Alfred Döblin
geb. 10. August 1878 in Stettin, gest. 26. Juni 1957 in Emmendigen
Einer der bedeutendsten deutschen Autoren des 20. Jahrhunderts („Berlin Alexanderplatz“, „November 1918“) hatte vielfältige, zum Teil tragische Beziehungen in die Region an der Saar : Im 1. Weltkrieg war er zweieinhalb Jahre lang hier stationiert, und dieser Aufenthalt hat in seinem literarischen Werk mehrfachen Niederschlag gefunden; nach dem 1. Weltkrieg pflegte er Kontakte nach Saarbrücken; sein Grab fand er in den Vogesen.
Döblins Verbindungen zu Lothringen und zum Saarland sind von Ralph Schock in seiner verdienstvollen Reihe „Spuren“ umfassend und detailreich aufgearbeitet, wir folgen ihm in unserer Darstellung:
Während des 1. Weltkriegs, von Januar 1915 bis August 1917, ist Alfred Döblin im lothringischen Saargemünd, unweit von Saarbrücken, stationiert, danach bis Kriegsende im elsässischen Hagenau. Elsass-Lothringen ist seit dem Deutsch-französischen Krieg Teil des Deutschen Reichs. Döblin ist schon 36, lebt mit Familie in Berlin und hat rund zehn Jahre als Arzt praktiziert. Mit der Einberufung hat er rechnen müssen und ist ihr durch freiwillige Meldung zuvorgekommen. Ende Dezember 1914 reist Döblin nach Saargemünd, Schon bald nach seiner Ankunft beginnt er eine Liebesbeziehung mit der hier stationierten Ärztin Martha Ruben, einer überzeugten Kommunistin, die nach Hitlers Machtübernahme in die UdSSR emigriert, dort in die stalinistischen Säuberungen gerät und 1940 Selbstmord begeht. Ralph Schock hat die Biographie von Martha Ruben in einem Aufsatz nachgezeichnet.
Am 17. März 1915 wird Döblins Frau Erna von ihrem zweiten Sohn, Wolfgang, entbunden, am 23. März kommt sie mit dem Säugling und dem zweieinhalbjährigen Peter in Saargemünd an. In Saargemünd wird am 20. Mai 1917 der dritte Sohn, Klaus, geboren, die Familie wohnt in beengten Verhältnissen.1 Die Uniform lässt der Stabsarzt Döblin sich in Saarbrücken bei Leopold Oppenheimer schneidern, dem Vater des späteren Filmregisseurs Max Ophüls.
Als Schriftsteller hat Döblin sich bereits einen Namen gemacht, aber seine großen Romane sind noch nicht erschienen. Von Saargemünd und von Hagenau aus betreibt er weiter seine Veröffentlichungen, macht Vorstudien für größere Projekte („Wallenstein“-Roman) und schreibt Erzählungen, darunter zwei, die in Saargemünd und Umgebung spielen. “Das Gespenst vom Ritthof“ (Erstveröffentlichung1915) ist eine grausige Eifersuchtsstory. „Doch Döblin erzählt keine realistische Geschichte. Der typisch expressionistische Text hat Züge eines Schauermärchens – schon gleich im ersten Satz erscheint ein Gespenst.“ (Ralph Schock) 2 Die Groteske „Das verwerfliche Schwein“ (zuerst veröffentlicht 1917) ist in Saargemünd lokalisierbar und handelt fiebertraumartig von der sadomasochistischen Beziehung zwischen einem Medizinalpraktikanten und seinem Vorgesetzten.
