Theobald Hock
geb. im August 1573 in Limbach, gest. um 1624 (im Elsass)
Auch wenn Theobald Hocks Beziehung zu seinem Geburtsort Limbach (heute Ortsteil von Kirkel) für sein späteres abenteuerliches Leben keine bedeutende Rolle spielen sollte, ist er mit Sicherheit literaturgeschichtlich der wichtigste saarpfälzische, wenn nicht gar „saarländische“ Dichter; denn mit seiner Lyriksammlung „Schönes Blumenfeldt“ von 1601, im Übrigen seinem einzigen literarischen Werk, hat er in einer Zeit und Umgebung, in der Neulatein noch die vorherrschende Sprache der Gelehrten und Dichter war, den ersten deutschsprachigen Gedichtband eines einzelnen Autors veröffentlicht.
Damit beantwortete er seine eigene Frage aus dem bedeutsamen poetologischen Gedicht „Von Art der Deutschen Poeterey“, das fast ein Vierteljahrhundert vor Martin Opitz‘ berühmtem „Buch von der Deutschen Poeterey“ (1624) die Aufwertung des Deutschen als Sprache der Dichtung forderte: „Warum sollen wir denn unsre deutsche Sprachen / In g’wisse Form und G’satz nicht auch mögen machen / Und deutsches Carmen schreiben“.
Der Autor beweint das Leben
Der „Pionier“ einer deutschen Literatur um die Wende vom 16. zum 17. Jahrhundert, der damit zwischen Späthumanismus und Frühbarock steht, begann also 1573 in Limbach sein ereignisreiches Leben. In dem Gedicht „Der Autor beweint das Leben“, das sich durch einige vage autobiografische Hinweise von den übrigen Texten des Gedichtbandes unterscheidet, gibt Hock den 10. August als seinen Geburtstag an; ZITAT
mit einiger Sicherheit ist diese Angabe jedoch fiktiv, war es doch zeitgenössisch üblich, spezielle Gestirnekonstellationen mit astrologischer Bedeutung als schicksalhafte Geburtszeichen zu konstruieren, wie die folgenden Gedichtzeilen es auch zeigen. Auch die unter Limbacher Heimat- und Familienforschern kursierenden Geburtsurkunden geben keine eindeutige Auskunft, so dass nur der August 1573 als Geburtsmonat feststehen dürfte.
Den Geburtsort Limbach bei Homburg konnte allerdings schon im 19. Jahrhundert Hoffmann von Fallersleben aus den Buchstaben des Titelblatts vom „Schönen Blumenfeldt“ entschlüsseln. Die mitunter verschiedenen Schreibweisen seines Namens (Hoeck oder Hoeckh) dürfen keineswegs dazu verführen, das oe als Umlaut zu lesen und auszusprechen. Vielmehr handelt es sich bei dem e um einen Dehnungsvokal, der lediglich anzeigen soll, dass das o mit einer gewissen Längung zu sprechen ist, wie es heute noch in Limbach üblich ist, wo ausschließlich der Familienname Hock bekannt ist.
Von 1586 bis 1589 besuchte Hock, möglicherweise Sohn eines nicht ganz unbetuchten Hofbesitzers, die „Schola illustris“ des inzwischen reformierten Klosters Hornbach; auf diesem Elitegymnasium erfuhr er durch ein Stipendium seines Landesherrn Johann I. von der Pfalz-Zweibrücken eine solide humanistische Ausbildung nach den Prinzipien des pädagogisch fortschrittlichen Straßburger Schulreformers Johannes Sturm. Danach verliert sich zunächst jede Spur unseres Autors. Sein Wiederauftauchen nach mehr als zehn Jahren wird ihn in die Wirren der zeitgenössischen religiösen Auseinandersetzungen und der Frühphase des Dreißigjährigen Krieges stürzen. Sein nun einsetzendes abenteuerliches Leben könnte durchaus den Stoff für einen barocken Picaro-Roman abgeben; so sehr trägt es die Risse und Abgründe dieser unruhigen, gefährlichen Zeit in sich. In den Jahren bis zu seinem Tod agiert Hock eigentlich nur noch als politischer Diplomat und militanter Protestant, und in gewisser Weise verläuft seine Laufbahn zeittypisch, indem er mittels Intrigen und Korruption versucht, sich als Nichtadeliger möglichst unbeschadet und gewinnbringend durchzuschlagen. Gerade aber seine leidenschaftliche Bereitschaft, die protestantische Sache „bis zum letzten Blutstropfen“ zu verteidigen, brachte ihn in größte, ja lebensbedrohliche Schwierigkeiten. „Hock von Zweybrucken“, wie er sich nach der Nobilitierung zusammen mit seinem Bruder Anastasius nannte, erhielt wegen gefälschter Adelsdiplome und einer Testamentsfälschung eine von katholischer Seite betriebene Anklage wegen Hochverrats an Kaiser Rudolf und wurde 1618 zum Tode verurteilt. Der „Prager Fenstersturz“, der den 30jährigen Krieg auslösen sollte und die Machtverhältnisse schlagartig veränderte, brachte ihm jedoch unverhofft die Freiheit. Danach tauchte er als Kommandeur von böhmischen Truppen unter Christian von Anhalt wieder auf, ab 1621 als Unterhändler in Kontributionsangelegenheiten im Elsass, bevor seine Frau 1624 zur Witwe erklärt wurde. So scheint sich der Kreis seines unsteten Lebens mit seiner Rückkehr in die weitere Region seiner Herkunft wieder zu schließen.
