Tholey ist der Hauptort des Schaumberger Landes (der Schaumberggemeinde wie es offiziell heißt), mit neun Dörfern zwischen Prims und Blies. Wir sind am südlichen Rand der so genannten Hochwaldromania, in der Galloromanen, unbehelligt von Invasoren, bis ins 8./9. Jahrhundert fortleben konnten. Das Landschaftsbild wird von den Ausläufern des Hunsrück geprägt: Hügel im Wechsel mit Tälern. Tholey, Theley und Sotzweiler gehören dem Naturpark Saar-Hunsrück an. Wegen des milden, zugleich erfrischenden Klimas erhielten Tholey und Theley zudem das Prädikat Luftkurort.
Es sind die Menschen, die Leute, die aus dem Land erst so etwas wie eine Landschaft machen, die Feld und Wald hat und Häuser und Straßen und menschliche Beziehungen … Und insofern sind’s die Leute – vom Tholeyer Mönch bis zu Nikolau Warken dem Eckstein, vom dichtenden “Schang” bis zu den Alten im Bohnental und den Jungen beim Rockfestival auf dem Schaumberg – insofern macht die Summe ihrer Geschichten die Geschichte dieser Landschaft aus, im Schatten des Schaumbergs.
(Fred Oberhauser)
Am steil abfallenden Südhang des 569 m hohen, langgestreckten Schaumbergs lagert das “Abteidorf” Tholey. Die Geschichte des Dorfes ist auch die Geschichte der Abtei.
Den Reisenden
ein erstrebenswertes Ziel,
den Dorfbewohnern angenehme Heimat,
das alte Kloster
in Tholey.
(Johannes Kühn, Abtei St. Mauritius in Tholey)
Rundbogen und Bogenfeld des Hauptportals, Aufnahme Oktober 2016
Nur wenige Schritte vom Marktplatz entfernt steht die dem Hl. Mauritus geweihte Kirche. „Die Abteikirche von Tholey hat einen ganz eigenen Baustil. Die sehr stark reduzierte frühe Gotik vermittelt Einfachheit und Harmonie besonders auch im Innenraum“ (Helga Knich-Walter). Eine Ausnahme machte das Hauptportal: „verhalten wittert das Figurenportal“. „Der Engel Gabriel ist das Lächeln von Tholey, das Tholeyer Teufelchen kauert als Fledermaus in den Blattwerkkapitellen“ (Ludwig Harig). Der Verkündigungsengel steht seit längerer Zeit im Chorraum, „das Lächeln: naiv und listenreich, freundlich und fremd zugleich“ (Fred Oberhauser). Johannes Kühn hat ihm ein Gedicht gewidmet. ZITAT
Der Engel von Tholey
Im Chor den Engel Gabriel
dir ernst entgegenlächelnd,
im grauen Stein
zu sehn,
erscheinen jedes Jahr noch viele Menschen
in der Kirche.
Es kann ein Krieg
durchtoben Stadt und Dorf,
es kann
die Hungersnot behelligen
die Fraun und Männer dieses Lands,
er lächelt. Leichen ändern seine Artung nicht.
Im Winter wirst du angewärmt,
im Sommer mit der gleichen Sonnenmiene.
Verzweifelnde
mit Tränen bändigt er.
Verlassnen Frieden zwingt er wiederum zur Freundschaft.
Ich sah ihn schon
am Morgen
und hatte durch den ganzen Tag Glückseligkeit.
Ich hätte gerne reiche Gärten ausgeteilt an Arme,
so hat er mich gestimmt.
aus Johannes Kühn: Nie verließ ich den Hügelring. Blieskastel 2002. Seite 66
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Das Teufelchen im Turmuntergeschoss ist hingegen schwer zu entdecken. Im Zuge der jüngsten Renovierung der Abteikirche musste Erzengel Gabriel seinen Platz im Chorhaupt für den Kirchenpatron, den Hl. Mauritius, „mit Helm und Panzer, mit Speer und Schild“, räumen. Den „Engel von Tholey“ versetzte man in den südlichen Seitenchor. Laut Auskunft der Abtei vom Juli 2023 bleibt dieser Standort vorläufig, bis die „Untersuchungen zur Portalkonservierung“ abgeschlossen sind.
