Blieskastel
Die Stadt Blieskastel in ihrem aktuellen Zuschnitt entstand durch die Gebiets- und Verwaltungsreform zum 1. Januar 1974. Vierzehn Dörfer der näheren und weiteren Umgebung wurden in dieser Gebietskörperschaft zusammengeschlossen. Blieskastel grenzt im Süden an Frankreich, im Osten an die Pfalz. Mit einer flächenmäßigen Ausdehnung von rund 108 km² ist Blieskastel die größte Kommune im Saarpfalz-Kreis. Sie gehört komplett zum Unesco-Biosphärenreservat Bliesgau.
1098 wurde Blieskastel, das seinen Namen von einer kastellähnlichen Burganlage auf den Anhöhen über der Blies ableitet, mit dem Grafen Gottfried, „comes de castele“, erstmals urkundlich belegt. Langwierige Erbschwierigkeiten folgten nach dem Tod des letzten Bliesgaugrafen Heinrich von Castel im Jahre 1273. Als besiedelter Ort wird Blieskastel erstmals 1286 genannt; Bischof Burkhard von Metz als nunmehriger Eigentümer erließ in diesem Jahr den „Freiheitsbrief“, in dem Blieskastel als „villa Castris“, als Dorf, erwähnt ist. 1326 verpfändete der Bischof von Metz Blieskastel an die lothringischen Herren von Finstingen. Seit 1337 endgültig im kurtrierischen Besitz, überließ Erzbischof Jakob von Trier aus Geldnöten die Hälfte der Rechte dem Ritter Friedrich von Löwenstein. Auf seinem Kriegszug gegen Trier fiel 1522 Franz von Sickingen in Blieskastel ein und brannte es nieder.
Die weitere Entwicklung Blieskastels ist eng mit dem Namen von der Leyen verbunden. Diese von der Mosel stammende Familie erhielt erstmals 1456 Rechte und Güter in und um Blieskastel. Zum systematischen Ausbau der Herrschaft kam es aber erst 200 Jahre später, als der im Bliesgau ansässige Adel nach der Zerstörung seiner Güter im Dreißigjährigen Krieg und der Verarmung bereit war, seine unrentabel gewordenen Besitz- und Lehensrechte zu veräußern. Systematisch betrieb Karl Kaspar von der Leyen die Ausweitung des Leyenschen Besitzes im Bliesgau, und als Kurfürst von Trier übertrug er 1660 das Amt Blieskastel den Freiherren von der Leyen. 1661 begann die Errichtung des Schlosses, 1773 wurde Blieskastel zur Residenzstadt. Aus dieser Epoche stammen zahlreiche Gebäude spätbarocken Stils in der historischen Altstadt. 1775 wurde Blieskastel zum Oberamt aufgewertet. Beendet wurde die Leyen-Herrschaft durch die Französische Revolution 1793.
Die verwitwete Blieskasteler Gräfin Marianne von der Leyen beschrieb ihre abenteuerliche Flucht vor den Revolutionstruppen in ihrem „Journal meiner Unglücksfälle“, das 1894 erstmals erschien. Mit der Schilderung der Geschehnisse aus ihrer Perspektive legte sie selbst den Grundstein für die Legende, die sie bis heute umrankt. Der katholische Pfarrer Nikolaus Lauer, der 1897 in Lautzkirchen geboren ist, verfasste auf der Basis dieses Tagebuchs, aber auch anderer Quellen den 1950 erschienenen historischen Roman „Das Schloß an der Blies“.
