Dudweiler ist ein Sonderfall unter den Saarbrücker Ortsteilen. 977 zum ersten Mal urkundlich erwähnt, groß geworden durch den Bergbau, wuchs Dudweiler im 20. Jahrhundert heran zum „größten Dorf Europas“. Es erhielt 1962 die Stadtrechte, wurde aber bereits 1974 im Rahmen der saarländischen Gebiets- und Verwaltungsreform gegen breiten Widerstand in der Bevölkerung in die Landeshauptstadt eingemeindet. Der damals zugestandene Sonderstatus mit hauptamtlichem Bezirksbürgermeister wurde 2014 aufgehoben. Die früher vermutete Herkunft des Namens vom fränkischen Edelmann Dudo ist heute umstritten.
Die nach dem Zweiten Weltkrieg gegründete Universität des Saarlandes liegt auf Dudweiler Territorium.
Durch Goethe ist Dudweiler in die Weltliteratur eingegangen. In „Dichtung und Wahrheit“ hat er, der 1770 als 21-jährige Student von Straßburg hierher geritten war, den Brennenden Berg beschrieben, einen schwelenden Kohlenflöz – was vor Ort auch mit einer Gedenktafel gewürdigt wird 1. ZITAT
Zitat von Goethe
Als 21jähriger Student kam Goethe ins Saarland. Seit April 1770 studiert Goethe in Straßburg Jura. Der Ritt zur Zaberner Steige und ins Lothringische begann am 22. Juni und endete etwa am 6. Juli. Den Alaun, der im Werk am Brennenden Berg gewonnen wurde, benutzte Man zur Herstellung von Farben und Salmiak.
Hier wurde ich nun eigentlich in das Interesse der Berggegenden eingeweiht, und die Lust zu ökonomischen und technischen Betrachtungen, welche mich einen großen Teil meines Lebens beschäftigt haben, zuerst erregt. Wir hörten von den reichen Dudweiler Steinkohlegruben, von Eisen- und Alaunwerken, ja sogar von einem brennenden Berge, und rüsteten uns, diese Wunder in der Nähe zu beschauen. […]
In der Alaunhütte erkundigten wir uns genau nach der Gewinnung und Reinigung dieses so nötigen Materials, und als wir große Haufen eines weißen, fetten, lockeren, erdigen Wesens bemerkten und dessen Nutzen erforschten, antworteten die Arbeiter lächelnd, es sei der Schaum, der sich beim Alaunsieden obenauf werfe, und den Herr Staudt sammeln lasse, weil er denselben gleichfalls hoffe zu Gute zu machen. – ‚Lebt Herr Staudt noch?‘, reif mein Begleiter verwundert aus. Man bejahte es und versicherte, dass wir, nach unserm Reiseplan, nicht weit von seiner einsamen Wohnung vorbeikommen würden.
Unser Weg ging nunmehr an den Rinnen hinauf, in welchen das Alaunwasser heruntergeleitet wird, und an dem vornehmsten Stollen vorbei, den sie die Landgrube nennen, woraus die berühmten Dudweiler Steinkohlen gezogen werden. Sie haben, wenn sie trocken sind, die blaue Farbe eines dunkel angelaufenen Stahls, und die schönste Irisfolge spielt bei jeder Bewegung über die Oberfläche hin. Die finsteren Stollenschlünde zogen uns jedoch um so weniger an, als der Gehalt derselben reichlich um uns her ausgeschüttet lag. Nun gelangten wir zu offenen Gruben, in welchen die gerösteten Alaunschiefer ausgelaugt werden, und bald darauf überraschte uns, obgleich vorbereitet, ein seltsames Begebnis. Wir traten in eine Klamme und fanden uns in der Region des brennenden Berges. Ein starker Schwefelgeruch umzog uns; die eine Seite der Hohle war nahezu glühend, mit rötlichem weißgebranntem Stein bedeckt; ein dicker Dampf stieg aus den Klunsen hervor, und man fühlte die Hitze des Bodens such durch die starken Sohlen. Ein so zufälliges Ereignis, denn man weiß nicht wie diese Strecke sich entzündete, gewährt der Alaunfabrikation den großen Vorteil, dass die Schiefer, woraus die Oberfläche des Berges besteht, vollkommen geröstet daliegen und nur kurz und gut ausgelaugt werden dürfen. Die ganze Klamme war entstanden, dass man nach und nach die kalzinierten Schiefer abgeräumt und verbraucht hatte. Wir kletterten aus dieser Tiefe hervor und waren auf dem Gipfel des Berges. Ein anmutiger Buchenwald umgab den Platz, der auf die Hohle folgte und sich ihr zu beiden Seiten verbreitete. Mehrere Bäume standen schon verdorrt, andere welkten in der Nähe von andern, die, noch ganz frisch, jene Glut nicht ahneten, welche sich aus ihren Wurzeln bedrohend näherte.
