Ludwig Harig

geb. 18. Juli 1927 in Sulzbach, gest. 5. Mai 2018 in Sulzbach

schwarz weiß Aufnahme als der Autor vorliest aus "Die saarländische Freude"

Ludwig Harig, 1978. Foto: René Maltha

Ludwig Harig ist der bedeutendste Schriftsteller des Saarlandes in der Kombination von Anerkennung durch den Literaturbetrieb, Verbreitung seiner Werke im In- und Ausland sowie der identitätsstiftenden Wirkung im Saarland. Von Kritikern wird er zur ersten Reihe der zeitgenössischen deutschen Autoren gezählt, er hat zahlreiche Preise und Auszeichnungen erhalten, und sein Loblied auf die „Saarländische Freude“ (Buchtitel) hat den Fokus von Literaturfreunden auf das kleine Bundesland gelenkt.

Harig kommt im Bergmannsdorf Sulzbach zur Welt als erster von zwei Söhnen eines selbständigen Maler- und Anstreichermeisters. Abgesehen von einer Zeit des „Exils“ im nahegelegenen Dudweiler (1963-1978), bleibt Sulzbach immer Harigs Wohnort. In der Volksschule beginnt die lebenslange Freundschaft mit dem gleichaltrigen, ursprünglich aus Ensdorf stammenden Eugen Helmlé, der später ein bekannter Übersetzer und Autor wird, gelegentlich mit Harig zusammenarbeitet und wie dieser den Saarländischen Kunstpreis bekommt. 1941, als 14jähriger, tritt Harig in die nationalsozialistische Lehrerbildungsanstalt Idstein im Taunus ein. In seinem autobiografischen Roman „Wer mit den Wölfen heult, wird Wolf“ (1996) bekennt er sich zu seiner damaligen Begeisterung für das NS-Regime. Bei Kriegsende ist er im Wehrertüchtigungslager Harburg, im August 1945 kehrt er nach Sulzbach zurück, besucht dann die saarländischen Lehrerbildungsstätten in Blieskastel, Saarbrücken, Ottweiler. Nach dem Volksschullehrerexamen wirkt Harig 1949/50 als Assistant d’Allemand am Collège Moderne in Lyon.

schwarz weiß Aufnahme als der Autors als Lehrer auf dem Tisch sitztend mit Blick nach vorne

Ludwig Harig als Lehrer in Friedrichsthal. Foto: Wilfried Bauer

Von 1950 an arbeitet er als Volksschullehrer zunächst in Dirmingen (heute Ortsteil von Eppelborn), dann, ab 1956, in Friedrichsthal. 1957 heiratet er die Lehrerin Brigitte Gottschall. Mit dem Kunstpreis des Saarlandes 1966 findet Harig zu Hause schon früh literarische Anerkennung. 1970 lässt er sich vom Schuldienst beurlauben, seit 1974 ist Ludwig Harig freiberuflicher Schriftsteller. Als Autor ist er in zahlreichen Genres hervorgetreten. Zu Anfang seiner Laufbahn als Schriftsteller hilft vor allem das Schreiben von Hörspielen für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, seine materielle Existenzgrundlage zu sichern. Den Erfolg beim lesenden Publikum bringen die zeitgeschichtlich-autobiografischen Romane, angefangen beim Vater-Roman „Ordnung ist das ganze Leben“ (1986). Er erhält zahlreiche renommierte Preise, Stipendien, Ehrungen. Seit der öffentlichen (Nach-)Feier zu seinem 85. Geburtstag im September 2012 in Sulzbach tritt Harig nicht mehr in der Öffentlichkeit auf, im gleichen Jahr erscheint seine letzte Publikation („Meine schwarzen Dichtervettern“ in „Akzente“ 2012, Nr. 3).

Ordnung ist das ganze Leben

Foto des Zitates

Ludwig Harig Handschrift: Die Biescher un es Läwe

Seit Mitte der 50er Jahre tritt Harig mit experimentellen Texten, so genannter Konkreter Poesie, im Umkreis der literarischen „Stuttgarter Schule“ um Max Bense hervor. 1963 beginnt seine Hörspielproduktion, er ist mitprägend für das Neue Hörspiel (Aufsehen erregt 1969 „Staatsbegräbnis“ für SR und WDR, eine Originalton-Collage aus den Rundfunkübertagungen anlässlich der Trauerfeierlichkeiten für Konrad Adenauer). Seit Anfang der 70er Jahre wird Harigs Werk vom Münchner Hanser Verlag betreut. 1977 erscheint der Sammelband „Die Saarländische Freude“, in dem er den Saarländer als den vollkommenen Menschen beschreibt, ihm „Lummerkeit“ und die „Harmonie der nicht ausgetragenen Widersprüche“ andichtet – im Saarland wird die Ironie bzw. der utopische Charakter dieser Zuschreibungen gern übersehen, Harig wird „in dieser alten Hochburg der Minderwertigkeitskomplexe zum Identitätsstifter schlechthin“ (Christoph Schreiner). Den „Zeit“-Kritiker Benjamin Henrichs macht das Buch so neugierig, dass er, statt eine Rezension zu schreiben, zu den Harigs fährt und sich von ihnen vor Ort zeigen lässt, was saarländische Freude in der Praxis bedeutet – er findet es „anstrengend und sehr schön“. 1983 beginnt die Freundschaft mit dem Lebacher Lehrerehepaar Benno und Irmgard Rech, die ihn seitdem – ebenso wie den Dichter Johannes Kühn – literarisch beraten („Benno ist mein Eckermann“, sagt Harig). Nachdem Harig sich nach der Phase des experimentellen Schreibens dem Erzählen zugewandt hat, bringt 1986 „Ordnung ist das ganze Leben – Roman meines Vaters“ den Durchbruch auf der großen literarischen Bühne. Es folgen die zeitgeschichtlich-autobiografischen Romane „Weh dem, der aus der Reihe tanzt“ (1990), „Wer mit den Wölfen heult, wird Wolf“ (1996), „Und wenn sie nicht gestorben sind“ (2002) sowie „Kalahari“ (2007).

