schwierige Paarbeziehungen, komplizierte Drei- oder Vierecksverhältnisse in Momentaufnahmen nach dem Scheitern. Der Band enthält 24 kurze „Geschichten ohne Ende“ (Untertitel), die sich jeweils wie Bruchstücke eines Romans lesen, stilistisch ausgefeilt, die Pointen nicht am Ende, sondern mittendrin: „Wahrscheinlich hat er sich nur versprochen. Aber wem?“
2020 veröffentlicht Marcella Berger einen weiteren Prosaband: „Die Frauen des Dulders“, laut Untertitel „Geschichten nach Homer“. Der „Dulder“ ist Odysseus, um den herum sich bei Homer die Frauen gruppieren. Bergers Geschichten spielen alle in der Gegenwart, zu ihrem Verständnis ist die Kenntnis des antiken Stoffes förderlich, aber nicht unbedingt notwendig. Der emeritierte Professor für Germanistische Sprachwissenschaft Gerd Antos, der früher auch an der Saar-Uni gewirkt hat, erläutert im Nachwort, „dass hier die zwei weiblichen Archetypen Circe und Penelope gegenübergestellt werden“: Circe als Verführerin und Verderberin des Mannes, Penelope als die ergebene Gattin. Entsprechend sind die acht Geschichten eingeteilt in „Circe-Variationen“ und „Penelope-Variationen“, hinzu kommen zwei „Epilog“-Texte.
Antos: „Aber die Perspektive hat sich seit Homer verändert: Bei Marcella Berger kreisen Frauen nicht um den Abenteurer und Dulder, sondern Abenteurer und mögliche Helden kreisen hier um verschiedene Frauen. […] Wie in der Illias und in der Odyssee geht es vorherrschend um die klassischen Themen Liebe, Verführung, Eifersucht und Treue, gepaart mit der Aufklärung eines Mordes.“
In „Rasante Rhapsodien“ (2023) bleibt Marcella Berger ihrem Thema der Frau-Mann-Beziehungen treu. Treu ist die Ich-Erzählerin auch, allerdings 2 Männern gleichzeitig. Die Prosaminiaturen (57 Texte + Nachwort auf 140 Seiten) sind ein ums andere Mal abwechselnd dem „Gatten“ und dem „Liebhaber“ gewidmet, den sie jeden Donnerstag empfängt, wenn der Gatte abwesend ist. Es ist nicht ohne subtile Erotik, wenn das ältere Ehepaar, er von der Denke als Software-Entwickler durchdrungen, sie überzeugte Geisteswissenschaftlerin, sich am Frühstückstisch um banale Fragen auf hohem Niveau duelliert. Der Liebhaber hingegen, mit deutlichen Anteilen vom Neandertaler, besticht mit Gesang und Gitarrenspiel; aber auch hier wird, trotz „grober Taten“, an der Veredelung der Beziehung gearbeitet.
Den Verfasser des Nachworts erinnert diese Prosa an „eine große, glitzernde, in allen Farben schillernde Seifenblase, die sich im freien Raum dreht“. „Berger spielt mit unserer Sehnsucht nach dem Zuverlässigen, dem Unwandelbaren“, schreibt Detlev Ihnken, „aber es ist ein heiteres Spiel, ein kleiner Tanz auf dem Drahtseil der Erwartungen, die wir alle aneinander und an uns haben.“
Marcella Berger ist Initiatorin und Mitherausgeberin eines Saarbrücken-Führers, außerdem Mitherausgeberin einer literarischen Saarbrücken-Anthologie. (RP) ZITAT
Zitat von Marcella Berger
Flummi Flummi
Willst du ´nen Schnaps?
Drüben lächelt Miranda. Sie will was wissen. Ob der Stuhl frei ist.
Wie klar alles ist. Wunderbar klar.
Ich kippe den Klaren.
Ich schnapsbenetzter Luftsack lege die Beine übereinander, das passiert fast von allein.
Alles ist, was es ist.
Ich bin die Ruhe selbst.
Wahrscheinlich bin ich schon tot.
Menschen machen sowas.