Der „Engel von Tholey“ im Chorhaupt samt Pfeilerfragment des Nordportals
Unter dem Plattenfußboden dieser Kirche liegen Fundamente einer komfortablen römischen Badeanlage. In ihren Ruinen errichtete auf einer Fläche von 13 mal 15 Metern der fränkische Adelige Adalgisel Grimo die erste Kirche des Saarlandes und vermachte sie 634 der Kirche zu Verdun. Diese wurde zu einem Seelsorgezentrum bis in den Hunsrück hinein. Das Testament ist die älteste Urkunde des Rheinlandes. ZITAT
Testament von 634 (übersetzt von Hans-Walter Herrmann)
… Deßwegen [habe] ich Sünder Grimo für mein Seelenheil und als bereitwillige Opfergabe für so viele abzuwaschende und verderbliche Sünden durch die Reihe dieser Verfügung(en) (bei vollem Bewußtsein und wohlüberlegt) mein Testament gemacht … Den Ort mit dem Beinamen Domo und das castrum Tholey, in den Vogesen gelegen, wo ich zur Ehre Gottes eine Stätte der Heiligen erbaut habe [und wohin der Bischof von Trier auf meine] Bitten Kleriker schickte, die dort dienen, in unversehrter Gänze, so wie es gegenwärtig von mir besessen wird, mit Feldern, Wiesen, Wäldern und Hörigen, [Gebäuden], mit allem seinem Recht, mit Zubehör, Einkünften, gekauften Häusern und was zur Zeit meines Todes in diesem(n) Ort(en) gefunden werden wird. Alle und alles, [so wie e diese Urkunde, die] ich in der Kirche zu Verdun gemacht habe, enthält, soll diese Kirche selbst ( = Verdun) in ihr Recht und ihre Herrschaft erhalten und soll sie als Verwalter im Namen Gottes besitzen.
(Die Urkunde ist nicht im Original, jedoch in einer glaubwürdigen Abschrift des 10.Jh.s erhalten. H.-W. Herrmann, in: 22. Bericht der Staatlichen Denkmalpflege im Saarland, Abt. Bodendenkmalpflege. 1975)
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Im 8. Jahrhundert ziehen Benediktiner ein. Makarios Hebler OSB begründet, “warum gerade hier die Errichtung einer Klosteranlage (und vorher schon einer Kelten-und Römersiedlung) sich als besonders günstig erwies.” ZITAT
Die Benediktinerabtei St. Mauritius zu Tholey, ein Museum oder Kloster? (ein Auszug)
Unterhalb des Schaumberges, Richtung Süden, liegt ein kleines Plateau. Der Schaumberg bietet nach Norden hin Schutz genug für eine derartige Ansiedlung. Auch das Klima ist so günstig, daß die Kleriker und später die Mönche alles zum Lebensunterhalt Notwendige besaßen: Wasser, Felder, Gärten und Wald. Die Benediktinermönche konnten diesen Platz des Besitztums ihres fränkischen Vorgängers Adalgisel Grimo entsprechend ihrer Klosterregel mit gutem Gewissen übernehmen. In der Mönchsregel des Hl. Benedikt heißt es im Kapitel 66: “Das Kloster soll womöglich so angelegt sein, daß sich alles Nötige, nämlich Wasser, Mühle, Garten und der Betrieb der Werkstätten, innerhalb des Klosters befinde. So sind die Mönche nicht genötigt, draußen herumzulaufen. Das ist für ihre Seelen durchaus nicht gut.”
(In: Erinnerungen. Designe für Städte und Gemeinden des Saarlandes, Nr. 2 der Schriftenreihe der Hochschule der Bildenden Künste Saar. Saarbrücken 1991))
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Zum Kloster gehörte eine Klosterschule. Womöglich wurden die ersten lateinischen Wendelslegenden von den Tholeyer Mönchen oder Klosterschüler niedergeschrieben. So viele „aufsehenerregende Wunderzeichen“ sie in St. Wendel, am Grabe des Heiligen, auch geschehen lassen, das bedeutsamste Mirakel spielt in Tholey, beim Begräbnis des Heiligen. ZITAT
Zitat der Wendelin-Legende
Das Begräbnis- und Gespannwunder
(nach der Neufassung (1933) der ersten deutschsprachigen Legende von 1471/72)
Nachdem Wendelin, am Ende seines Lebens “Abt von Tholey“, gestorben war, begruben ihn die Mönche in dem Kloster als einem Heiligen wohl ziemet, und steckten vier brennende Wachskerzen zu seinem Grab. Und da sie des andern Morgens zu dem Grab kamen, da fand man das Grab offen, und er lag darneben. Da erschraken sie sehr, und verstunden wohl, daß er sein Begräbnis nicht in dem Kloster wölle haben. Und legten ihn auf den Wagen, und satzten zween Ochsen darein, die vor nie in keinen Wagen kommen waren. Die Ochsen gingen ohn aller Menschen Leitung die sieben Meilen weit bis an den Berg, da er oft zu Gott gebetet hätt, die Weil er das Vieh hütet. Und da sie unten an den Berg kamen, da zogen sie den heiligen Leichnam darauf ohn alle Hülf der Menschen und stunden oben still. Da erkannte man wohl, dass er dar liegen wölle. Da machet man ihm ein Grab und leget ihn darein …
