Dillingen
Der Name von Dillingen, mit rund 20.000 Einwohnern zweitgrößte Stadt im Landkreis Saarlouis, ist vor allem mit der Stahlindustrie verbunden. Mit der Dillinger Hütte ist die Stadt Sitz eines Weltunternehmens; daneben gibt es eine Reihe mittelständischer metallverarbeitender Betriebe. Dillingen grenzt unmittelbar an die Stadt Saarlouis an, mit der es sich einen Industriehafen teilt; er wurde hauptsächlich für die Dillinger Hütte angelegt, liegt aber nur zum kleineren Teil auf Dillinger Bann und heißt nach längerem Hin und Her „Hafen Saarlouis & Dillingen“. Der Ausbau der Saar bescherte der Stadt auch den so genannten Ökosee und einen Freizeithafen.
Der älteste der drei Dillingen Stadtteile ist Pachten, unmittelbar an der Saar gelegen, 1936 eingemeindet, von der City durch Eisenbahnlinie und B51 getrennt. Pachten kann auf eine römische Vergangenheit samt Kastell zurückblicken, deren Überbleibsel aber nur noch im Museum zu besichtigen sind. 1949 wurde Dillingen von der Regierung unter Johannes Hoffmann zur Stadt erhoben. 1969 wurde das im Nordosten der City gelegene Dorf Diefflen eingegliedert. Das eigentliche Dillingen firmiert nun als Stadtteil Innenstadt.
Das Gebiet von Dillingen lag zur Zeit der Gallier/Kelten im Einzugsbereich des Stamms der Treverer, der unter den Römern Teil der Provinz Belgica prima wurde. Im 5. Jahrhundert n. Chr. taucht dann Dillingen in der Geschichte auf als fränkische Siedlung eines Edlen namens Dullo. Von ihm hat der Ort seinen Namen, im Lauf der Jahrhunderte hat sich über „u“ und „ü“ die Schreibweise mit „i“ herausgemendelt. Im Mittelalter waren Dillingen, Pachten und Diefflen Bauerndörfer, die kaum Spuren in der Geschichte hinterließen. Sie gehörten zeitweise den Herren der Siersburg, und es folgten bis zur Französischen Revolution die üblichen Wechsel der territorialen Zugehörigkeit, die nachzuverfolgen zu weit führen würde.
Das Dillinger Schloss, erstmals erwähnt im 14. Jahrhundert, war ursprünglich eine von der Prims umflossene Wasserburg. Die Anlage wurde „ein zentraler Punkt für die Entwicklung des Gemeinwesens“ (Gertrud Schmidt). Im 18. Jahrhundert hat Fürst Ludwig von Nassau-Saarbrücken seiner zweiten Gemahlin Katharina Kest, dem „Gänsegretel von Fechingen“, den Titel einer Herzogin von Dillingen verschafft und im Zuge dessen das Gebäude ausbauen und renovieren lassen, knapp bevor die Auswirkungen der Französischen Revolution der Episode eines Herzogtums Dillingen ein Ende machte.
Exkurs: Das alte Schloss, das Gänsegretel und die Dillinger Hütte
Die frühesten uns bekannten Besitzer der Burg sind die Herren von Siersberg, die sich ab dem 14. Jahrhundert auch Herren von Dillingen nennen. Unter den Nachfolgern, den Herren von Braubach, wird die Anlage anfangs des 17. Jahrhunderts teilweise abgerissen und an ihrer Stelle ein Schloss im Renaissancestil errichtet, von dem Teile im heutigen Bau erhalten sind.
Eine neue Rolle kommt dem Bau zu, als der Saarbrücker Fürst Ludwig versucht, seiner zweiten Ehefrau Katharina Kest, dem vormaligen „Gänsegretel von Fechingen“, einen Titel zu verschaffen, der auch von seiner übelwollenden Verwandtschaft anerkannt werden muss. Auf diesem Wege kommt Dillingen noch in den Rang eines Herzogtums, kurz bevor es in Folge der Französischen Revolution schon wieder damit vorbei ist. Ludwig kauft die Baronie Dillingen und erwirkt vom französischen König Ludwig XVI. ihre Erhebung zum erblichen Herzogtum des Fürsten samt Gemahlin und Nachkommen. Damit kann Katharina sich nicht mehr nur Reichsgräfin von Ottweiler nennen, sondern auch Herzogin von Dillingen.
Um seiner Gemahlin eine standesgemäße Residenz zu verschaffen, schickt Wilhelm den Sohn seines Baumeisters Joachim Friedrich Stengel zum Renaissance-Schloss nach Dillingen, lässt ihn den Südostflügel neu errichten und den alten vernachlässigten Bau nach neuen Plänen wiederherstellen, die Bauaufsicht hat Werkmeister Johann Adam Knipper. „Am 4. Februar 1789 ergriff der Fürst feierlich Besitz von der neuen Herrschaft. Es soll dabei sehr prunkvoll zugegangen sein“, schreibt Dillingens Stadthistoriker Aloys Lehnert. Herzog und Herzogin haben aber wohl nie im Dillinger Schloss residiert, Hofleben hat es hier nicht gegeben, Dillingen hat „als Sitz eines Herzogtums nie eine wirkliche Rolle gespielt“ (Franz-Josef Reichert). Nur noch einmal hat die Herzogin ihr Herzogtum aufgesucht, zur Geburt ihres Sohnes Ludwig Karl Adolf Mauritius am 3. Juni 1789.