Verlieben sich undsoweiter.
Komische Sachen.
Komisch ist gar kein Ausdruck
Ich krame in meiner Sacktasche nach Zigaretten, ich habe noch gute schwarze aus unserem gemeinsamen Urlaub. Gemeinsam verlebt. Im Herzen Frankreichs.
Wild gezeltet an einem plätschernden Bergbach.
Fast ununterbrochen waren wir am Vögeln oder Lagerfeuerholzsuchen.
In den Pausen gegenseitiges Vorlesen. Die Liebe in den Zeiten der Cholera. Lotte in Weimar. Zwischendurch immer mal ´ne frisch gebrühte Tasse und ´ne Gauloise.
Das laubgraue Zweimannszelt duckte sich unter einer ausladenden Buche. Vorm Eingang der kleine Gaskocher mit der aluminiumfarbenen Espressokanne, die Unterseite schwarz vom häufigen Gebrauch.
Jetzt hat er sich in eine andere verliebt.
Hat er gesagt.
Verlieben. Sich verlieben, reflexiv.
Nichts seltsamer als Wörter mit dieser Vorsilbe.
Verpassen. Sich verpassen, reflexiv.
Ich muss aufpassen auf mich, ich muss gut auf mich aufpassen. Wie auf eine kranke Schwester.
Alles verschlafen wär gut.
Vergessen.
Verflixt, wo sind die Kippen?
Ich finde sie ziemlich verkrümelt in den Tiefen der Tasche. Ich inhaliere gierig.
Versorge mich mit gutem, solidem Nervengift. Aufleben. Verleben.
Er hätte mir auch sagen können, dass er eine Au-pair-Stelle auf einem intergalaktischen Hausboot mit quergetupften Marsmännchen anträte. Um etwas Menschlichkeit ins Universum zu transferieren. Oder vorhabe, sich um Jahrtausende zurückzubeamen, metamorphe Translokationen in Ovidscher Manier.
Warum nicht?
Jedes noch so absurde Vorhaben hätte ich ihm abgenommen.
Jede Erzählung von heroischen Missionen und Missgestalten.
Er hätte mir von seiner Verwandlung in einen Buntbarsch berichten können. Wie sich ihm das Rückgrat verbogen und seine geschwungenen Lippen zum Raubmaul verzerrt hätten. Die Arme zu Flossen verkürzt.
Ich hätte es ihm abgenommen.
Gelassen und wohlwollend hätte ichs ihm abgekauft..
Jede noch so groteske Verformung konnte mir plausibel gemacht werden.
Diesmal sei es wirklich schlimm!
Ich glaube, es ist die Frau meines Lebens!
Er starrt verzückt durch mich hindurch, heißes Sehnen im Blick.
Wenn er sich jetzt durch leichte Flossenbewegungen Abkühlung verschafft hätte, wäre das völlig in Ordnung gewesen. Völlig in Ordnung.
Ich verfülle mich weiter mit Qualm, solange ich rauche, bin ich noch nicht verflogen.
Er hebt die Augendeckel. Schaut seinen rauchigen Atemblasen nach, wie sie zur Oberfläche steigen. Ich dagegen ziehe den Rauch bis in die Fußspitzen. Das geht. Ist ja auch jede Menge Platz in mir. Vielleicht bin ich schon vergangen, ein Stück weit wenigstens. Ein Stück Vergangenheit. Die Einweißmoleküle in Auflösung begriffen. Haben ihre Verbindung gelockert. Vereinzelt Löcher. Raum für den Qualm.
Ganz schön verlöchert komm ich mir vor.
Komisch. Sehr komisch. Komische Sachen. Könntest dich kringeln, ha, ha!
Wahrscheinlich hat er sich nur versprochen.
Aber wem?
Guter Qualm. Verdrängt die Leere in mir.
Bin ich ein Rauchverzehrer? Hatte es nur vergessen? Verabsäumt, in Erinnerung zu behalten?
Verzehr ihn jedenfalls tüchtig, den Rauch, die blauen Schwaden in meinem Körper hin und her schieben. (Huhu, wer hat Angst vorm Rauchverfang?!)
