Perl

 

Die Mosel bei Perl-Besch

Die Mosel bei Perl-Besch

Perl an der Obermosel, im Kreis Merzig-Wadern, mit Luxemburg und Frankreich in Sichtweite auf dem gegenüberliegenden Flussufer, liegt in der klimatisch und landschaftlich verwöhnten Nordwestecke des Saarlandes. Geradezu zwangsläufig waren schon die Römer hier und haben reichlich Spuren hinterlassen.

Perl ist die einzige Gemeinde im Saarland, in der Wein angebaut wird, jedoch kein Saarwein, sondern Mosel.

Die heutige Großgemeinde hat etwa achteinhalb Tausend EinwohnerInnen, vierzehn Ortsteile, elf Gemeindebezirke, eine Postleitzahl und vier verschiedene Telefon-Vorwahlnummern. Die Mosel ist in diesem Abschnitt der Grenzfluss und gemeinsames Hoheitsgebiet von Luxemburg und Deutschland. Die 1974 zur Großgemeinde Perl zusammengelegten Dörfer sind Besch (gesprochen mit langem e), Borg, Büschdorf, Eft-Hellendorf, Kesslingen, Münzingen, Nennig, Oberleuken, Oberperl, Perl, Sehndorf, Sinz, Tettingen-Butzdorf und Wochern. 

Abenteuerliche Grenzwechsel

Bevor die Dörfer nach vielerorts abenteuerlichen Grenzwechseln 1816 preußisch und 1822 im neu geschaffenen Kreis Saarburg in die preußische Rheinprovinz eingegliedert wurden, verteilten sie sich wie auf einem Flickenteppich über unterschiedliche Territorien: das Herzogtum Luxemburg (Quartier Remich), das Herzogtum Lothringen (Baillage de Bouzonville) und das Kurfürstentum Trier (Amt Saarburg; Herrschaft Perl des Domkapitels Trier).  Besch (kelt. Bassius, römisch Bessiacum), der einzige Ortsteil direkt an der Mosel, war ab 1433 burgundisch, dann habsburgisch, 1555 königlich-spanisch und 1714 österreichisch-niederländisch, schließlich luxemburgisch und ab 1798 Mairie im Kanton Remich. Saarländisch wurden die Dörfer der heutigen Großgemeinde 1946 auf Anordnung der französischen Militärverwaltung; in den Landkreis Merzig-Wadern gelangten sie 1947.

Perl-Nennig Schloss Berg

Perl-Nennig Schloss Berg

Größter Ortsteil der Verbandsgemeinde ist heute Perl mit rund 2200 EinwohnerInnen, gefolgt von Besch, wo etwa 1300 Menschen leben. Der kleinste Ortsteil ist Münzingen mit nur wenigen Häusern und rund 50 Menschen. Die Katholiken unter ihnen sind kirchentechnisch Rheinland-Pfälzer, denn ihre Pfarrei ist Filiale der Pfarrgemeinde Kirf in Rheinland-Pfalz.

Das Verwaltungs-, Kultur- und Gewerbezentrum ist Perl. In Büschdorf beginnt (oder endet) der Gustav-Regler-Wanderweg längs der Steine an der Grenze. Die Ortsteile Borg und Nennig zehren u.a. vom römischen Erbe; Borg von einer als Freilichtmuseum rekonstruierten provinzialrömischen Villa rustica und Nennig von einem 1852 entdeckten prächtigen Mosaikfußboden aus dem 3. Jahrhundert n.Chr.

Des Saarlands größte Kriegsgräberstätte

Kriegsgräberstätte Perl-Besch

Kriegsgräberstätte Perl-Besch

Besch ist nicht nur wegen seiner bei RadlerInnen und Wandersleuten sehr beliebten Moselpromenade bemerkenswert, sondern auch wegen seiner historischen Pestkreuze. Im Ort finden sich drei; zwei sind datiert auf 1616, das dritte auf 1688. Ein viertes, datiert 1666, steht am Ortsausgang des benachbarten Sehndorf Richtung Wochern. 