In der Familiengeschichte hat die Dillinger Episode nur ungute Erinnerungen hinterlassen. Ludwigs und Katharinas Tochter Luise nennt Dillingen in ihren Memoiren „das verhängnisvolle Nest“. Um die Baronie zu erwerben, hatte der Fürst tief in seine Privatschatulle greifen und sich zudem noch verschulden müssen. Als der Witwe später der Schuldschein samt Zinsen präsentiert wird, muss sie 1808 ihren Besitz an die Dillinger Hütte verkaufen.
Schloss und Schlosspark liegen nun auf Firmengelände und geraten aus den Augen der Öffentlichkeit. 1953 wird mit dem Wiederaufbau der im Zweiten Weltkrieg zerstörten Gebäude begonnen, allerdings wird nur der Stengelsche Nordwestfügel rekonstruiert, die beiden anderen Flügel werden als Ruine konserviert. Dreißig Jahre später gründet sich der Förderverein Altes Schloss Dillingen, der bis 1986 die Innenräume neu gestaltet. Von da an werden die Räume öffentlich zugänglich gemacht, es wird ein Museum zur Schloss- und Hüttengeschichte eingerichtet und die Räume werden für Konzerte, Ausstellungen, Vorträge und Empfänge genutzt. Nach Auslaufen des Vertrages zwischen Förderverein und Hütte nutzt das Unternehmen das Gebäude seit 2018 wieder für eigene Zwecke, es finden hier keine Kulturveranstaltungen mehr statt.
Die Stadt und der Stahl
Eine, vielleicht die entscheidende Jahreszahl für die Dillinger Geschichte ist 1685. Damals erteilte der französische König Ludwig XIV. dem Marquis de Lenoncourt, der die Baronie Dillingen regierte, die Genehmigung, vor den Toren der neu gegründeten Festung Saarlouis eine Eisenhütte zu errichten. Einige von Lenoncourts Vorfahren gehörten zu den Pionieren der Eisenindustrie in Lothringen. Die Dillinger Hütte ist eines der ältesten Unternehmen Europas (und 1809 die erste Aktiengesellschaft in Deutschland). Im Dillinger Werk wurden neben Roheisen auch Gusswaren wie Öfen, Kaminplatten und Töpfe hergestellt.
1818 wurden die Gebrüder Stumm größte Anteilseigner der Eisenhütte. Seit der Mitte des 19. Jahrhunderts nahm die Hütte und mit ihr die Stadt einen rasanten Aufschwung, Dillingen wuchs schnell heran zu einer der größten und bedeutendsten Arbeiter- und Industriegemeinden an der Saar, Pendler kamen aus einem Umkreis von bis zu 50 km. Noch der Anfang des 20. Jahrhundert erbaute so genannte Saardom (Pfarrkirche Hl. Sakrament) in der Stadtmitte wurde optimistisch für 3.000 Gottesdienstbesucher ausgelegt.
Noch immer ist immer die Hütte größter Arbeitgeber in der Stadt (1920: 9.100, 2016: rund 5.100 Beschäftigte). Das Werksgelände nimmt einen großen Teil der Stadtfläche ein, ist fast „eine Stadt für sich“ (Ulrich Meisser), und auch im öffentlichen Bereich entstanden viele Gebäude in Zusammenhang mit der Hütte.
Als technikgeschichtliche Überbleibsel zählt der saarländische Industriekultur-Experte Delf Slotta auf: der Kamin der alten Frischhütte („frischen“ bedeutet die Umwandlung von Roheisen in Stahl durch Oxydation der begleitenden Bestandteile) und das zweistöckige, um 1800 entstandene Direktionsgebäude. Die Bausubstanz des sich anschließenden langgestreckten Verwaltungsgebäudes stammt ebenfalls aus der Frühzeit der Hütte. Hier waren im 19. Jahrhundert Magazine und Wohnungen untergebracht. Von den zahlreichen Sozialeinrichtungen hat nur das ehemalige Werkskrankenhaus (1911), allerdings stark verändert, überdauert.
Die Dillinger Hütte gehört inzwischen zu den größten und qualitätvollsten Grobblechwerken weltweit. Dillingen ist der einzige Standort im Saarland, an dem noch Roheisen hergestellt wird. Damit beliefert Dillingen auch die Völklinger Hütte, mit der eine wechselseitige Verflechtung besteht.
In der Eigenwerbung nennt sich Dillingen immer noch „Hüttenstadt“, nun aber „Hüttenstadt im Grünen“. Die Stadt ist umgeben von Wäldern und Feldern, und mit dem Stadtpark und den „Vertikalen Gärten“ in der Stummstraße hat man der Dominanz des Hüttenkolosses und der Betonlastigkeit in der Innenstadt etwas entgegengesetzt.