Der Realität näher kommt freilich die zeitgenössische Schilderung der kriegsentscheidenden Schlacht von Biesingen im November 1793 durch Friedrich Gustav Schilling (1766-1839). Unter dem Pseudonym Zebedäus Kukuk hielt er in seinen „Bagatellen aus dem zweiten Feldzuge am Mittel-Rhein“ (1793) wortgewaltig das Ende der Blieskasteler Leyenzeit fest. ZITAT
Die Stadt erhielt 1798 die Verwaltung des Kantons Blieskastel, der 1816 dem Landkommissariat Zweibrücken zugeordnet wurde. Die Industrialisierung des 19. Jahrhunderts ging an Blieskastel völlig vorbei. Ausschlaggebend dafür waren die neuen Verkehrsmittel, die zu den Kohlerevieren hinführten. Victor Hugo unternahm in dieser Zeit einen „Streifzug“ durch die ziemlich verlassen wirkende Stadt. „Einige alte Bürgerhäuser entlang einer ansteigenden Straße. Eine Fassade im ziemlich großartigen Louis XIV.-Stil zu einem Garten hin. Am oberen Ende der Straße eine Kirche. Das Portal besticht in seiner schönen Farbigkeit; es ist wundersam und ausdrucksstark und scheint vom Stil her zu schwanken zwischen Renaissance und Louis XVI. Auf einem Platz befindet sich ein Brunnen mit Gedenkstele, laut Inschrift Napoleon I. im Jahr 1804 gewidmet; sie wurde von den Preußen nicht zerstört“, skizzierter er nüchtern den Gang durch die Altstadtgassen.
In enger Verbindung zu Blieskastel in dieser Phase steht der Dichter Ludwig Scharf (1864-1938), dessen Vater aus der Bliesgaustadt stammte. Nach dessen Tod verbrachte er Kindheit und Jugend in Blieskastel. In München sollte er später zur einer zentralen Gestalt der Moderne werden. In der Schwabinger Künstlerszene galt er als eine Art Leitfigur, er fungierte gefällig gar als „König der Bohème“. Ludwig Scharf, unter anderem von Albert Weisgerber (St. Ingbert) porträtiert, thematisierte Blieskastel und den Bliesgau immer wieder in seinen Gedichten, die als Vorläufer des Expressionismus gelten. ZITAT
Nach 1902 gehörte Blieskastel bis 1974 zum Kreis St. Ingbert. Als Sohn des damaligen Bürgermeisters Georg Oberhauser ist der 1923 geborene Fred Oberhauser hier aufgewachsen. Der spätere Kulturjournalist und Nestor der literarischen Topografie schilderte in mehrfach veröffentlichten Skizzen Erlebnisse seiner Vorkriegskindheit in der Stadt und seine frühen Begegnungen mit den einschlägigen Bauwerken der Stadt, unter anderem in einem zuerst 1982 erschienenen Bändchen mit Illustrationen des Malers Hans Dahlem. ZITAT
Zu Blieskastel gehören die Ortsteile Lautzkirchen (1180, „Leudeskirchen“ („Kirche des „Liuthari“, ahd. Rufname eines fränkischen Adeligen) und Alschbach (1236, von ahd. „Alag“ = Heiligtum am Bach). Zu Alschbach gehört der Gollenstein, ein vorzeitlicher, etwa 4000 Jahre alter Menhir, der 6,58 m misst und damit einer der höchsten derartigen Kultmonolithe in Westeuropa ist.
Das noch weitgehend intakte Erscheinungsbild des barocken Stadtkerns von Blieskastel hat dazu geführt, dass die Kleinstadt sich insbesondere als Ausflugsziel und im Fremdenverkehr einen Namen machen konnte. Enge, verwinkelte Gassen, weiträumige Plätze, Häuser mit restaurierten Barockfassaden und schöne Brunnen mit historischem Hintergrund verleihen der Altstadt einen zeitlosen Charme. Bauten wie die Schlosskirche (mit der Leyen-Gruft), die „Orangerie“ als einziges erhaltenes Renaissance-Gebäude des Saarlandes, das als Rathaus genutzte Waisenhaus aus der Leyenzeit (am Paradeplatz) und viele repräsentative Beamten- und Bürgerhäuser ergeben ein für die Region einzigartiges Stadtbild. Dieser barocke Kern von Blieskastel wurde als Denkmalschutzgebiet „Alt Blieskastel“ ausgewiesen, um für eine dauerhafte Erhaltung der historischen Bausubstanz Sorge zu tragen. Bekannte Blieskasteler Autoren aus der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts waren Theo Schwalb (1910-1978) und Lotty Faber (1907-1985). Schwalb betrieb in der Blieskasteler Altstadt ein weithin bekanntes Gasthaus, seine gereimten Kochrezepte waren nicht minder populär. Faber war eine Mundartautorin, die den Blieskasteler Mikrokosmos als Fundgrube für ihre Gedichte nutzte.1