Auf dem Platz dampften verschiedene Öffnungen, andere hatten schon ausgeraucht, und so glomm dieses Feuer bereits zehn Jahre durch alte verbrochene Stollen und Schächte, mit welchen der Berg unterminiert ist. Es mag sich auch auf Klüften durch frische Kohlenlager durchziehen: denn einige hundert Meter weiter durch den Wald gedachte man bedeutende Merkmale von ergiebigen Steinkohlen zu verfolgen; man war aber nicht weit gelangt, als ein starker Dampf den Arbeitern entgegendrang und sie vertrieb. Die Öffnung ward wieder zugeworfen; allein wir fanden die Stelle noch rauchend, als wir daran vorbei den Weg zur Residenz unseres einsiedlerischen Chemikers verfolgten. Sie liegt zwischen Bergen und Wäldern; die Täler nehmen daselbst sehr mannigfaltige und angenehme Krümmungen, rings umher ist der Boden schwarz und kohlenartig, die Lager gehen häufig zu Tage aus. Ein Kohlenphilosoph – Philosophus per ignem, wie man sonst sagt – hätte sich wohl nicht schicklicher ansiedeln können.
Wir traten vor ein kleines, zur Wohnung nicht übel dienliches Haus und fanden Herr Staudt, der meinen Freund sogleich erkannte und mit Klagen über die neue Regierung empfing. Freilich konnten wir aus seinen Reden vermerken, dass das Alaunwerk, so wie manche andere wohlgemeinte Anstalt, wegen äußerer, vielleicht auch innerer Umstände, die Unkosten nicht trage, und was dergleichen mehr war. Er gehörte unter die Chemiker jener Zeit, die, bei einem innigen Gefühl dessen, was mit Naturprodukten alles zu leisten wäre, sich in einer abstrusen Betrachtung von Kleinigkeiten und Nebensachen gefielen, und bei unzulänglichen Kenntnissen nicht fertig genug dasjenige zu leisten verstanden, woraus eigentlich ökonomischer und merkantilischer Vorteil zu ziehen ist. So lag der Nutzen, den er sich von jenem Schaum versprach, sehr im Weiten; so zeigte er nichts als einen Kuchen Salmiak, den ihm der brennende Berg geliefert hatte.
Bereitwillig und froh, seine Klagen einem menschlichen Ohre mitzuteilen, schleppte sich das hagere abgelebte Männchen in einem Schuh und einem Pantoffel, mit herabhängenden, vergebens wiederholt von ihm heraufgezogenen Strümpfen den Berg hinauf, wo die Harzhütte steht, die er selbst errichtet hat und nun mit großem Leidwesen verfallen sieht. Hier fand sich eine zusammenhangende Ofenreihe, wo Steinkohlen abgeschwefelt und zum Gebrauch bei Eisenwerken tauglich gemacht werden sollten; allein zu gleicher Zeit wollte man Öl und Harz auch zu Gute machen, ja sogar den Ruß nicht missen, und so unterlag den vielfachen Absichten alles zusammen. Bei Lebzeiten des vorigen Fürsten trieb man das Geschäft aus Liebhaberei, auf Hoffnung; jetzt fragte man nach dem unmittelbaren Nutzen, der nicht nachzuweisen war
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Der Autor Harald Gerlach, der auf Goethes Spuren von Straßburg ins Saarland gewandert ist, will den Brennenden Berg 1999 immer noch brennen gesehen haben, die Szenerie erinnert ihn „bedrohlich an einen Vorhof der Hölle“. In Dudweiler ist man stolz auf den Goethe-Besuch, von dem Liesbet Dill allerdings abschätzig meinte: „Wo man hinkommt, waren schon Goethe und die Römer.“
A propos Liesbeth Dill: In der Saarbrücker Straße stand ihr Elternhaus 2, hier hat sie ihre, wie sie selbst schrieb, „reiche, ungetrübte Jugend“ verbracht und später anschauliche Erinnerungen an das Dudweiler der 1880er Jahre verfasst. ZITAT
Zitat von Lisbeth Dill
Ich wurde am 28. März 1877 in Dudweiler in dem ehemaligen Jagdhause des Fürsten von Nassau-Saarbrücken geboren, das mein Großvater von dem Glashüttenbesitzer Vopelius in Sulzbach erworben hatte. Das zweistöckige Haus war im Viereck gebaut und schloss einen großen Hof ein; eine Durchfahrt führte nach den Wiesen hinüber; in den Ställen standen zahlreiche Pferde und Kühe. Das in der Hauptstraße von Dudweiler gelegene Haus wurde später zu einem Gasthofe umgewandelt und führt jetzt den Namen ‚Nassauer Hof‘.