Coverabbildung des Autors im Entdecker Magazin von 2012

Foto: SR Archiv

„Ludwig Harig beginnt seinen literarischen Werdegang mit experimentellen Texten, und das ist ein Glück, denn damit richtet er sein Bemühen für eine ganze Entwicklungsphase auf die kunstvoll kalkulierte Verwendung der Sprache aus. Erst nachdem er sich der Sprache in ihren grammatischen, Bedeutung erzeugenden Möglichkeiten sicher war und ihre klanglich-mischen Eigenschaften ausprobiert hatte, wandte er sich, wohl auch, weil er für sich das experimentelle Schreiben in seinen reizvollsten Möglichkeiten ausgeschöpft sah, dem persönlichen Erzählen zu.“ Harigs Erzählweise sei „meilenweit vom historischen oder dokumentarischen Berichten entfernt“. (Benno Rech) Zwar betreibt er im Vorfeld intensive Recherchen, beim Erzählen aber gibt Harig dann dem Spiel mit Worten und Motiven, der Erfindung, dem Subjektiven breiten Raum, er postuliert: „Nichts ist wahr als das Selbstempfundene, nichts existiert als das Selbstwahrgenommene.“

Ein kurzer Text von Harig findet sich auf einer Skulptur „Hommage à Buňuel“ von Leo Kornbrust auf dem Symposiongelände St. Wendel.

Im Schuljahr 2018/2019 ist Ludwig Harig im Saarland Pflichtlektüre in Klassenstufe 11, im Mittelpunkt steht der Roman „Weh dem, der aus der Reihe tanzt“. Aus diesem Anlass hat das Landesinstitut für Pädagogik und Medien zwei Filme initiiert: „Ludwig Harig – Weltpoet aus Sulzbach“ und „‘Ich kann nichts ungeschehen machen. Ich kann nur davon erzählen.‘ Wem dem, der aus der Reihe tanzt. Ludwig Harigs Roman über seine Kindheit und Jugend im Nationalsozialismus“ (jeweils Buch und Regie: Prof. Dr. Karl Prümm, Kamera, Ton und Schnitt: Herbert Stang).

Ludwig Harig stirbt am 5. Mai 2018 an seinem Geburtsort. In seinem Nachruf im „Spiegel“ (Nr. 20/2018) schreibt Nils Minkmar: „Sein Werk ist immer aktueller geworden, und es nimmt Wunder, dass sein Wohnhaus im saarländischen Sulzbach nicht längst Ziel von Pilgerwanderungen wurde. Der 1927 geborene Literat hat mit bemerkenswerter Sturheit jene Themen behandelt, die uns heute besonders beschäftigen: Wie versöhnt man Identität und Toleranz? Wie liebt und beschreibt man seine Heimat, ohne die Neugier auf die Welt zu verlieren, ohne den Fremden auszuschließen? Und wie lebt man, wenn man doch jeden Tag schreckliche Mühe damit hat, die Zumutungen der Wirklichkeit mit den Mitteln der Vorstellungskraft in die Schranken zu weisen?“

Zur Erinnerung an Ludwig Harig lobt das saarländische Kulturministerium ab 2019 jährlich ein „Ludwig-Harig-Stipendium“ als Reise- und Recherchestipendium aus. Das Stipendium ist mit 10 000 Euro dotiert und wendet sich an Autor(inn) en aus der Großregion Saar-LorLux-Rheinland-Pfalz-Elsass-Wallonie oder an solche, die thematisch über das Saarland oder die Großregion arbeiten. 2019 hat Harigs Geburtsstadt Sulzbach der Fläche hinter dem Rathaus den Namen „Ludwig Harig Forum“ gegeben, nachdem 2010 der Platz vor der Aula nach dem Übersetzer und Harig-Freund Eugen Helmlé benannt worden ist. Im September 2023 lässt die Stadt an Harigs Geburtshaus in der Schlachthofstrasse eine Gedenktafel anbringen.

Im September 2019 bringt die sparte4 des Saarländischen Staatstheaters eine Bühnenbearbeitung von Harigs Roman „Weh dem, der aus der Reihe tanzt“ heraus. (RP)