Marianne von der Leyen

geb. 21. März 1745 in Main, gest. 10. Juli 1804 in Frankfurt / Main

Kupferstich Marianne von der Leyen war Gräfin in Blieskastel und schürte mit ihrem „Journal“ aus der Zeit der Revolution literarisch die eigene Legende.

„Bis mir ein rettender Gedanke käme, flehte ich sie an, mich in einem jener Winkel ihres Hauses zu verstecken, an dem es schwieriger ist, mich ausfindig zu machen. Man lief mit mir vom Keller bis hinauf auf den Speicher, und schließlich entschied ich mich für eine Art Holzverschlag, der nur ganz oben eine Luke hatte und dessen Zugang mit einem Küchenschrank verstellt werden konnte. Diesen schob man, wenn ich etwas brauchte, zurück, während er ansonsten schützend davor stand. So brachte ich in diesem finsteren und feuchten Verlies auf Stroh einen Tag und eine Nacht zu. Ich war angesichts meiner traurigen Lage nicht im Stande, auch nur einen einzigen klaren Gedanken zu fassen und machte kein Auge zu. Die zweite Nacht war noch weniger ruhig, alle lagen im Bett, als ich gegen zwei Uhr hörte, dass an die Haustür geklopft wurde. Kurz darauf wurde der Schrank weg gerückt, und man ließ mich wissen, dass es wegen mir war. Im Schein einer Laterne erkannte ich zwei meiner Vertrauten, die mir einen neuen Plan zur Flucht vortrugen. Sie schlugen mir vor, mich ohne der Gefahr auszusetzen, nach Zweibrücken zu bringen, und sie versicherten mir, 150 Preußen befänden sich im Dorfe Enet [=Einöd], um meinen Weg zu schützen“: Marianne von der Leyen, Gräfin mit Residenz in Blieskastel, hielt mit eigener Feder fest, wie ihr im Mai 1793 die abenteuerliche Flucht vor den französischen Revolutionstruppen gelang. Und mit ihren Aufzeichnungen, denen sie den Titel „Journal meiner Unglücksfälle“ gab, trug sie ein gutes Stück zur Bildung jener Legende bei, sie sich bis heute um sie rankt und die einen unverklärten Blick auf ihr Leben und vor allem auf ihre Amtsführung verstellt.

Geboren wurde Maria Anna Sophia von Dalberg am 31. März 1745 als Freifräulein in Mainz. Ihr Vater war der kurmainzische Geheimrat Franz Heinrich von Dalberg, der zur rheinischen Adelsfamilie der Kämmerer von Worms gehörte. Ihre Mutter Maria Sophia entstammte dem Geschlecht derer von Eltz-Kempenich an der Mosel. Ihren späteren Gemahl Franz Georg Carl Anton von der Leyen lernte Marianne im Alter von 20 Jahren in Frankfurt kennen – anlässlich der Feierlichkeiten, die die Wahl und die Krönung von Kaiser Joseph II. umrahmten. Nach der Hochzeit am 15. Dezember des gleichen Jahres ließ sich das Paar der Familientradition entsprechend in Koblenz nieder. Dort stellte sich auch zeitnah Nachwuchs ein: Stammhalter Philipp erblickte 1766 das Licht der spätabsolutistischen Welt, 1768 kam die Gräfin der Tochter Charlotte Maria Anna und im Jahr darauf mit Maria Sophia Antonetta nieder.

1773 verlegte die Grafenfamilie ihre Residenz nach Blieskastel, wo sie das weitläufige Schloss bezog, das noch aus dem 17. Jahrhundert stammte. Der Trierer Erzbischof Carl Caspar von der Leyen hatte die kleine Herrschaft Blieskastel 1660 für seine Brüder Hugo Ernst und Damian Hartard, Kurfürst von Mainz, 1660 erworben. Danach wurde das Schloss errichtet, von dem sich als wichtigster Renaissance-Bau der ganzen Region die sogenannte Orangerie erhalten hat. Ungeklärt ist nach wie vor die Frage, aus welchen Gründen dieser Umzug aus dem Zentrum des Reiches an dessen Peripherie stattfand. In der Endphase ihrer Herrschaft merkte die Reichsgräfin selbst dazu an, die Verlegung in den kleinen Marktflecken Blieskastel sei deswegen vollzogen worden, weil sie ihre dortigen, „sehr beträchtlichen Gefälle“, also Abgaben und Steuern, „selbst verzehren“ wolle. Reichsgraf Franz Carl befasste sich schon seit den frühen 1760er-Jahren mit dem Gedanken, die Verwaltung zu zentralisieren und die ökonomischen Verhältnisse zu verbessern. Dabei wurde er von Johann Ludwig Hiltebrandt, seines Zeichens Nationalökonom und Reichspostmeister im zweibrückischen Homburg, bestärkt, Blieskastel auszubauen. Der Etikettenstreit, der sich zwischen seiner Gemahlin und der Gräfin Metternich „wegen einer Frage des Vortritts“ entspann, mag der Tropfen gewesen sein, der das Fass zum Überlaufen brachte und den Entschluss der Residenzverlegung besiegelte – was „von den Coblenzern höchlich beklagt“ wurde.