Dieses Haus gehörte damals meinem Vater, dem Kaufmann und Landwirt Friedrich Dill, der länger als 20 Jahre das Ehrenamt eines Beigeordneten der Gemeinde bekleidete. […]
Ich bin aufgewachsen in der Erinnerung an den Krieg. Mein Vater hatte im Jahre 1870 geholfen, das Schlachtfeld von Spichern abzusuchen, und Verwundete auf seinem Waagen zur Pflege in sein Haus nach Dudweiler gebracht; unsere ersten Ausflüge wurden auf das Schlachtfeld gemacht zu den Gräbern der Kämpfer, die unsere Heimat geschützt hatten.
Ich bin oft mit meinem Vater durch die schönen Wälder von Dudweiler gefahren; er setzte mich als kleines Kind aufs Pferd und ließ mich durch den Wald reiten; auch durfte ich manchmal selbst kutschieren. […]
Ich besuchte in Dudweiler zunächst zwei Jahre die Elementarschule. In meiner Klasse waren 80 Kinder, meist Bergmannskinder, und mein erstes Theater, das ich sah, stand auf dem Dudweiler Marktplatz. […]
In Dudweiler begann ich meine schriftstellerische Laufbahn, indem ich Märchen schrieb, die ich meinen Verwandten schenkte, und Theaterstücke, die verloren gegangen sind und auch wohl kein anderes Schicksal verdienten. Es kam immer ein Ritter darin vor wegen meines Papas hohen Reitstiefeln, die Glanzstücke unserer Theatergarderobe waren und unbedingt jedesmal Verwendung finden mussten. […]
Dudweiler mit seinen langen Bergmannszügen des Sonntags, voran Fahnen und Musik, das Bergmannsfest mit seinen Vorbereitungen droben im Walde, wo für Tausende im Freien in großen Kesseln gekocht wurde, der brennende Berg, in dessen heiße Spalten man die Eier legte, der erste Bergmannsstreik, den ich als Kind miterlebte, alles prägte sich mir ein für immer. Dudweiler des Morgens im Schnee, wenn man zur Schule musste – der Zug fuhr gleich nach sieben, und der Kutscher musste erst eine Bahn schaufeln vor der Haustüre – Dudweiler war dann schön, weißverhüllt alles, nur die Laternen blinzelten verschlafen auf dem Weg nach dem Bahnhof wie matte Sterne, und es begegnete einem niemand wie ein Trupp Bergleute, die zur Grube gingen. Dudweiler im strömenden Regen, wenn man des Nachmittags aus der Schule kam, mit nassen Schürzen und triefendem Bücherranzen, wie dann die heiße Schokolade und die dicken Wasserwecke schmeckten, die auf uns warteten, und die ‚Saarbrücker Zeitung‘. Wie oft bin ich auch auf der heißen Landstraße zwischen den hohen Pappeln von Saarbrücken nach Dudweiler herausgewandert, wenn ich den Zug verfehlt hatte. […]
Dudweiler Kirmes: Ein grauer Novembersonntag, die Straßen von schwarzem Schmutz bedeckt, der Regen troff, und auf dem Marktplatz war nicht durchzukommen vor Menschen. Und die Buden, wie sie lockten, bunt und leuchtend, mit blitzenden Blechlampen und schreienden Bildern, wie sich das glänzende Karussell drehte, auf dem man einen Schimmel bestieg oder einen Schwan. Und was es nicht alles für 10 Pfennige gab! Eine rote oder grüne Gummistange, einen Kneifer mit blauen Gläsern, eine schreiende Schweinsblase oder ein Taschenkämmchen mit Etui… Die Riesendame zu sehen kostete zwanzig das Wachsfigurenkabinett sogar dreißig Pfennige, das waren schon Ausgaben, die man sich überlegte. Die Sonntage in Dudweiler erscheinen mir noch heute als etwas Festliches, Sonniges, und als ob es dann immer sehr heiß gewesen sei. Am schönsten war der Samstag, wenn man den Ranzen ablegte und wusste: morgen ist Sonntag, denn die Vorfreude ist immer noch das Schönste im Leben: die Illusion… […]
Ich hab eine reiche, ungetrübte Jugend gehabt, und wenn ich heute an Dudweiler vorbeifahre, stehe ich immer am Fenster des Zuges und suche das alte Haus, das für mich meine Jugend darstellt und ein Stück Familiengeschichte. Dann grüße ich das Dorf und nehme seine schöne Landschaft noch einmal im Vorüberfahren mit, das Wiesental und die beiden hochgelegenen Kirchen, die ihre Spitzen mit den funkelnden Hähnen in den blauen Himmel zu bohren scheinen, den Wald, der früher das Dorf dicht umdrängte, bis zu dem alten Haus, dem Jagdschloss des Landesfürsten. Um dieses Haus sind allmählich Straßen entstanden und das große Dorf; der Wald ist immer mehr zurückgetreten, aber er umgibt den Horizont meiner Heimat wie ein grüner Kranz.