Deutsche Poeterey
Hocks Briefe und Schriften zeigen ihn ausschließlich als politisch und konfessionell agierenden Menschen vor dem und während des 30jährigen Krieges. Mehrere Defensionsschriften, in denen er seine protestantische Position verteidigt, sind von ihm überliefert, ebenso ein antijesuitisches Pamphlet gegen Kardinal Bellarmin unter dem Titel „Commonitorium“; fast alle sind in Latein abgefasst. Einzig das „Schöne Blumenfeldt“ von 1601 verankert seinen Namen in der deutschen Literaturgeschichte, aber umso unzweifelhafter. Gewiss war dieser Gedichtband, von dem übrigens weltweit nur noch fünf Exemplare existieren, ein Produkt der „Nebenstunden“. In einer Zeit, in der es den Typus des freien Schriftstellers noch nicht gab, war nur so eine literarische Aktivität möglich, wenn man nicht gerade Hofdichter war. Hock präsentiert sich überdies mit seinen Gedichten als Poeta doctus, als umfassend gebildeter und gelehrter Polyhistor, der seine Bildung zeittypisch auch bewusst in sein Werk einfließen lässt.
Gerade aber diese Vielfalt an Bezügen, die Anspielungen auf Bibelstellen, antike Mythologie, deutsche Geschichte, Volksbücher, zeitgenössische populäre Lesestoffe, die ausführlichen Literaturlisten, erotische Allusionen, höfische Termini, Grobianismen, Fremdwörter, Sprichwörter und Zitate erschweren dem heutigen Leser das Verständnis dieser Texte ungemein. Hocks Dichtung ist, wie die seiner Zeitgenossen, noch keine subjektive „Erlebnislyrik“ in Goethes Sinne, sondern, folgt, den humanistischen und frühbarocken Prinzipien entsprechend, komplizierten, festgelegten poetologischen Regeln.
Der Titel „Schönes Blumenfeldt“ für die 92 Texte der Sammlung verweist auf die thematische und formale Vielfalt und Buntheit der Gedichte, bemüht aber gleichzeitig den Topos der Wiese als Aufenthaltsort der Narren. Konsequent bezeichnet der Dichter seine eigenen Texte auch als Satiren. Wirkungsziel dieser Dichtung ist fraglos das Prinzip der Horazschen Poetik des Prodesse et Delectare (nützen und erfreuen), sodass sich neben moralisierenden oder gar predigenden Texten ebenso unterhaltsame und vergnügliche finden, oft sogar im selben Gedicht gemischt. Dieses Nebeneinander von optimistischen und pessimistischen Zügen, von Witz, Ironie, Spott und protestantischem, ethischem Ernst, von Selbstbewusstsein und Vergänglichkeitsklagen und Endzeitstimmung (memento mori, vanitas), von sinnenfroher Weltlichkeit und tiefer Religiosität machen Theobald Hock zu einer interessanten Übergangs- und Vermittlungsfigur zwischen Humanismus / Renaissance und Frühbarock.
Nicht minder vielfältig präsentiert sich die Thematik der Gedichtsammlung: eine sehr direkte Hofkritik findet sich hier, die den tüchtigen bürgerlichen Hofbeamten dem privilegierten adligen gegenüberstellt; viele Texte huldigen einer heftigen Misogynie in der Tradition der Frauenschelte; Lob der Freundschaft, der Tugenden wie Fleiß und Ausdauer, Empfehlungen der Duldsamkeit im Leiden und der Ausrichtung auf den Tod bereits im Leben sind weitere, oft dem Protestantismus geschuldete thematische Schwerpunkte.
Innovativ ist neben dem bereits erwähnten poetologischen Gedicht „Von Art der Deutschen Poeterey“, das sich erstmals um neue Normen für die poetische Praxis einer deutschen Dichtung bemüht, der erste Text der Sammlung „Unglück thut die Augen auff“, insofern er die wohl erste deutschsprachige freie Adaption des ersten Sonetts von Petrarca darstellt – gleichfalls lange vor den entsprechenden Versuchen von Martin Opitz.
Hocks Sprache wirkt teilweise noch ungeschliffen; neben holprigen Versen, die den Einfluss des Meistersangs verraten, stehen aber bereits saubere Jamben. Versmaß und Reim sind zwar durchgehend intendiert, aber nicht konsequent realisiert. Der gedruckte Text gibt überdies noch nicht vollends die Aussprache wieder, er ist eher so etwas wie die Notation der Intention, die sich erst beim (am besten lauten) Lesen einstellt. Wie eine musikalische Partitur erschließt sich erst die Schönheit der noch suchenden und tastenden Hockschen Sprache mit der aufführenden Interpretation.
Dieser einzigartige Gedichtband markiert den Anfang einer deutschen Kunstlyrik in einer immer noch neulateinisch geprägten Umgebung; seine Lektüre ist mindestens so abenteuerlich wie die Vita seines Autors. Sein bewusstes Experimentieren mit einer noch nicht ausgebildeten deutschen Verssprache verleiht ihm die spröde Schönheit eines rohen, ungeschliffenen Diamanten.
2007 haben die saarländischen Autoren Bernd Philipp und Gerhard Tänzer eine Auswahl aus „Schönes Blumenfeld“ im Saarbrücker Conte-Verlag herausgegeben.
In Limbach sind das protestantische Gemeindehaus und der Platz davor nach Theobald Hock benannt.(Reiner Marx)
2018 hat das Literaturarchiv Saar-Lor-Lux Elsass gemeinsam mit Ralf Georg Bogner von der Universität des Saarlandes ein wissenschaftliches Arbeitsgespräch zu Theobald Hock ausgerichtet. Die gesammelten Vorträge sind 2019 in einem Buch erschienen: Rolf Georg Bogner, Sikander Singh (Hrsg.): Theobald Hocks Schönes Blumenfeldt (1601). Verlag Narr Francke Attempto, Tübingen 2019. 490 Seiten, 79,90 €