Tholey-Hasborn-Dautweiler

 

Blick auf die Kriche Hasborn

“Fast jedes Dorf hat sich grundlegend verändert. Hasborn liegt seit einigen Jahren direkt an der A 1, die Autobahn hat die Landschaft zerschnitten, ihr Lärm dringt bis zur Dorfmitte vor” (Irmgard und Benno Rech)

Johannes Kühn (bedeutendster Lyriker des Saarlandes, unter seinen Freunden der „Schang“) wohnt abseits am Wald, und das schon seit acht Jahrzehnten, mit der jüngsten Schwester im Elternhaus. Es ist ihm zum Refugium geworden:
Kleines Haus, meine Wohnungsfreude/in geliebter Schaumbergnähe,/selten verließ ich dich!/Laufwege, Friedhof,/der sie endet,/ihr gemahnt mich/an alle Menschenzeit/mit vielen Gängen vor dem Grab.
(Hasborn, Nie verließ ich den Hügelring) ZITAT

In Hasborn braucht man nach den Schau-Plätzen der Literatur nicht zu suchen. “Habemus poetam”: Johannes Kühn ist der lyrische Topograph seiner Heimat.

Das Dorf
Das Heimweh/hat viele Häuser./In einem lief ich im engen Zimmer rund/und schaute/an weiße Wände/das Dorf.
Der Steg, /die Gänse daran,/ihr Gewimmel im Bach,/der die Straßen zusammenhält/wie ein Seil.
Zwischen den Häusern/grüne Handtücher,/Wiesen,/sich darin das Gesicht frisch zu reiben.
Spiele von Kindern,/unbedroht/in der heiteren Freiheit des Dorfes.
Auch die Nachbargespräche/über die Gartenzäune,/zunickend Blumen/im Sommer.

(Ich Winkelgast)

Foto als der Autor auf einer Bank sitzt und liestAls Kühn mit dem Vorsatz “Ich will Dichter werden” ernst machte, änderte sich das Dorf im Kopfe des Dichters. Er, der keinem Broterwerb nachging, dem sein Dichten nichts einbrachte, wurde als Landstreicher, Taugenichts und Tagedieb verunglimpft. Dass sein “Verse schmieden” wie das Schmieden des Großvaters sein Tagewerk war, konnte niemand einsehen.
Derzeit/ernteten Freunde Geld bauten ein Haus,/führten Bräute heim und weggekehrt von mir/über ein Gartenglück/über ein Kinderglück/leben sie nun.
Dorfgelächter/kommt zu mir von den Besitzenden.
(Überblick, Ich Winkelgast)
Besitzlos,/den Schmetterling feiernd, den Bruder/über den grünen Wiesen,/gehe ich, die Schuhe voll Spott.
(Hasborn, Meine Wanderkreise)

Im Gasthaus Huth; rechts in der Ecke hat Kühn seinen Arbeitsplatz, bereits als das Gasthaus noch ein Wirtshaus war. Mit Blick zum Tresen machte er seine nüchternen Beobachtungen und fasste sie in Poesie.
Ich Winkelgast,/gemieden,/nur besucht vom welligen Gelächter,/das als Meer mir/an die Stirne spült,/bedenke, daß mein halber Groschen schwitzt.
(Im Gasthaus, Mit den Raben am Tisch)
Und tröstete sich: Doch Verse schrieben auch die Psalmisten/und pflanzten kein Korn.
(Die Betrunkenen und ich, Wasser genügt nicht)

Jetzt treffen sich dort Irmgard und Benno Rech mit Johannes Kühn bei Kaffee und Tee und sprechen über die Gedichte des vergangenen Tages. Längst ist “der Dichter seines Dorfes” geschätzt und gewürdigt. Der Lyrikband ” Wasser genügt nicht” von 1997 wurde in der Kulturhalle Hasborn-Dautweiler einem großen Publikum vorgestellt. Es folgten noch weitere Lesungen, und auch Kühns runde Geburtstage werden gefeiert.

Auf den Tag genau, am 3. Februar 2019 begeht die Gemeinde Tholey den 85. Geburtstag von Johannes Kühn mit einem großen Fest. Es ist Sonntag und Hasborns Kulturhalle voll besetzt. Der Bürgermeister von Tholey, der Ministerpräsident des Saarlandes, der Landrat des Landkreises St. Wendel loben und ehren den Menschen und Dichter Johannes Kühn. Festredner Jan Volker Röhnert, Lyriker und Literaturwissenschaftler, spricht von Kühn nur noch von „Hasborn“. Ganz so als seien Dorf und Dichter eins. Zu guter Letzt kommt der Dichter bei einer Lesung selbst zu Wort.

Am Nachmittag feiert das Dorf „seinen Dichter“: mit Musik, Gesang und – „Em Guguck lauschdre“ – Mundartrezitation. Hasborner Grundschüler tragen teils eigene Gedichte (à la Johannes Kühn), teils aus dem Tholeyer Schreibwettbewerb vor. All das geschieht, inklusive Bewirtung, freundlichst und im Überfluss. Johannes Kühn ist nicht (mehr) Dichter des Dorfes Hasborn, sondern Hasborn ist das Dorf des Dichters (geworden).

Noch vor Beginn des Festes bekam Johannes Kühn sein „Denkmal“. Es ist eine Silhouette aus Cortenstahl, geschaffen von Hermann-Josef Colle nach einem Entwurf von Karin Mansmann. Standort an der Hauptstraße, mitten in der Stadt.

Die Landschaft schreibt
Über die Wendungen des Lebens
schreiben die Hügelkämme,
hügelhinauf
und hinab, unaufhaltsam,
sandschwer,
steinschwer,
grasleicht,
lufthell.