(zitiert nach Albert Ruppersberg: Geschichte der Gemeinde und Bürgermeisterei Dudweiler. Saarbrücken 1923, Reprint 1980)
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Geburtshaus Lisbet Dill
1957 wurde Liesbet Dill Ehrenbürgerin von Dudweiler, eine Straße wurde nach ihr benannt 3. Sie ist in Wiesbaden gestorben, ihr Grabstein und der ihres zweiten Ehemanns Karl Wilhelm von Drigalski wurde 2007 von der Bezirksverwaltung Dudweiler erworben und auf den dortigen Friedhof überführt 4.
Zweiundzwanzig Jahre nach Goethe, zur Zeit des Fürsten Ludwig, hat der berühmte Freiherr Adolph Knigge auf einer Reise ebenfalls einen Abstecher nach Dudweiler gemacht und in seinen Briefen sowohl das Jagdhaus des Fürsten, in dem später Liesbet Dill geboren wurde, wie auch den Brennenden Berg beschrieben. ZITAT
Zitat von Adolph Knigge
Adolph Freiherr Knigge hat 1792 auch die hiesige Gegend besucht, die er „durch die schöne Abwechselung von Bergen und anmuthigen Thälern reizend“ fand. Über Dudweiler schreibt er in einem Brief vom 11. Mai 1792: Dort hat der Fürst ein Haus, wohin er einmal des Jahres zu gehn pflegt, um in den reich besetzten Teichen in seiner Gegenwart fischen zu lassen. Es wird dann eine ländliche Mahlzeit gehalten, die größtentheils aus diesen gefangnen Fischen besteht und von welcher aller städtischer Zwang und Prunk verbannt sind. Auf einländischem Porcellain wird gespeist. Es ist nämlich in Ottweiler eine Fabric angelegt, in welcher eine Art weißes Stein-Porcellain verfertigt wird, das mit dem englischen, sowohl was die Güte, als was den wohlfeilen Preis, die Dauer, Feuerfestigkeit und die Schönheit der Formen betrifft, wetteifern kann. Der Fürst lässt die Speisen in den Casserolen von dieser Masse, in welchen sie gekocht wurden, auftragen.
In Dudweiler ist auch eine ansehnliche Stuterey; das Merkwürdigste daselbst aber ist ein brennender Berg, nämlich eine Anhöhe, auf welcher nun schon seit beinahe hundert Jahren der Boden beständig heiß ist. Des Nachts und wenn man mit einem Stocke in die Erde stößt, kommen kleine Flämmchen hervor. Diese Erscheinung rührt ohne Zweifel von dem unterirdischen Brande eines Steinkohlen-Bergwerks her, woraus nun, da man es aufzurühren nicht wohl wagen darf, nichts weiter als Alaun gewonnen wird.