Für den überzeugten Berliner ist Saargemünd, wie er es in seiner regen Korrespondenz in die Heimat formuliert, „ein kleines lothringisches Nest, noch verdammt stark mit französischem Einschuss“. Er wundert sich, wie viele französische Vornamen, Straßennamen, Herkunftsbezeichnungen es hier am Rande des deutschen Reichslands Elsass-Lothringen noch gibt – „eine dolle Komödie für uns Preußen“. Anfangs, als noch nicht viel zu tun ist, teilt er nach Berlin mit: „Die Gegend ist bildschön, ich mache Ausflüge mit zwei Kollegen, wenig Arbeit, viel Ländlichkeit, faktisch wie ein Badeaufenthalt, sofern man das Dienstliche ignoriert.“ Oft führen ihn die Ausflüge „durch das wundervolle Saartal, durch die herrlichen Wälder und Berglandschaften“ nach Saarbrücken, für ihn damals, in Anführungszeichen gesetzt, ‚die Großstadt‘ mit Cafés, Weinrestaurant und Varieté, wo er sich, anders als in Saargemünd, „mitten in Deutschland“ fühlt.
Im März 1916 berichtet er, er habe mit den Ohren die Schlachten um Verdun mitgekämpft, das Trommelfeuer sei zu hören gewesen, und im über 100 km vom Schlachtfeld entfernten Saargemünd hätten die Scheiben gezittert. Im November 1916 beschreibt er gravierende Zerstörungen durch französische Fliegerangriffe.
Am 2. August 1917 wird Döbin nach Hagenau versetzt, hier kommt ihm die größere Nähe zur Straßburger Bibliothek bei seinen Vorarbeiten zum Wallenstein-Roman zugute. Im Juli 1918 erscheint sein Roman „Wadzeks Kampf mit der Dampfturbine“. Döblin erlebt Kriegsende und Revolution in Hagenau, das er am 14. November 1918 verlässt.
Literarische Niederschläge seiner Kriegserlebnisse in Lothringen und im Elsass finden sich sowohl im ersten Teil der Romantetralogie „November 1918“ (erschienen 1949/50) als auch in „Вerlin Alexanderplatz“ (1929). In Briefen hat Döblin 1924 dem Saarbrücker Autor Arthur Friedrich Binz über diese Zeit berichtet.
Grab in den Vogesen
Im Zweiten Weltkrieg tötet sich Döblins Sohn Wolfgang im Vogesendorf Housseras, weil er als französischer Soldat und Jude den Deutschen nicht in die Hände fallen will. Er wird im Juni 1940 auf dem Dorffriedhof bestattet. 3 Sechzig Jahre nach seinem Tod erweist sich bei der Öffnung eines Umschlags mit mathematischen Berechnungen, den er an der Pariser Akademie der Wissenschaften hinterlegt hat, dass Wolfgang Döblin ein genialer Mathematiker war, der Erkenntnisse der modernen Wahrscheinlichkeitsrechnung vorweggenommen hat.
Nach dem Zweiten Weltkrieg gibt es wieder biografische Bezüge ins Saarland und nach Lothringen. Von 1946 bis 1949 gibt Alfred Döblin zusammen mit Anton Betzner in der französischen Zone (in Baden-Baden, dann in Mainz) die Zeitschrift „Das goldene Tor“ (1946-1951) heraus, eine Monatsschrift für Literatur und Kunst. Im Mai 1947 ist er anlässlich der Gründung des Saar-Verlags in Saarbrücken. Im Juni 1952 hält Döblin eine Europa-Rede im Saarbrücker Rathaus („Die Spatzen pfeifen Europa von den Dächern.“). – So weit die Recherchen von Ralph Schock.
Am 26. Juni 1957 stirbt Alfred Döblin und wird auf eigenen Wunsch an der Seite seines Sohnes Wolfgang in Housseras beigesetzt; nach ihrem Selbstmord im September 1957 wird auch Erna Döblin dort beerdigt.
In den 1970er Jahren bemüht sich der Dorflehrer Gabiel Simon, vor Ort das Andenken an Döblin zu pflegen; seine Bemühungen werden von Döblins Sohn Claude mit Misstrauen beobachtet. Nachdem ein Schüler Simons Bürgermeister von Housseras geworden ist, wird im Juni 1990 der Alfred-Döblin-Platz in Housseras eingeweiht.
In Bliesransbach gibt es auf seinerzeitige Initiative von Fred Oberhauser einen Alfred-Döblin-Weg. 4 (RP)