Fühle dieses schwachsinnige Grinsen auf meinem Gesicht, vermutlich schnapp ich gleich über.
Vorübergehender Bestimmungsverlust.
In diesem Hornhautetui, in dem ich irgendwie stecke, ist es nicht so gemütlich. Nicht so gemütlich, wie es sein könnte.
Ich fands jedenfalls schon netter in mir.
Kann ich? fragt er.
Klar kann er.
Er will aber nur eine Kippe.
Kein Verhandeln. Kein Verklagen. Kein Verjammern. Kein Verüben.eines Verbrechens. Wiewohl ich schon Lust drauf hätte. Auch Vorlust. Aufs Verspielen von Kopf und Kragen. Aufs
Verschwören verschuldeter Treue. Aufs Verstoßen verheuchelten Flehens, das ich mir unverbogen verbitte.
Verbleibe ohne Verzeihen. Flutsch – hinein den Stahl ins Ferkelherz, dass es verspritze verrotteten Verrat!
Ich habe mich in eine andere verbeult, blubbert die fangfrischverliebte Forelle und glotzt auf das Verbotsschild da drüben. Oder auf den Verkaufsständer daneben. Auf die Schlauchröcke nebst Fummel mit V-Ausschnitt.
Verbleuen bringt nix, noch das Vergießen von Zähren. Geschweige denn verballhornte Verlautbarungen dieser Art.
Elender Hund! Venerischer Vagabund, verlauster!
Fein wäre Verbrecherverbringung ins verdient Verlies. Verdunkelt. Wenigstens das. Dortselbst Verbüßung der Verfehlung unter Verabreichung vergangenheitsbewältigender Abreibungen zuvörderst durch Verflossene.
Formidables Vergnügen.
Mit Verlaub, meine Verfassung verschlechtert sich zusehends!
Gehe offenbar meiner selbst verlustig.
Lustig verlustig. Können nur große und ernste Dinge. Mein Regenschirm nicht. Der nicht. Auch keine Haarklammer kriegts hin. Kein Bettvorleger. Nur Dinge mit großem Wert für den inneren Menschen, diese Stimmungskanone. Die eignen sich gut. Hervorragend eignen sich die. Hoffnungen zum Beispiel und Träume. Deren kann man verlustig gehen. Vorbei mit dem verlotterten Liegen unter verkommenem Spitzdach.
Verdammt!
So schnell wie möglich verduften! Sich verziehen das einzig veritable Verhalten. Sich verabschieden aus dieser verfluchten Veranstaltung.
Sitze wie angegossen. Wie auf den Stuhl gekippt. Völlig verbleiter Hintern. Nennt man das Verarschung?
Macht mir aber nichts. Macht mir nicht das Geringste. Rührt mich kein bisschen. Weil jetzt alles wunderbar ruhig ist.
Wunderbar ruhig und wunderbar langsam. Lächeln in Zeitlupe und Schleichen aufs Klo.
Nie mehr was sagen.
Was soll ich auch sagen? Ich oder wer oder was.
Will ich auch gar nicht. Reden ist das Letzte. Gibt es ja nicht. Das Letzte. Das ist auch nur so dahergesagt. Auch nur so ein Gelaber. Eitel und ein Haschen nach Wind. Alles nichts.
Weil ja alles rund ist. In Wirklichkeit. Ohne Anfang und Ende. Eine runde Sache. Eine Kugel zum Beispiel. Aus Gummi.
Ein Flummi.
Kein Anfang, kein Ende.
Ganz still kann ich halten in der Kugel. Ganz still.
Wie eine Fliege im Bernstein.
Du glaubst nicht, wie ich stillhalten kann.
Ich werde nie mehr was sagen. Mich nie mehr bewegen.
Nie mehr rühren werde ich mich.
Ich. Mich.
Ewig ungerührt.
Gummi drumrum.
Alles bleibt, was es ist.
Ganz still.
Alles wird gut, wenn sich nichts mehr bewegt.
Die Zeit und ich ganz still.
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