(Severin Rüttgers, Insel Verlag Leipzig 1933)
Von Tholey führt der Wendelinus-Pilgerweg nach St. Wendel
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Im 14. Jahrhundert kam das Gebiet als Amt Schaumburg (weitaus größer als die Schaumberggemeinde heute) an Lothringen, 1787 wegen Grenzregulierung an Pfalz Zweibrücken. Wenig später wird Tholey von französischen Revolutionstruppen besetzt, die Klosteranlage samt Inventar vom französischen Staat versteigert. Die Klosterkirche bleibt als Pfarrkirche erhalten. 1795 wird das Land zwischen Prims und Blies dem Saardepartement zugeschlagen und kommt 1815 als “Amt Tholey” an Preußen. Die Äbte und Mönche jedoch bleiben, so will es die Sage, mit ihrer Wirkungsstätte “ungelöst verbunden”. ZITAT
Die Geistermesse in Tholey
Alte Leute erzählen: “Bei Beginn der Geisterstunde erheben sich die in und an der Kirche ruhenden Äbte und Mönche, der Klosterpflicht gemäß, die Mitternachtsmesse zu singen. Geisterhaft huschen die weißen Gestalten zum Chore. Man hört das Murmeln betender und singender Männerstimmen. Nach der Messe finden sie sich zusammen in der ehemaligen Abtswohnung, dem heutigen Pfarrhause, um Klage zu führen und Beratung zu halten über die Zerstörung und den Wiederaufbau der in Trümmern liegenden einstigen Klosterherrlichkeit.” Woher das Geld nehmen? Der letzte der alten Tholeyer Söhne des heiligen Benedikt wusste von einem vergrabeben Klosterschatz, der irgendwo im verschwiegenen Winkel schlummere, um auf den Zeitpunkt zu warten, bis ihn ein glücklicher Zufall erwecke.
(Die Sagen der Saar. Gesamtausgabe Nr. 712)
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1949 wird die Abtei wieder belebt. Trotz vieler notwendiger Restaurierungen blieb die Pfarr- und Klosterkirche ein Ort der Stille und Geborgenheit. Das hat sich geändert, als die Abtei im Herbst 2017 begann, die Kirche, in deren Besitz sie seit 2018 ist, gründlich zu erneuern. Abt Mauritius Choriol im „Tholeyer Brief“, April 2020: „Unsere Abteikirche erstrahlt schon jetzt in neuem Glanz.“ Neu eingerichtet und kostbar ausgestattet, sind es vor allem die Fenster, die Aufsehen erregen: drei Chorfenster von Gerhard Richter, 37 Fenster im Kirchenschiff mit Darstellungen aus dem alten und neuen Testament von Mahbuba Maqsoodi, einer afghanischen Muslimin. „Die Fenster sollen sprechen, sie sollen zum Dialog anregen.“ Tholey soll zu einem Ort der Begegnung werden. Mit einer Festwoche im September 2020 wurde die Kirche wieder eröffnet.
Tholey hatte seit 2004 auch einen kleinen Verlag namens ETAINA in der Varuswaldstraße 17. Gegründet hat ihn die Rheinländerin Martina Merks-Krahforst, die im Oktober 2017 verstorben ist. Frau Martina Merks war selbst Lyrikerin und als Verlegerin sehr engagiert, in der Grenzregion an der Saar deutsche und französische Autorinnen und Autoren in zweisprachigen Textausgaben zu veröffentlichen, um damit Sprachbarrieren zu überwinden. Im Haus gibt es zudem seit 2007 eine Gedichtwerkstatt. Die “Sprachspielerinnen” haben zum 80. Geburtstag von Johannes Kühn anhand von zehn Zitaten selbst gedichtet. Die Verlegerin hat die Texte rechtzeitig 2014 unter dem Titel “Über die Hügel wehen Verse” herausgebracht, als “Hommage an einen großen Dichter und sehr liebenswürdigen Menschen”. Nach dem Tode von Martina Merks-Krahforst wurden Verlag und Gedichtwerkstatt aufgelöst.
Wer so lange schon in Tholey lebt, kennt die Landschaft und das Dorf. In der Hommage an Johannes Kühn sind Gedichte auch der Herausgeberin. Das ausgewählte fand ihre Zustimmung: “Bleiben wir bei dem Katzengedicht! Ich mag es sehr.” ® ZITAT
Hauswächterin
Gemächlichkeit atmet das Dorf.
Die grünäugige Hauswächterin thront
auf den Stufen, die Straße im Blick
Nichts entgeht ihren Katzenaugen.
Nicht der Zeitungsträger in kühler Dunkelheit.
Nicht die Schulranzenkinder am Morgen.