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Grabstein Lisbet Dill
Nachdem Axel Herzog 1987 Saarbrücker Stadtteilautor mit Zuständigkeit für Dudweiler geworden war, veröffentliche er zwar eine Broschüre mit dem Titel „Aus Liebe zu Dudweiler“; das hielt ihn aber nicht davon ab, das Ortszentrum als „immense Anhäufung einzelner Scheußlichkeiten“ zu beschreiben. ZITAT
Ich will wieder heim nach Dudweiler, wie sich das gehört! Der Saarländer zieht, wenn überhaupt, nach seiner Jugendzeit vorsichtig kleine Kreise um den Ausgangspunkt, entfernt sich, so wie ich, vielleicht sogar einmal bis ins Bayern- oder Preussenland, und pirscht sich, wenn die Zeit gekommen ist, heimlich und oft auf Umwegen wieder ins eigene Revier zurück. Mein Umweg war Ommersheim. Unbeschreiblich der Zustand permanenten Heimwehs, nicht zu erzählen die Ereignisse, die den Zustand verursachen. Reden wir nicht mehr davon!
Also ab in die Heimat! Wenn, ja wenn da nicht ein kleines Problem wäre: Wie soll ich in Dudweiler dem Anblick des Molochs entgehn? Es ist nur eine Frage der Ästhetik, aber sie muss gelöst werden. Soll ich mich auf einem der sieben Hügel niederlassen, auf denen sich die Stadt des Dudo inzwischen ausgebreitet hat? Soll ich mich, der schönen Aussicht wegen, einnisten in einem der hochgeschossigen Adlerhorste, auf dem „Gählebersch“, dem „Guggelsbärsch“, dem „Schbadzehiwwel“? oder soll ich mich, nicht ganz so luftig, einquartieren auf dem „Pfaffekobb“, im „Pählaschdifd“ am „Kalkowe“ oder am Ostschacht? Die schöne Aussicht ist überall: hinunter auf den Moloch, der aus dem Bauch von Dudweiler herausgekrochen ist unter fürchterlichen wehen, wie sie nur ein Monster ertragen kann?
Und dann? Soll ich das ertragen? Soll ich den Rest meines Lebens auf das Dudweiler Zentrum blicken müssen? Das könnt ihr nicht von mir verlangen!
Da ich jedoch kein Kunstkenner bin, frage ich mich verzweifelt, ob meine ablehnende Haltung gegenüber diesem Bauwerk nicht ein Fehler ist? Möglicherweise ist so eine immense Anhäufung einzelner Scheußlichkeiten als Ganzes und in sich wiederum schön?
Da fällt mir Charles Regnier ein, der in einem Film eine sehr naive Dame belehren musste, dass Richard Wagner niemals schön, sondern immer nur entweder erhaben oder schrecklich sei, allenfalls beides zugleich! Schön ist es also nicht, das Zentrum von Dudweiler, aber dann doch wenigstens erhaben in seiner schrecklichen Grauheit und ziellosen Unförmigkeit? Grau ist derzeit in; eintönig grau bemalte Leinwand, hörte ich neulich, dokumentiere den Ausstieg aus der herkömmlichen Malerei. Ist dann der Moloch von Dudweiler ein sehenswertes Denkmal, Beweis für die Ausstiegsfähigkeit seiner Erbauer aus der Kunst der Architektur?
Nein, ich finde keine Gründe, die mich bewegen könnten, diesen Anblick auf Dauer und gelassen zu ertragen. Es schüttelt mich, wenn ich daran denke!
Und während es mich schüttelt, kommt die erlösende Idee: Ich denke an Jonas! Wie muss er sich entsetzt haben beim Anblick des Walfischs! Dann kamen die Schrecksekunden der Übersiedlung – verständlich, ein Umzug ist immer unangenehm – aber dann, im Innern des Untiers, was sagte Jonas da? Na gut, sagte er, die Sache ist überstanden, hier lässt sichs einrichten, man hat hier gegenüber draußen einen unbestreitbaren Vorteil: Man sieht das Ungeheuer wenigstens nicht!
Und so werde ich es mit Jonas halten und eine Wohnung nehmen tief im Bauch des Molochs, denn schließlich will ich ja wieder heim!
Axel Herzog: Im Bauch des Molochs (leicht gekürzt). Aus: A.H.: Aus Liebe zu Dudweiler. Dudweiler 1988 (mit freundlicher Genehmigung von Marga Herzog)
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Neben Goethe ist „De Monn mit da long Stong“ (der Mann mit der langen Stange = der Gaslaternenanzünder) eine andere Dudweiler Identifikationsfigur 5. Ludwig Harig hat ihn 1977 zum Leitmotiv seiner Rede zur 1000-Jahrfeier von Dudweiler gemacht, indem er u.a. die lange Stange mit dem Protest der Dudweilerer gegen die Gebietsreform in Verbindung brachte.
