geb. 6. Febr. 1898 in Kusel, gest. 4. Nov. 1995 in Kusel
Die promovierte Volksschullehrerin Maria Bauer schrieb über ihre kurze Zeit in Altheim (Blieskastel) und wurde später Globetrotterin.
Nach Kindheit und Schulzeit in ihrer Geburtsstadt Kusel meldete sich Maria Bauer mit Beginn des Ersten Weltkriegs freiwillig zum Sanitätsdienst. Zeitlebens prägende Erfahrung war der sie zutiefst erschütternde Tod eines schwer verwundeten Soldaten, den sie im Lazarett gepflegt hatte. Im gleichen Jahr 1914 begann sie in Speyer mit der Ausbildung zur Lehrerin, das Abschlussexamen legte sie 1917 ab. Es folgten nun mehrere Stationen, an denen sie im Schuldienst tätig war – unter anderem in dem heutigen Blieskasteler Stadtteil Altheim. Ihren Alltag dort im Zeichen des zu Ende gehenden Krieges beschreibt sie in ihrem Buch „Sieben Farben hat der Regenbogen‟ fest, das 1871 erschien. ZITAT
Zitat von Maria Bauer
Sonntags schwingt Geläute über das Dorf hin. Es strömt von allen Seiten, die Frauen im dunklen Kirchenkleid, die Männer rasiert und mit Hut. „Da kommt ja auch unser Lehrer“, heißt es, wenn ich mich schnell um sie herumdrücken will. Schon hängen die Buben am Blasebalg, ich schließe die Orgel auf. Da ich jeden Tag übe, geht es von Woche zu Woche besser. Bald singen wir die erste vierstimmige Messe zum Festtag. Der Pfarrer verkündet über Leid und Schuld und Tod seiner Gemeinde die Gnade. Werktags habe ich eine Stunde vor Schulbeginn in den Sterbeämtern mit ihm zu psalmodieren, nachmittags sind manchmal Beerdigungen. Vorbei an blühenden Apfelbäumen, später dann durch das feierlich geschmückte Dorf ziehen wir in Prozessionen. Ab und zu ist ein Festtag auswärts in einer Filiale. Ich habe dort Kirchendienst und bange: Wenn ich nur gleich den Ton finde, auf dem der fremde Herr die Präfation intoniert! Ein außergewöhnliches Fest feiern wir im Sommer 1918, das silberne Priesterjubiläum unseres Herrn Pastors. Wir drei Lehrerinnen bereiten alles vor. Meine Aufgabe ist die Einstudierung einer besonders feierlichen Messe mit Forte- und Pianostellen (Noten sind genug vorhanden) sowie die Einübung eines Reigens für die kleinen Mädchen. In weißen Kleidchen begrüßen sie nach dem Gottesdienst den Jubilar vor dem Pfarrhaus, während ich dazu, hinter einem Busch verborgen, Geige spiele. Meine Kolleginnen haben für das Silberkränzlein und den Festredner gesorgt, überdies Kissen und Tischdecke für den Pfarrhaushalt gestickt.
Das Dorf, dem in schwerer Zeit zu dienen man mich ausgebildet und beauftragt hat, nimmt mich ganz auf. Fremd und beunruhigend ist mir die nahe große Stadt. Einmal im Vierteljahr fahre ich mit der Postkutsche dorthin zur gefürchteten Konferenz. Als ich, an einem Vorfrühlingsabend von dort kommend, am Bahnhof in Hornbach aussteige, stehen zwei Buben der Oberstufe bereit, um mich abzuholen. Franz, Kriegerwaise und Ältester der Familie, leuchtet mit der Taschenlampe über seinen Acker, als wir den Altheimer Bann betreten. Ich muß die Wintersaat bewundern. Nach dem Mittagessen am Sonntag erzählt manchmal der Bauer. Er hat den Kirchenrock abgelegt und die Zigarre angezündet. Flurnamen erklärt er mir, spricht von der nahen Lothringer Grenze. Ja, ich weiß, der junge Goethe ist einst hier, unseren Hornbach zur Linken, nach dem Elsaß zurückgeritten … „Es schlug mein Herz, geschwind zu Pferde … “
„Den Bickenalbhof am Weg nach Zweibrücken müssen Sie einmal besuchen“, meint mein Hausherr. „Dort werden die besten Pferde gezüchtet. Und waren Sie schon droben bei der uralten Buche vor unserem Wald?“ (Er ahnt nicht, daß wenige Jahre später, als er beim Holzfällen für die Gemeinde hilft, ein mächtiger Stamm dieses Waldes ihn erschlagen wird.) Einmal im Februar sagt der Pfarrer mit verschmitztem Lächeln zu mir: „Heute kamen Sie in mein Pfarrbuch. Unser Organist ist ein Fünfteljahrhundert alt geworden.“
Draußen geht der Krieg weiter. Todesmeldungen kommen aus Polen und vom Chemin des Dames. Polizei kontrolliert die immer schärferen Ablieferungsbestimmungen für die Bauern. Aus der Stadt kommen Bettelkinder und bleiche Frauen. Manchmal gibt mir die Bäuerin von ihrem feinen Mehl. Ich backe einen Kranzkuchen; die Stücke werden nochmals gebäht, gehen in Päckchen zu meinen Soldaten ins Feld, eines sucht fern in England den Bruder, der so gar nicht schreibt. Im Herbst wütet die Grippe. Unsere Verwandten in Zweibrücken müssen ein 19jähriges Töchterlein begraben. Meine Mutter fährt hin zur Beerdigung. Sie will mich anschließend besuchen. Am Abend kommt sie vom Weg ab, verbringt die Nacht im Wald und kommt, morgens, als ich zur Schule gehen will, müde und bleich über den Hof. Dann, zu ihrem 48. Geburtstag, am 9. November 1918, schweigen endlich die Kanonen: bedingungsloser Waffenstillstand. Wir hängen zum Dachfenster des Schulhauses die große schwarz-weiß-rote Fahne heraus. Schwer hängt sie über uns im nebligen Tag. Vom Westen her ziehen schweigend durch Altheim, das erste deutsche Dorf, unsere Soldaten, in grauen Kolonnen, ausgemergelt, besiegt. Die Fahne beachten sie nicht. Körperlich nahe sind ihnen und uns die unsichtbaren toten Kameraden. Alles umsonst.