Dillingen hat sich in den vergangenen Jahrzehnten mit einem Kulturangebot profiliert, dessen Schwerpunkt auf Musik und Bildender Kunst liegt. Ein wichtiger Ort für Konzerte und Ausstellungen war dreißig Jahre lang das alte Dillingen Schloss.
Nachdem Künstler aus aller Welt den Werkstoff Stahl entdeckt haben, ist Stahlkunst im öffentlichen Raum Dillingens präsent. Am markantesten ist die Plastik des Amerikaners Richard Serra. Der Künstler arbeitet seit Jahren mit den Blechen und dem Know-how der Dillinger Hütte, um Großskulpturen herzustellen, die weltweit aus- und aufgestellt werden. 2006 schenkte die Dillinger Hütte der Stadt die Serra-Skulptur „Viewpoint“, die am südlichen Zugang der Stadt auf einer Verkehrsinsel der B51 aufgestellt wurde. Daneben finden sich im gesamten Stadtgebiet Stahlskulpturen.
Nicht nur die Dillinger Hütte, auch andere ortsansässige Stahl und Metall verarbeitende Betriebe stehen mit der bildenden Kunst in Verbindung, so etwa im Rahmen des “Dillinger Stahlsymposions”, einer Art Gesamtkunstwerk, das 1990 zur 2000-Jahrfeier der Hüttenstadt auf einer entlang der Saar bis in die Innenstadt hinein führenden “Kunstachse” installiert wurde. Fünf internationale Künstler haben auf der Strecke von der Saaraue über die Konrad-Adenauer-Allee bis zur Franz-Meguin-Straße die Vielfalt der künstlerischen Verwendungsmöglichkeiten von Stahl gezeigt. 1
Für größere Events wurde ein ehemaliger Lokschuppen zur Veranstaltungshalle umgebaut.2
Nur ein einziger Kreativer?
Der Heiligenberg ist der Hausberg von Dillingen. Hier steht ein Steinkreuz, das 1837 von Pfarrer Philipp Schmitt errichtet und später für das Ehrenmal (1934, im Krieg zerstört, Neubau 1958) ein Stück östlich versetzt wurde. Inschrift auf Sockel: „Es ist vollbraht.“ (!) Franz-Josef Reichert erzählt in seinem Buch „Mein Dillingen“, ihm sei als Kind gesagt worden, dass man beim genauem Hinhören aus dem steinernen Loch unterhalb des Kreuzsockels den Gesang verwunschener Klosterfrauen vernehmen könne (siehe auch Karl Lohmeyer, „Die Sagen der Saar“, Nr. 377).
Vor dem Saardom steht die Odiliensäule des Wadgasser Bildhauers Lothar Meßner. Die Bronzefigur hält ein aufgeschlagenes Buch in ihren Händen, Symbol dafür, dass die Schutzheilige der Stadt von hoher Bildung war. Aber die Literatur spielt in Dillingen keine große Rolle. Aloys Lehnert nennt 1968 in seiner „Geschichte der Stadt Dillingen“ unter der Überschrift „Schöpferische Dillinger Kräfte“ nur einen einzigen Namen: Albert Korn.
Der Knappschaftsamtmann und Dichter Korn (1880-1965) ist mit seinen volkstümlichen Versen der mit Abstand meistvertonte Schriftsteller des Saarlandes. Viele seiner Gedichte sind der Heimat im Allgemeinen und Dillingen und Umgebung im Besonderen gewidmet, auch die Dillinger Hütte hat Albert Korn bedichtet und sie verglichen mit einem „Raubtier, das auf Beute lauert“. Gern wird übersehen, dass der konservative „Volksdichter“ (Lehnert) sich zeitweise politisch weit aus dem Fenster gelehnt hat. ZITAT
Der 1888 im seinerzeit noch nicht zur Stadt St. Wendel gehörigen Ort Diefflen geborene Aloys Lehnert war sowohl Theoretiker als auch Praktiker der Mundart. Er ist Ehrenbürger von Dillingen, in Diefflen ist ein Weg nach ihm benannt.
Auch vom moselfränkischen Mundartautor und Liedermacher Hans Walter Lorang, der lange im Dillinger Stadtteil Diefflen gewohnt hat, stammt ein Lied auf „óus Hütt“ (unsere Hütte), in dem er ihre starke akustische und optische Präsenz in der Stadt beschreibt, sie vertraulich mit „dau“ (du) anredet und ihr bescheinigt, „dat mir deich vamissen gääten“ (dass wir dich vermissen würden). ZITAT
Der Kabarettist Manfred Spoo, 1953 in Saarlouis zur Welt gekommen, wohnt in Dillingen und bringt seit seinem Ausscheiden als SR-Redakteur im Dillinger Kelkel-Verlag, mit dem er eng verbunden ist, Krimis mit dem saarländischen Kommissar Knauper heraus.
Seit 1982 wohnt in Dillingen der aus Teheran stammende Mohammed Ghodstinat, der die eigene Blindheit zum Thema seiner in deutscher Sprache geschriebenen Veröffentlichungen macht. (RP)