Auf dem Territorium von Besch liegt auch des Saarlands größte KriegsgräberstätteIn der zuletzt 2016 umgestalteten Anlage ruhen neben gefallenen deutschen Soldaten auch die Überreste zahlreicher, vor allem russischer, Zwangsarbeiter und Zwangsarbeiterinnen, die im Zweiten Weltkrieg in die saarländische Kriegsindustrie deportiert, hier ums Leben gekommen und großenteils aus anderen Orten hierher umgebettet worden sind. Während die Gräber der fast 1300 gefallenen Deutschen Namenstafeln tragen, werden die Namen der 950 Kriegsopfer anderer Nation nicht genannt. Im Eingangsbereich verweist eine Informationstafel auf 600 kreuzförmige Grabsteine, die die Grabstellen wiedergeben und so angeordnet seien, dass sie die Umrisse eines Kirchenfensters andeuteten. Besuchern und Besucherinnen im Frühjahr 2019 präsentiert sich das Gräberfeld der ausländischen Kriegsopfer jedoch als durchgehende Rasenfläche mit einem Blumenschmuck in der Mitte. Die 600 kreuzförmigen Steine sind im Boden versunken, es ist buchstäblich Gras über sie gewachsen, und die Toten sind, wie seit jeher in den letzten sieben Jahrzehnten, noch immer namenlos. Allerdings ist eine Liste mit 310 Namen auf der Saarland-Webseite online nachschlagbar.

Die Bronzeskulptur von Lothar Messner im Eingangsbereich ist nur noch als Foto zu sehen. Eine Tafel informiert, dass das Werk des Wadgassener Bildhauers 2012 entwendet worden sei. Auch hier waren wohl Edelmetalldiebe am Werk, die immer wieder Friedhöfe und Gedenkstätten im ganzen Saarland plündern. Lothar Messner – die Erinnerungstafel schreibt ihn Messmer – starb Anfang 2019.

Alles – außer Literatur?

Den Menschen von heute haben Perl und das Dreiländereck viel zu bieten. Man lebt im Frieden, die Grenzschlagbäume sind abgebaut, hüben und drüben gilt   die gleiche Währung, und freie Zeit ist vielfältig zu gestalten. Man kann eine alte Kulturlandschaft in sich aufnehmen, gut essen, schöne Weine schlürfen, Schiff fahren auf der Mosel, Wandern und Rad fahren den Fluss entlang oder durch Weinberge und Wälder, oder Zeitreisen zu den Römern machen. Dies alles ist auch möglich, da Perl hart arbeitende DienstleisterInnen aufbieten kann.

Ein Ort der Literatur ist Groß-Perl bisher nicht. Schriftsteller und Schriftstellerinnen wachsen vorerst wohl nur anderswo. Oder? Es könnten sich doch zarte Pflänzchen entwickeln, von denen wir noch gar nichts wissen, und die uns vielleicht eines Tages als kräftige Literaturgewächse überraschen. So machte im Schreibwettbewerb Wortsegel  2018  in der Altersgruppe 3./4. Klasse Grundschulen eine ganz junge Dichterin aus Perl-Besch auf sich aufmerksam. Melissa Molnar, geboren 2009 und Schülerin der Grundschule Dreiländereck, konnte schon mit fünf Jahren lesen; das habe sie sich selbst beigebracht, erzählt ihre Mutter stolz.  Melissas Gedicht nach einer Zeile von Joachim Ringelnatz – „Es schwebte eine Seifenblase aus einem Fenster auf die Straße“ – wurde in der Wettbewerbsbroschüre 2018 abgedruckt.  ZITAT

Lange vor ihr, in einer ganz anderen Zeit, ist der 1948 aus der Eifel zugewanderte Lehrer Wilhelm Griesbach als Sammler und Nacherzähler von Sagen und volkskundlichen Geschichten des Perler Raumes hervorgetreten.   Zwar sind seine Texte – wie die so vieler Heimatkundler seiner Generation – oft von einem Pathos durchdrungen, das heutige LeserInnen befremdet. Wenn man das aushält, erfährt man einiges. Und es kann spannend sein, auf den Spuren seiner Geschichten zu wandern. Zum Normannenkreuz von Besch beispielsweise. Ein Lorentz Surwin (= Sauerwein) errichtete es 1688 an dem Ort, wo 882 Bischof Walo von Metz in einer Schlacht gegen die moselaufwärts eingedrungenen Normannen gefallen sein soll. Das Kreuz ist allerdings nach seiner Errichtung zweimal umgesetzt worden, sodass es den Ort der Walstatt nicht zweifelsfrei identifiziert. Zudem ist es leicht zu verwechseln mit dem Pestkreuz am Eingang des Gemeindefriedhofs von Besch, das ebenfalls mit 1688 datiert und den Initialen MG gekennzeichnet ist.