Kaum in Blieskastel angekommen, setzte sofort rege Bautätigkeit ein. Unter dem Szepter Franz Carls wurde das große Waisenhaus (heute Rathaus) errichtet, an der Schlossbergstraße wurden eine Reihe barocker „Kavaliershäuser“ neu errichtet – vornehmlich als Unterkünfte für die vielen Beamten, von denen die Leyenherrschaft verwaltet wurde. Als der Landesherr am 26. September 1775 infolge einer Blutvergiftung im Alter von 39 Jahren starb, übernahm „des heiligen Römischen Reiches verwittibte Gräfin von und zu der Leyen …“ die Regentschaft über die rund 24.000 Einwohner ihres Landes, und zwar als Vormund für ihren mit neun Jahren noch minderjährigen „Herrn Sohn“, den Erbgrafen Philipp.

Ihr war zunächst daran gelegen, die von ihrem Mann eingeleiteten Arbeiten fortzusetzen und zu Ende zu bringen. Ganz im Stil einer aufgeklärten Landesherrin des Ancien Régime zeigte sie sich bemüht, das Leben ihrer Untertanen bis ins letzte Detail hinein zu reglementieren und zu kontrollieren, wobei sie dabei stets betonte, aus „landesmütterlicher Obsorge“ so zu handeln. Ihre sozialen und bildungspolitischen Maßnahmen zeigen sie als pflichteifrige Landesmutter auf der Höhe ihrer Zeit. Sie versuchte Landwirtschaft, Gartenbau und Viehzucht sowie bestimmte Industriezweige zu fördern. Dabei galt Marianne von der Leyen als frei von jedweden Neigungen und Fähigkeiten in Sachen Wissenschaft und Kunst; ihre Anregungen und Ambitionen bezog sie aus der nahen Zweibrücker Residenz sowie von der angeheirateten geistlichen Verwandtschaft. Bibliothek, Naturalienkabinett, Gemäldesammlung, Hofmalerei (Johann Christian Mannlich) und Hausmusik wurden nach dem Vorbild des Homburger Karlsbergs auch in der Kleinresidenz gepflegt.

Unter der Regie der Gräfin veränderten Blieskastel und sein Umland schnell das Gesicht: 1776 wurde mit dem Bau der Schlosskirche und des „Neuen Schlösschens“ begonnen, in die Umgebung von Niederwürzbach entstanden zahlreiche Lustbauten wie der Annahof oder der Rote Bau. Besonders aber durch den prachtvollen Bau der Philippsburg – dort sollte der indes wenig regierungswillige Erbgraf residieren – stürzte das Blieskasteler Ländchen in immer tiefere Schulden und bürdete den Menschen stetig höhere Lasten auf. Die Unruhe unter den eigenen Untertanen gipfelte im St. Ingberter Waldstreit. Vor dem Hintergrund der Französischen Revolution eskalierte der Streit um die Nutzung der Waldungen. Mit den Wortführern aus St. Ingbert trafen sich am 17. September 1789 Vertreter aus 18 Gemeinden in Ommersheim zur „Landschaftsversammlung“. Sie hatten eine Liste mit 25 Beschwerden erstellt. Nachdem diese kein Gehör fanden, setzte sich der Aufruhr fort, Anfang Dezember marschierten pfälzische und kurmainzische Truppen im Blieskasteler Land ein, um die Unruhen niederzuschlagen.

Indes sicherte derlei gewaltsame Unterdrückung die Leyen-Herrschaft nur noch für kurze Zeit. 1792/93 schwappte die Französische Revolution auf linksrheinisches deutsches Gebiet über, und speziell die heutige Saarpfalz wurde für mehrere Monate zur Front. Da war sich auch Gräfin Marianne ihrer misslichen Situation bewusst. Als ihr am Abend des 14 Mai 1793 revolutionäre Kommissare gemeldet wurden, suchte sie ihr Heil, als Dienstmagd verkleidet, in der bereits vorbereiteten Flucht. Über zwölf Tage hinweg hielt sie sich in verschiedenen Ortschaften des Bliesgaus verborgen, ehe es ihr gelang, sich durch die französischen Linien zu schleichen und in Zweibrücken vorläufig sicheres Terrain erreichte.

Die letzten zehn Jahre ihres Lebens verbrachte sie im Exil in Frankfurt, wo sie am 10. Juli 1804 im 60. Lebensjahr „an einer Gichtkrankheit und hinzugetretenem Stickfluß“ starb. Bestattet wurde sie zunächst in Heusenstamm; ihre Gebeine wurden 1981 nach Blieskastel überführt, wo Marianne von der Leyen seither in der Gruft der Schlosskirche an der Seite ihres Ehemanns Franz Karl ruht. Das selbstverfasste Journal ihrer Flucht, die zeitlebens stete Betonung, „zum Besten des Publici und unserer getreuen Unterthanen“ zu handeln und nicht zuletzt die voluminöse Biographie von Ludwig Eid haben ihren Teil dazu beigetragen, dass Leben und Wirkung der Blieskasteler Gräfin lange Zeit durch eine völlig unkritische Brille gesehen wurden. ZITAT

Literarische Bearbeitung erfuhren das „Journal“ u.a. durch den Roman „Das Schloss an der Blies“ (1950) von Nikolaus Lauer (1897-1980), der sich das Bild der gütigen und populären Landesmutter unkritisch zu eigen macht. Clara Viebig (1860-1952) verwendet die historischen Ereignisse rein fiktiv in dem Roman „Prinzen, Prälaten und Sansculotten“ (1931). Das heute noch stimmige, barocke Stadtbild von Blieskastel ist freilich ein Stück Nachruhm, das Marianne von der Leyen völlig zu Recht anhängt. (MB)