„De Monn mit da long Stong“
Harig, gebürtiger Sulzbacher, hat von 1963 bis 1978 in Dudweiler am Gehlenberg gewohnt und in seiner kleinen saarländischen Sprachkunde unter dem Titel „Die Harmonie der Widersprüche“ die „vokalische Verdunkelung“ durch die Dudweilerer als „fundamentalen Unterschied“ zwischen beiden Orten ausgemacht. In seinem Roman „Ordnung ist das halbe Leben“ geht Harig auch auf Goethe ein und wirft die brisante Frage auf, ob der Brennende Berg wirklich zu Dudweiler oder eigentlich zu Sulzbach gehört (S. 328 f.)
Dudweiler ist seit 1988 der Wohnort von Edith Braun, der „‘Grande Dame‘ der saarländischen Mundarten“ (Lutz Hahn). Dank Erwin Stegentritt, der nicht nur Wissenschaftler und Schriftsteller ist, wurde Dudweiler mit dem sehr ambitionierten, 1970 gegründeten, noch heute aktiven AQ-Verlag ein von einem Kreis von avantgardistischen Kennern wahrgenommener Verlagsort. Der „Berufs-Saarländer“ Charly Lehnert ist in Dudweiler geboren und aufgewachsen, die Geräusche der nahe gelegenen Eisengießerei und die Gerüche nach Erde, Ruß, nach vorbeifahrenden Eisenbahnzügen bedeuteten für ihn Heimat.
Um die Mundart verdient gemacht hat sich auch die 1926 in Dudweiler geborene Ilse Siebenpfeiffer-Märker. Sie gründet 1991 im Rahmen der Seniorenakademie der katholischen Familienbildungsstätte Neunkirchen ihre Mundartwerkstatt, eine Vereinigung, die über Jahrzehnte rege bleibt. Aber sie arbeitet nicht nur im Rahmen der Mundartwerkstatt, sondern hat selbst auch einige Veröffentlichungen vorzuweisen.
Die Heimatdichterin Salome Kootz trauert den alten Zeiten nach: „Es wa emol so schee un still / mei klänes Berschmannsdorf“, während für einen modernen Wortakrobaten wie Gerhard Stebner der Name Dudweiler nur Buchstabenmaterial für eine sinnfreie spielerische Permutation ist: „du uli die lulu will dill / du lulu der uli will drill“. ZITAT
Dudweiler
du uli du eile
du uli du weile
will er die eier
will er die leier
du wie der weier
du wie der dreier
will die lulu ei ei
will die lulu ei wie
du uli die lulu will dill
du lulu der uli will drill
weil dur uli will die ere
weil ur lulu will die lere
wer will uli ei wie re
wer will lulu ei wie we
du uli die lulu will ru
du lulu der uli will du
wer will der eile
wer will der weile
weil du wie der ur weier
weil du wie der dur dreier
wie der uli die lere
wie die lulu die ere
wie we du eile
wie e du weile
ei wie du ei
ei wie du drei
ru du wie lu
ru lu wie du
ei du leier
ei du weier
ei du eiler
du du weiler
Von Gerhard Stebner existiert ein weiterer Text zu Dudweiler, ein Akrostichon aus dem Band „Eigensinn aus lauter Namen“. Beim Akrostichon ergeben die aneinandergereihten Anfangsbuchstaben der Zeilen ein Wort, hier „Dudweiler“:
Unternehmung
Du, der Duden lohnt nicht, wenn
Unternehmungsgeist verlangt.
Du brauchst jetzt Fähigkeiten,
weil jede Phase, die du
Erlebst, Eigengewicht trägt,
Insoweit als nirgendwo
Lebensvorgang wiederkehrt.
Eines Tages, glücksgebunden,
Regt mich nur eigne Schwachheit auf.
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Der Autor Harald Gerlach, auf Goethes Spuren von Straßburg ins Saarland gewandert ist, will den Brennenden Berg 1999 immer noch brennen gesehen haben, die Szenerie erinnert ihn „bedrohlich an einen Vorhof der Hölle“.
Nils Minkmar, der als Autor „Mit dem Kopf durch die Welt“ (Buchtitel 2009) geht, kehrte nach längerer Zeit in seinen Heimatort zurück, um auf den Spuren des Terroristen Daniel S. in der Moschee von Herrensohr die „Götter von Dudweiler“ und den „Zusammenhang zwischen Islamismus und Freibädern“ besser zu verstehen.