Das Heimwehkreuz steht nahe der oberen Bergstraße in Perl an einer Stelle, die noch immer Am Juck genannt wird. Eine junge Frau, die ins (heute französische) Merschweiler gleich hinter der Grenze geheiratet hatte, soll das Kreuz bei einem Perler Kreuzemacher in Auftrag gegeben haben und damit ihr Heimweh losgeworden sein. Erzählt Wilhelm Griesbach. Das Kreuz trägt die Jahreszahl 1712 und in Großbuchstaben die Inschrift „In hoc signo vinces (= in diesem Zeichen sollst Du siegen). Wir beten Dich an Herr Jesus Christus und preisen Dich.“ Auch um den rätselhaften Rundhügel südlich von Nennig, den man von der Auto-Schnellstraße aus deutlich sehen kann, drehte sich die Sage. Eine Heimstatt von Wichteln soll er sein, der „Molknopp“, der in Wirklichkeit ein römischer Grabhügel ist, ein Tumulus. Auch rund ums „Katzenhaus“ auf dem Weinberg längs der heutigen Bundesstraße 407 rankt sich ein Geheimnis, weil nämlich die Katzen, die nachts hier miauend herumstreichen, verhexte Jungfrauen sein sollen, die ein verschmähter Freier strafte.

Die Schlösser des Herrn

Ausgedehntere Fahrten erfordert es, will man die elf Schlösser aufspüren, die laut Wilhelm Griesbach und der Sage nach dem Teufel beiderseits der Mosel aus dem Sack fielen, als er ausflog, „die Schlösser der Herren zu säen“.   ZITAT

Diesseits der Mosel sind nur noch zwei intakt bzw. wiederhergestellt: Schloss Thorn im rheinland-pfälzischen Palzem, heute Weingut, und das Ober-Schloss Berg, heute Hotel, Spielcasino und Drei-Sterne-Restaurant. Das einstige Renaissance-Schloss Bübingen ist wie all die andere “Satanssaat” eine Ruine. Der Palast mit zwei Rundtürmen, einige Monate vor Ende des Zweiten Weltkriegs teilweise zerstört und zuletzt als Lehrerinnenbildungsheim genutzt, verfällt mitsamt seinen Wirtschaftsgebäuden auf Nimmerwiedersehen in einem Wäldchen auf Privatgelände. Der Fotograf Stefan Haas aus Weiskirchen dokumentierte den Verfall schaurig schön auf seiner Webseite Blitzlichtkabinett. Das Netz nutzt auch der seinen Ruhestand in Perl genießende Thomas Abel, um die Schönheiten seiner Gemeinde, des Dreiländerecks und der gesamten Saar-Lor-Lux-Region zu zelebrieren und ihren Geheimnissen historisch auf die Spur zu kommen. So wie es mit analogen Mitteln einmal der Lehrer Wilhelm Griesbach versuchte.

Perl, Bücherschrank im Dreiländereck

Perl, Bücherschrank im Dreiländereck

Vielleicht stellt ja eines Tages jemand ein ausrangiertes Exemplar der „Sagen und Geschichten des Kreises Merzig  im „Bücherschrank im Dreiländereck“ ab oder in seinem Pendant auf luxemburgischer Seite, der „Bichertéik“ in der alten Schule von Schwebsange in Schengen. Mit einer Webseite ginge das nicht. Frei zugängliche Bücherregale, in denen man gebrauchte Bücher abstellen oder tauschen kann, sind auch im Saarland nicht selten. Aber der „Bücherschrank im Dreiländereck“, etwa in der Mitte zwischen den früheren Grenzübergängen Perl und Apach, ist besonders. Denn man hat ihn 2016 in einem ausrangierten blauen Zollhäuschen eingerichtet. Ein begehbarer Schrank in einer Kabine aus Blech und Glas, die vor dem Abbau der EU-Binnengrenzen Beamten der Pass-Kontrolle Schutz vor Wind und Regen bot. Theoretisch kann man in dieser Kabine gebrauchte Bücher in drei Sprachen wälzen, und das war auch die Idee der GründerInnen, dass hier Menschen aus Frankreich, Luxemburg und Deutschland Bücher in ihren Sprachen tauschen. Zur Zeit jedoch scheinen nur deutsche LeserInnen den Bücherschrank zu nutzen. RadlerInnen aus Frankreich und Luxemburg, die hier Station machen, durchstöbern die Regale vergeblich nach französischer Literatur. Was sich aber ändern ließe.