(Johannes Kühn)

In Johannes Kühns “Hügelring” führt der Johannes-Kühn-Wanderweg

Eckstein ist Trumpf

Wie der Marktbrunnen Johannes Kühn, den Dichter (mit der Eule, dem Symbol der Weisheit) erinnert, so auch Nikolaus Warken, den Bergmann auf der Grube Friedrichsthal, Initiator und Anführer der ersten Bergarbeiterbewegung an der Saar.
Auch wenn sie nur von kurzer Dauer war: “Warken und die von ihm geprägte große Streikzeit 1889-1893 wirkten weiter, blieben lebendig in Erzählungen und Berichten, bildeten den Hintergrund für den endgültigen gewerkschaftlichen Aufbruch der Bergarbeiter unseres Jahrhunderts” (Klaus Michael Mallmann, 1982).

Aufnahme der Hausfronz etwas seitlich fotografiert

Warkens Geburtshaus, Foto: Martin Oberhauser

Warkens Geburtshaus steht in der nach ihm benannten Ecksteinstraße Nr. 14. (Seine Kumpel nannten Warken Eckstein = Karo, bedeutet im Skatspiel Trumpf.)
Als Erstgeborener hatte Nikolaus Warken das 1807 erbaute Haus seines Vaters, eines Ackerers, geerbt und heiratete 1877 Margaretha Finkler. “Die arme Frau” steht bei den Hasbornern über Generationen hinweg in hohem Ansehen. Während der Mann zu Ruhme kam, heißt es, versorgte sie Haushalt und fünf Kinder, bestellte die dazugehörige Ackerwirtschaft und kümmerte sich während der wiederholten Haftstrafen und Kündigungen ihres Mannes um das Lebensnotwendigste. 1891 zog die Familie in die Bergmannskolonie Bildstock.
Schon nach zwei Jahren, am Ende der großen Streikzeit und Auflösung des in Bildstock gegründeten Rechtsschutzvereins, kehrte Warken in sein Haus in Hasborn zurück. Er lebte dort noch 27 Jahre vom Ackern und Hausieren mit Photographien und Bilderrahmen. Das Haus steht noch; es ist verkauft. Der Nachruhm ließ auf sich warten.

In Warkens 50. Todesjahr 1970 widmete ihm “seine Heimatgemeinde” am Alten Rathaus eine Gedenktafel.
Nein, kein Denkmal, und wenn ihr es setzt,
nein, keinen Nachruhm
hat er gesucht. An Unrecht ein Dickicht
war um den Bergmann gewachsen,
da hat er gerodet,
die Axt angelegt
und Feuer.
Gefängnis gab es für ihn,
ein Rattendasein der Haft.
Rebellen ins Loch!
Der an der Spitze
zutiefst.
(Johannes Kühn, Nikolaus Warken, 3. Vers. Meine Wanderkreise)

Halbrunde gedenkstätte an einer Straße mit einem hohen Gedenkstein

Warkens Gedenkstätte, Foto: Martin Oberhauser

Warkens Grab auf dem inzwischen aufgelassenen Friedhof an der Römerstraße wurde 1989, zum hundertjährigen Jubiläum der Gründung des Rechtsschutzvereins von der IGBE (IG Bergbau und Energie) Ortsgruppe Hasborn-Dautweiler zu einer ansehnlichen Eckstein-Gedenkstätte gestaltet.

Der alte Grabstein zeigt im Relief Warken schreitend, eine Fackel in der erhobenen Hand. Darunter heißt es: “Der Arbeiter ist seines Lohnes wert./Dem wackeren Vorkämpfer/für unseres/Standes Schutz und Recht/in Dankbarkeit und Verehrung gewidmet/die christlichen Bergarbeiter.” (Warken war praktizierender Katholik und Mitglied der St. Barbara-Bruderschaft.) Und weiter: “Hier ruht in Gott/der Auferstehung entgegen/Niklaus Warken/geb. 26. 12. 1851, gest. 24. 8. 1920”

Dort beginnt auch der von den Saarbergwerken 1989 zunächst als Saar-Lor-Lux-Kulturwanderweg gestiftete Warken-Eckstein-Wanderweg

Nicht nur Hasborn erinnert an Warken. Noch zu seinen Lebzeiten befasste sich Liesbet Dill in ihrem 1913 erschienenen Roman “Virago” mit dem von Warken organisierten Bergarbeiterstreik von 1889. Warken nennt Liesbet Dill “Bickel”, Eckstein versteckt sie unter “Schellwurzel”.

Gerhard Bungert und Klaus-Michael Mallmann brachten 1979 ein Volksstück über die Anfänge der Gewerkschaften an der Saar heraus, der Titel “Eckstein ist Trumpf”. (Die Uraufführung hatte bereits am 23. April 1977 im Saarländischen Landestheater stattgefunden.)

Die Betroffenen selbst, die streikenden Arbeiter und Gewerkschaftler sahen die Situation von der Basis aus und machten sich in Liedern Mut.
Horst Steffens schreibt darüber in seinem Buch “Autorität und Revolte”: “Sämtliche Traditionen des offiziell geförderten Bergmannsliedes (etwa “Glückauf, Glückauf, der Steiger kommt”) warf eine Ballade über Bord, die Eigenart und Vitalität, Lebendigkeit und funktionale Neubestimmung des Saarbergarbeiterliedes in der großen Streikzeit belegt. Eine “Bergarbeiterballade” ZITAT

Der Lehrer Erich Thomas (Jahrgang 1932) wendet sich um 1985 verstärkt der Mundart zu, und zwar der Forschung ebenso wie der Lyrik und der Prosa, in der er den alten moselfränkischen Dialekt seines Geburtsortes Hasborn bewahrt.