Ein paar Tage ist Ruhe. Wir sind Niemandsland. Dann, an einem Sonntag – wir haben Türen und Fenster geschlossen – kommt der Sieger: Clairons, Marokkaner, in weißem Burnus, hoch zu Roß, Kanonen, Trommeln, unabsehbare Scharen. Wir bekommen Einquartierung. Der Colonel will mir beweisen, die Pfalz, das linke Rheinufer, sei französisch seit Napoleon, seit dem Sonnenkönig. Ich widerlege ihn. Die Karbidlampe zwischen uns brummt und stößt. Er befürchtet Sabotage. Der Bauer beruhigt ihn: „Herr Offizier, der Krieg ist aus.“ Fräulein L., die das Abenteuer liebt, nimmt mich mit zum Schmuggeln. Auf einer nahen Mühle im Lothringischen trinken wir süßen Milchkaffee aus „Kumchen“ und schleppen im Rucksack ein Säckchen voll Weizenmehl durch die Nacht heimwärts. Das können wir in Kusel, wohin ich zurückkehre, gut gebrauchen. Lehrer Krennrich ist aus dem Feld heimgekehrt. Die Bäuerin backt einen Kranzkuchen für mich, so breit wie ein Kartoffelkorb. Der Bauer schenkt eine Flasche selbstgebrannten Zwetschgenschnaps dazu: „Wenn es Ihnen einmal nicht gut ist.“ Der Pastor dankt mir: „Sie werden Altheim nicht vergessen. Die erste Stelle, die erste Pfarrei, das ist wie die erste Frau.“
aus: Sieben Farben hat der Regenbogen. Neustadt/Weinstraße 1971
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1923 zu Studienzwecken freigestellt, verließ Maria Bauer ihre Heimatstadt und zog nach München, um dort Pädagogik, Philosophie und Germanistik zu studieren. Parallel dazu legte sie auch das Abitur ab. An Wochenenden und während der Semesterferien unternahm sie regelmäßig Wanderungen in den Alpen und ließ sich als Bergsteigerin schulen. Bald hatte sie die Fertigkeit erlangt, die ihr die Besteigung von Dreitausendern – ohne Begleitung – ermöglichte. Nachhaltigen Einfluss auf Maria Bauer hatte der Philosoph Martin Heidegger, den sie während eines Semesters an der Universität Marburg kennenlernte. Ein Ergebnis dieser Begegnung war ihre Dissertation, die sie 1927 in München vorlegte. „Mensch sein heißt in der Zeit sein‟, lautete deren Thema. Das anvisierte Examen für eine Lehrtätigkeit am Gymnasium scheiterte freilich – ein weiteres Studienjahr blieb ihr wegen ihrer finanziellen Situation versagt.
Maria Bauer kehrte 1928 in die Westpfalz zurück und arbeitete fortan in Kusel als Volksschullehrerin. Ungebrochen blieb ihr Schaffens- und Reisedrang. Sie beherrschte verschiedene Instrumente wie Geige, Klavier und Orgel virtuos und besaß eine nicht minder eindrucksvolle Singstimme. Engagiert in der „Singbewegung“, die sich um Musik aus der Reformationszeit bemühte, organisierte sie Singwochen und Musikfahrten, die in viele europäische Länder führten. Zudem übernahm sie 1935 die Patenschaft über den deutschen Soldatenfriedhof Meuchin in Belgien. Bereits einige Zeit zuvor hatte sie sich in der Pflege von Kriegsgräbern, vor allem in Verdun und an belgischen Kriegsschauplätzen des Ersten Weltkrieges, engagiert. Ähnliche Verpflichtungen übernahm sie 1936 in Kronstadt (Rumänien) sowie 1938 in Sarajewo und Konstantinopel. 1942 fasste Maria Bauer den Entschluss, den Schuldienst vorübergehend zu quittieren und als „Soldatenheimschwester“ zu arbeiten. An vordersten Fronten des Zweiten Weltkriegs pflegte sie Verwundete.
Nach dem Krieg wieder zurück an der Kuseler Volksschule, wurde fortan das Reisen zur ihrer großen Leidenschaft. Maria Bauer avancierte zur Globetrotterin: 35 Jahre lang war sie unterwegs, und das stets ohne Begleitung. Als Reiseschriftstellerin und Vortragsrednerin blieb sie bis ins hohe Alter hinein gefragt.
Das Haus von Maria Bauer in der Landschaftsstraße, in dem sie zusammen mit ihrer ebenfalls ledigen Schwester wohnte, steht seit beider Tod leer und ist, obwohl ein bedeutendes Baudenkmal mit mittelalterlichen Bauteilen, wohl kaum noch vorm Verfall zu retten. Maria Bauer ist auf dem Friedhof in Kusel im Familiengrab der Familie Waldecker/Bauer beigesetzt. Das Grab ist erhalten. (MB)