Den Postboten begrüßt sie schnurrend,
wenn er Briefe aus der Ferne bringt.
Jeden Baum, jeden Strauch hat sie besucht,
kennt jede Ecke mit einem Schälchen Milch.
Manchem Passanten schenkt sie
ihren weisen Blick.
In zeitlosen Streifzügen
machte sie sich das Dorf vertraut.
Immer wieder kehrt sie zurück zu ihrem Haus,
zu den Menschen, die sie bewacht,
sich ihrer Aufgabe wohl bewusst
im gemächlichen Atem des Dorfs.
Über die Hügel wehen Verse, Hommage an Johannes Kühn. Gedicht-Anthologie. Hrsg. Martina Merks-Krahforst. Tholey 2014
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Schaumberg
Schaumberg, Foto: Martin Oberhauser
Und des Südvolks Söldner
hat er gesehn, der Hüter
entfernter Geschichte,
die Sommer
römischer Herrlichkeit
gingen ein in die Augen,
er bewahrt und bewacht.
(Johannes Kühn, Tholey. Meine Wanderkreise, 1990)
Den “Hausberg des St. Wendeler Landes” ersteigt man am besten von seiner nördlichen, der abgeflachten Seite. Durch drei halbkreisförmig angelegte Gräben und Erdwälle führt der Weg aufs Plateau zu den Resten der mittelalterlichen Schauenburg. Jüngst wurden Massivbauten aus der späten Römerzeit freigelegt. Die Sage weiß es seit langem: Eine schnurgerade Straße habe den Spiemont, den “Spähberg” südlich St. Wendel, mit dem Schau(en)berg verbunden. In Sichtweite lagen sich die beiden “Schlösser” der feindlichen Varus-Brüder gegenüber. Der 37,5 m hohe Aussichtsturm, 1928 als Ehrenmal für die im Ersten Weltkrieg gefallenen Saarländer errichtet, wurde 29 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges zu einer Gedenkstätte der Versöhnung zwischen Deutschland und Frankreich. Dazu noch einmal Makarios Hebler. ZITAT
Gedenkstätte der Deutsch-Französischen Freundschaft
Die Gedenkstätte der Deutsch-Französischen Freundschaft auf dem Schaumberg zeigt die Inschrift: “Suche den Frieden und jage ihm nach!” Ps 14 zitiert Benedikt in seinem Vorwort zu seiner Regel und macht ihn zu einer Devise für seine Mönche.
“ … willst du das wahre und ewige Leben besitzen, bewahre deine Zunge vorm Bösen, deine Lippen sollen nicht Trug reden; weiche vom Bösen, tue Gutes; suche den Frieden und jage ihm nach!”
Vor aller Sorge um einen sachgerechten Schutz unserer Umwelt, bedarf es einer neuen Entdeckung der Frage nach dem letzten Sinngrund unseres Daseins; einen Umweltschutz der eigenen Seele, dann wird auch die Kultur der menschlichen Herzen wachsen und Frieden werden. Das Wörtchen “Pax-Friede” steht über vielen Klosterpforten eingemeißelt. Der Schaumberg und Tholey sind aufs engste verbunden im Bemühen um die Freundschaft der Völker. Das ist mehr, als nur Kulturgüter und Baudenkmäler zu pflegen.
(In: Erinnerungen. Designe für Städte und Gemeinden des Saarlandes…)
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Vicus Wareswald
Die größte römische Siedlung der Region lag am Schnittpunkt der am meist frequentierten Handelsstraßen und verband Metz mit Mainz und Trier mit Straßburg. Blütezeit im 2. Jahrhundert. Funde beweisen, dass in diesem bis 20 Hektar großen Gebiet eine kontinuierliche Besiedlung von Römern auf Kelten stattfand. Wohl wegen der Namensgleichheit hat hier Rixius Varus, der “blutrünstige Christenverfolger”, seine gerechte Strafe gefunden und wurde zum Wiedergänger. ZITAT
Rixius Varus als wilder Jäger
… Die in früheren Jahren aus Theley und Umgebung nach den Arbeitsstätten des saarländischen Kohlengebiets wandernden Bergleut hörten oft, wernn sie durch den Varuswald gingen, Rixius Varus mit seinem Gefolge durch die Lüfte ziehen. Einigen beherzten Bergknappen ist er auf ihren Ruf, “Rixius Varus komm!” auch erschienen. Er zeigte sich dann in wilder Gestalt, mit großen feurigen Augen und drohte die Frevler zu strafen.
Alte Leute wissen zu erzählen, daß er auch als großer Hund die Wälder unsicher mache. Ist er doch oft Leuten, die des Nachts die Wiesen wässerten, als solcher mit feurigen Augen erschienen. …
(Die Sagen der Saar, Gesamtausgabe Nr. 710)
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