Monica Streit

geb. 03. Jan. 1948 in Hilbringen, Stadtteil von Merzig, Kreis Merzig-Wadern

seitliche Aufnahme der Autorin auf einem Schiff

Foto: Privat

Ihre Geschichte ist die des Ausbruches aus dem Anpassungsdruck ihres Heimatdorfes und aus der Zwangsjacke elterlicher Erwartungen an das Mädchen, die einzige Tochter. Kindergarten bei den Nonnen, Sonntags dreimal in die Kirche. Mehr als Volksschule brauche ein Mädchen nicht, so der Vater. Hübsch und folgsam sein, sich ordentlich anziehen, sich dem Mann und in das ihr Aufgegebene fügen, so die Mutter.

Das Dorf, das sie hinter sich ließ, war Hilbringen, heute Stadtteil von Merzig. 1954 begann für sie dort der Ernst des Lebens in der Volksschule. Kaufmännische Lehre in Hilbringen, Abschluss mit Eins, vorgestellt in einer Feierstunde in Saarbrücken auf der Bühne des Landestheaters. Erste Berufspraxis im Einkauf von V&B in Mettlach. Aber Monica Streit wollte mehr: “Würde. Selbstbestimmung. Freiheit. Weite“. Mit 18 ging sie auf die Abendschule in Dillingen, gegen den Widerstand der Eltern. 1969, nunmehr volljährig, wechselte sie ans Staatliche Kolleg Speyer, machte dort 1972 Abitur. Und dann ging’s zusammen mit dem Freund nach Berlin.

Heute hat Monica Streit das Gefühl, jeden Kilometer von Hilbringen nach Berlin zu Fuß gegangen zu sein. Doch nicht nur „Drama“ habe sie damals hinter sich gelassen: „Die leichten, freien Momente, die Schönheit der Landschaft, das Leben mit dem Zyklus der Jahreszeiten, das war auch ein wichtiger Teil meiner Hilbringer Welt – vermutlich auch Voraussetzung von Gesundheit.“

Vom Studium der Politologie am Otto-Suhr-Institut der Freien Universität Berlin sattelte sie um auf Psychologie und schloss ihr Studium 1978 mit dem Diplom ab. Als Psychotherapeutin sah sie mehr Möglichkeiten, sich nicht nur von ihrer eigenen repressiven Vergangenheit zu befreien, sondern auch anderen Frauen zu helfen, für sich einzustehen und sich zu behaupten. In Berlin fand auch alles andere Entscheidende statt: das Schreiben, die Politisierung, das praktische Engagement für feministische Psychologie.

Cover „Erzählungen über Gewalt“Mit ihrer fünften Veröffentlichung, nun gleich bei Hoffmann & Campe, gelang Monica Streit 1984 der Durchbruch als Schriftstellerin. Für ihren ersten Roman „Joschi. Eine Kindheit NachdemKrieg“ hat sie lange recherchiert, alte Tageszeitungsbände durchgearbeitet. Die zehnjährige Josephine, kurz Joschi genannt, will, was um sie herum geschieht, nicht einfach hinnehmen. Dinge, die sie nicht versteht, hinterfragt sie, direkt und unverblümt. Zum Beispiel, was denn „DasJüdische“ sei, über das die Erwachsenen in ihren Gesprächen so herzogen. Die rätselhaften Begriffe der Erwachsenen, die das Kind vom Hörensagen aufschnappt, sind stets zusammengeschrieben: „Wiealleanderen“, „WasBesseres“, oder eben „DasJüdische“. All die Fragen über Fragen führen Joschi in die Stadtbücherei Merzig, wo sie nachlesen kann, was den Juden angetan wurde. Sehr viel von der Erfahrungswelt der kleinen Joschi, – und nahezu unvermeidlich der Autorin selbst, – findet sich bereits in „Issi Marocco“. Erzählungen über Gewalt“, Monica Streits dritter Veröffentlichung.

Buchcover "Joschi"„Joschi“ machte Monica Streit auch im Saarland richtig bekannt. Nach der Lesung in der Merziger Stadtbibliothek begrüßten sie Mädels aus ihrem Dorf, ehemalige Mitschülerinnen in der Hilbringer Volksschule, als eine der Ihren. Und erinnerten sie an ihre Fremdheit schon damals, als sie den Schulranzen auch mal nach vorne getragen habe.

Ende der 1980er Jahre fand Monica Streit, es sei nun genug: „Genug, sich therapierend und schreibend soviel mit der ‚Dunkelheit’ zu beschäftigen.“ Vor allem „die Gedichte, die oft entstanden sind auf Reisen, sollten die Leichtigkeit des Seins einfangen.“ Auch der Gollenstein-Verlag in Blieskastel veröffentlichte sie: „Oh Jamaica oh Jamaica oh Berlin“ (1995). Für Monica Streit beweisen gerade die Gedichte „die Einhaltung meines Hilbringer Versprechens, ‚ich gehe hier weg und ich sehe mir die Welt an.’ Dass im Weggehen und dann auch im Veröffentlichen Würde, Selbstachtung, Leichtigkeit zu gewinnen waren, ja, auch eine Entfernung von den Gravitationskräften des Kollektiven – gut.“

Mit dem schriftstellerischen Erfolg kamen auch Förderungen: Atelierhausstipendien in Worpswede, Wewelsfleth (Alfred-Döblin-Haus) und Toyako/Japan, zwei Arbeitsstipendien in Berlin. Doch eine schwere Erkrankung und die Anforderungen der psychotherapeutischen Praxis verlangten ihren Tribut. Monica Streits bisher letztes veröffentlichtes Werk ist ein fachwissenschaftliches: „Wohin mit dem Ego? Spiritualität und Psychotherapie.“ (2001) Jedoch scheint in der Ermutigung des weiblichen Ego, die diese Arbeit befördert, Joschis Gesicht auf. Sie ist erwachsen geworden, hat das Rentenalter erreicht, stemmt aber noch immer bremsend die Füße in den Boden, wenn ihr jemand etwas überstülpen will. (IP)

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