Julien Green

geb. 6. Sept. 1900 in Paris, gest. 13. Aug. 1988 ebenda

Mit dem Schriftsteller Julien Green ist Oberlinxweiler, heute Stadtteil von St. Wendel, in die Weltliteratur eingegangen. Green ist vor allem durch seine autobiographischen Werke berühmt geworden. Er entstammt einer in Paris lebenden Familie von amerikanischen Südstaatlern.

In „Jeunes années. Autobiographie1“, 1984 erschienen (aus dem Französischen übersetzt von Anne Morneweg und Claus Koch, unter dem Titel „Junge Jahre“ als dtv-Taschenbuch) schildert Julien Green in großer Eindringlichkeit seine Kindheit in Paris, sein Ringen mit dem christlichen Glauben – mit 15 tritt er von der protestantischen zur katholischen Kirche über – und seine ihm selbst noch nicht bewusste Neigung zur gleichgeschlechtlichen Liebe. Auf Wunsch des Vaters meldet er sich noch vor Abschluss des Abiturs freiwillig zur Armee, wo er als 18-jähriger nach dem Ende des Ersten Weltkriegs Anfang 1919 mit einer nur aus Amerikanern bestehenden Einheit als Besatzungssoldat ins Saargebiet kommt.

Stationiert ist er im „Städtchen“ Oberlinxweiler (dtv-Ausgabe Seite 470 ff.). Offenbar verhält sich die Bevölkerung gegenüber den Soldaten überwiegend ablehnend. In seinem Zimmer herrscht ständige Kälte, und auch die Bewohner des Hauses, in dem er einquartiert ist, behandeln ihn mit Kälte, er sieht sie fast nie. Bei einem Spaziergang lernt er eine junge Lehrerin aus der Gegend kennen. „Von allen Einwohnern Oberlinxweilers war sie das einzige Wesen, das sich herbeiließ, mehr als zehn Worte mit mir zu reden.“ Fräulein Martha, „rosig und rund“, lädt ihn mehrmals zum Kaffee ein. Oft sagt sie, wenn sie aus dem Unterricht kommt, mit blitzenden Augen: „Heute habe ich sie geschlagen!“ und macht die entsprechende Handbewegung. – Vielleicht weiß man in Oberlinxweiler, wer diese Lehrerin war, die „Vergnügen daran fand, die Jugend zu züchtigen“?

Auch beim Bericht seiner Erlebnisse im Saargebiet bleibt Green gewohnt selbstkritisch. Bald wird unter den Kameraden bekannt, dass Green vorhat, ins Kloster zu gehen. Er kommentiert: „Wie interessant wurde ich mit einemmal! Ich schuf mir eine unsichtbare, transportable Zelle eines so handlichen Modells, dass ich unschwer diesen Uniformierten das Schauspiel einer schönen Seele auf dem Weg zum Paradies bieten konnte.“

Der sensible junge Mann hat mehrere Erlebnisse, die ihn tief beeindrucken. Er frühstückt zusammen mit dem Oberleutnant und dem Leutnant „in einem weniger abweisenden, weniger sauberen Haus“. Unter einer Gravüre nach dem „Abendmahl“ von Leonardo liest er die Worte: „Amen, amen, dico vobis quia unus ex vobis traditurus est me“ (Wahrlich, wahrlich, ich sage euch, einer unter euch wird mich verraten) – „ein furchtbarer Satz, den ich wohl hundertmal gelesen und wiedergelesen habe“.

Einmal besucht Green ein von schwarz gekleideten Nonnen bewohntes Kloster, in dem ihn die Inschrift beeindruckt: „Ein Tag in deinen Vorhöfen ist besser denn sonst tausend!“ (Psalm 84:10). Das Kloster konnte von uns nicht identifiziert werden.

In St. Wendel hört er in einem kleinen Theater den Chor der Pilger aus Wagners „Tannhäuser“, gesungen von etwa dreißig jungen Burschen zwischen 12 und 18 Jahren. Es kommt ihm vor, „als sei die Welt mit einem Schlage verwandelt. Kein Orchester. Nur diese Stimmen, aber so viele und so reine, dass ich von Bewunderung ergriffen war.“

Der Offiziersanwärter Julien Green, immer noch ohne jede sexuelle Erfahrung, ja ohne im engeren Sinne sexuelles Verlangen, trifft auch hier, wie überall, auf einen schönen jungen Mann, in den er sich verliebt, ohne dass er sich dessen bewusst wird. Er „ergötzt sich am Anblick“ eines blauäugigen Fähnrichs, mit dem er sich einmal im Streit auf dem Boden wälzt. Der Fähnrich seinerseits ist nicht an Green interessiert: „Er brauchte Mädchen, fand aber aus mir unbekannten Gründen keine in der Gegend hier.“ Green leidet.

Er hat seinem Vater versprochen, er würde drei Monate bleiben. Also beantragt er seine Entlassung auf Ende März 1919. „Der Frühling dieses Jahres versprach recht milde zu werden, und im Saargebiet begannen die Felder zu grünen.“ Am 26. März ist er wieder in Paris.

1919 ist auch ein anderer bedeutender französischer Schriftsteller als Besatzungssoldat ins Saargebiet gekommen und hat später darüber berichtet: Louis Aragon. (RP)