Marpingen
Marpingen ist eine kleine Gemeinde mit nur vier Dörfern: Marpingen, Alsweiler, Berschweiler und Urexweiler. Sie grenzt westlich an die Gemeinde Tholey, östlich an St. Wendel und im Süden an den Kreis Neunkirchen. Von oben, dem 442 m hohen “Weinhausköpfchen”, hat man die Landschaft zwischen Prims und Blies vor Augen: Hügelketten und Bergrücken mit steilen Kuppen, den Schaumberg, den Momerich, den Spiemont und, weit weg, den Bosenberg.
Das Weinhausköpfchen liegt an der Rheinstraße, der alten Römerstraße, die von Trier über den Vicus Wareswald nach Straßburg führt. Am besten kommt man über den Weiler Habenichts (bei Urexweiler) hinauf. Als „Weinhansen Köpfchen“ ist es bereits 1774 beurkundet. Und in diese Zeit führt auch die Sage von dem “Weinhannes“, einem “gottlosen Wirt”, einem Weinpanscher:
„Himmel und Erde wurden über diesen Weinfälscher so aufgebracht, daß er nach seinem Tode auf jene Melaphyr-Höhe verbannt wurde, welche von ihm den Namen träg. Dort hatte er nun nachts auf der alten Römerstraße auf und abzugehen und die angrenzenden Ländchen von drei Herren, nämlich Tholey (Lothringen), St. Wendel (Kurtrier) und Ottweiler (Nassau-Saarbrücken) zu rufen: ‘Drei Shoppen Wein und ein Schoppen Wasser gibt auch ein Maß.“
(Karl Lohmeyer, Die Sagen der Saar, Gesamtausgabe Nr. 784)
„Wenn ihr sie wieder seht, fragt, wer sie sei“
In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts machte Marpingen, das Bergmannsbauerndorf, Schlagzeilen.
Vom 3. bis 5. Juli 1876 sei im Härtelwald drei achtjährigen Mädchen beim Heidelbeerenpflücken eine “weiße Frau“ erschienen. Es ist der eher harmlose Beginn einer skurrilen Geschichte, die in Anlehnung an Lourdes zur Erscheinung der “unbefleckt Empfangenen” aufgewertet wurde, sodass es noch im selben Monat, nach der Kunde von angeblichen Wunderheilungen und dem Gebrauch einer Heilquelle, zu Massenaufläufen im Härtelwald kam. Eine Auseinandersetzung zwischen dem preußischen Obrigkeitsstaat und der katholischen Volksfrömmigkeit konnte zu Zeiten des Kulturkampfes und der wiederholten Wirtschaftskrisen nicht ausbleiben. Immerhin endete der “Marpinger Prozess” am 5. April 1879 vor dem Saarbrücker Zuchtpolizeigericht mit dem Freispruch für sämtliche 21 Angeklagten (darunter Eltern der Seherinnen und Pfarrer Neureuter). Die drei Mädchen waren bereits ein Jahr zuvor ins Kloster “Vom armen Kinde Jesu” im luxemburgischen Echternach gesteckt worden.
Das 1997 in deutscher Übersetzung erschienene Buch des Engländers David Blackbourn: “Wenn ihr sie wieder seht, fragt wer sie sei, schildert auf run 700 Seiten die „Marienerscheinungen in Marpingen“ als den “Aufstieg und Niedergang des deutschen Lourdes”.
Allein die Titel der in drei Teile gegliederten zwölf Kapitel verraten, wie detailliert und fundiert der Autor die Ereignisse im Dorf Marpingen erläutert und den Schicksalen seiner Bewohner nachspürt. So in Teil I “Der Hintergrund”, auf 60 Seiten das 3. Kapitel: “Der Schauplatz: ein saarländisches Dorf im Umbruch”. Oder in Teil II “Die Erscheinungen”, auf 47 Seiten das 4. Kapitel: “Die Visionärinnen und ihre Welt”. Konsequent handelt der dritte Teil über “Die Folgen”.
An der Alltagsgeschichte ist oft bemängelt worden, dass am “kleinen Fall” die übergreifenden Strukturen aus dem Blick geraten wären. Blackbourns Studie “ist weit mehr als eine ‘wahrheitsgetreue Erzählung’ dessen, was in Marpingen geschah. Die denkwürdigen Ereignisse in der saarländischen Gemeinde bilden nur die Kulisse, vor der der Autor ein großartiges Panorama von Gesellschaft und Politik der Bismarck-Zeit entfaltet” (Volker Ullrich, Die Zeit, 5. Dezember 1997).
De Himmel off Besuuch
lautet der Titel eines Buches, in dem die gebürtige Marpingerin Maria Becker-Meisberger ihre in moselfränkischem Dialekt verfassten Gedichte herausgab, in Schriftsprache übertragen von Edith Braun. Die Gedichte erinnern ihre Kindheit im Dorf vor dem Zweiten Weltkrieg:
„De Hidler,/dääne hòddse schwäär off der Ladd,/Dier Kenner,/dad ess de Andigrischd.“
Da war die Welt beileibe nicht heil, doch hatten die Kinder trotz vieler Entbehrungen ihre Geborgenheit, ihr “Geheischnis”:
„Weihnachde bei uns dehääm, da ess de Himnmel off Besuuch.“
Die Autorin schreibt nicht aus der Distanz, Vergangenes aufarbeitend. Mit etwas Wehmut registriert sie, dass Marpingen nicht mehr ihr Dorf ist. Die Frage, die immer wieder gestellt wird (nicht nur von unserer Autorin): „onn ess dad Dòrf iwwerhaubd noch e Dòrf?“ ZITAT
Bereits Ende der 1960er Jahre hat sich das Bergmannsbauerndorf zu einer “gepflegten Wohngemeinde für die vielen Berufspendler” gewandelt, “mit hohem Sport- und Freizeitwert” (Heimatbuch Marpingen 1980).
Becker-Meisbergers Gedicht “Maibach” ist vielleicht das beste, jedenfalls meist gedruckte Gedicht von ihr. Der Vater kam auf der Grube Maybach (Friedrichsthal-Maybach) bei der Schlagwetterexplosion am 25. Oktober 1930 mit noch 97 Bergleuten ums Leben. Ein Denkmal vor dem ehemaligen Gebäude der Grube erinnert daran.1 Maria war damals keine fünf Jahre alt. ZITAT