Thomas Mann

geb. 6. Juni 1875 in Lübeck, gest. 12. Aug. 1955 in Zürich

Auf die allgemein bekannte literarische Bedeutung und den Werdegang des Verfassers der „Buddenbrooks“ und Nobelpreisträgers von 1929 braucht an dieser Stelle nicht eigens eingegangen zu werden. Im Folgenden geht es speziell um seine Beziehung zur Saar-Politik, wie sie sich in seinen Tagebüchern widerspiegelt.

Thomas Manns Notizen zu diesem Thema sind Beiträge aus zweiter Hand. Als Hitler in Deutschland an die Macht kommt, befindet er sich mit seiner Frau Katia auf einer Vortragsreise in der Schweiz. Er beschließt, vorerst nicht nach Deutschland zurückzukehren. Aufmerksam verfolgt er die politischen Ereignisse, informiert sich durch Zeitungen, Zeitschriften, Radio-Nachrichten und persönliche Berichte aus Deutschland.

Der Schriftsteller ringt mit seiner Haltung zu Deutschland, kann sich, obwohl er das Wesen der NS-Diktatur sehr bald durchschaut, lange zu keiner klaren öffentlichen Absage an das Regime durchringen, u.a. um die Verbreitung seiner Bücher und den Zugriff auf sein Vermögen in Deutschland nicht zu gefährden. In den ersten Jahren seines Exils schreibt er am 3. Band der „Joseph“-Romane.

Das Saargebiet steht nach der Niederlage Deutschlands im 1. Weltkrieg unter der Verwaltung des Völkerbunds. Nach 15 Jahren, so regelt es der Versailler Vertrag, soll die Saar-Bevölkerung über die staatliche Zugehörigkeit ihres Landes abstimmen. Der Termin der Abstimmung wird am 2. Juni 1934 auf den 13. Januar 1935 festgesetzt. Die saarländische Bevölkerung hat 3 Wahlmöglichkeiten: Zugehörigkeit zum Deutschen Reich oder zu Frankreich oder Beibehaltung des Status quo.

Die Bedeutung dieses Plebiszits, das ist den Befürwortern des Anschlusses ans Reich ebenso klar wie dessen Gegnern, geht weit über das Saargebiet hinaus. Ein Sieg wäre für Hitler innen- wie außenpolitisch ein Triumph, eine Niederlage könnte ihn zwei Jahre nach der Machtergreifung empfindlich schwächen. Und so findet die Saar-Frage internationale Beachtung, während der Wahlkampf spätestens seit März 1934 mit großem Aufwand und in erbitterter Frontstellung geführt wird.

Thomas Mann, der sich inzwischen im schweizerischen Küßnacht niedergelassen hat, erwähnt in seinen Tagebüchern die Saar-Frage zum ersten Mal nach der Rückkehr von einer USA-Tournee am 20. Juni 1934 mit dem lakonischen Eintrag: „Kriegerischer Zustand im Saargebiet.“

In 19 Einträgen vor und 10 nach der Abstimmung wird der Schriftsteller die Saar-Frage mehr oder weniger ausführlich ansprechen. Seine Einschätzungen sind meist das Echo dessen, was ihm durch die Medien oder persönliche Gespräche zugetragen wird.

Die Bedeutung der Abstimmung ist ihm klar, aber er ist – auch hier – nicht so engagiert wie sein Sohn Klaus Mann, der schließlich wegen der Unterzeichnung des so genannten Saar-Aufrufs vom 21. September 1934, mit dem auch Gustav Regler und andere Schriftsteller und Intellektuelle zum Votum für den Stauts quo, gegen die „faschistische Barbarei“ aufrufen, aus Deutschland ausgebürgert wird.

Nach der ersten Erwähnung im Juni kommt Thomas Mann erst wieder im Oktober 1934 auf das Saar-Thema zu sprechen: „Wir lasen nachgesandte Post, darunter den Brief eines Saarländers, der mir naiverweise zumutet, ‚um des Friedens willen‘ dort für die Rückkehr zu Deutschland Propaganda zu machen.“ Allerdings lehnt Mann es auch ab, für die Absage ans Dritte Reich einzutreten.

Eine Woche vor der Abstimmung rechnet er nicht mehr mit einem Sieg der Hitler-Gegner, aber doch mit einem Achtungserfolg: „Die Status-quo-Versammlung [am 6. Januar am Kieselhumes in Saarbrücken] ist nicht eindruckslos verlaufen. Eine Minorität von 25 bis 30 % scheint sicher.“ Einem katholischen Treuhänder aus dem Saargebiet, der Geld für die Anti-Hitler-Kampagne sammelt, spendet er 200 Franken.

Am Tag vor der Abstimmung überwiegt sein Pessimismus „Die ‚Deutsche Front‘ [Zusammenschluss der Anschluss-Befürworter] hat mit ihren Vorbereitungen zur Wahl, Bereitstellung von Autos für Alte u. Kranke etc., so meldete der Rundfunk, eine gewaltige organisatorische Leistung vollbracht. Die mittellose Status quo-Partei wird wohl an die Wand gedrückt werden.“

Die Bekanntgabe der Ergebnisse des Plebiszits vom 13. Januar im Radio ist für den 15. um 8 Uhr angekündigt. Mann notiert, seine Frau Katia sei „in großer Spannung“ und werde dann aufstehen – er selber also nicht. Später am Tag: „90 % der Saar-Stimmen für Deutschland. Wohl nicht für Hitler. Immerhin ein Faktum, von dem ich mich möglichst gleichgültig abwende.“

Später zieht Thomas Mann weitreichende Konsequenzen aus dem Ergebnis der Saar-Abstimmung. Er stimmt dem Publizisten Willi Schlamm zu, der in einer Exil-Zeitschrift geschrieben hat, „die Epoche sei abgelaufen, in der man an Massen geglaubt habe, die vernunftmäßig und ihrem Interesse gemäß zu leiten und zu heben seien. Es ist nichts mit diesem Glauben.“ Thomas Mann fügt hinzu: „Aber bedeutet das nicht wirklich das Ende des Marxismus? Stirbt er nicht überall aus Mangel an Glauben an sich selbst dahin? Ist Sozialismus im Zeitalter der Tanks und des Radios, des idealistisch herausgeputzten Propaganda-Massen-Rummels überhaupt noch möglich, in dem Sinn, den er im 19. Jahrhundert hatte. Wie liebevoll war noch dessen Pessimismus! Eine Zeit der Masse, die zugleich eine der Massen- und Menschenverachtung ist, bricht an.“ (Tagebuch vom 19.1.35)

Am 20.1.35 bezieht sich Mann auf einen Leitartikel des „Prager Tagblatt“, dem zufolge die Lehren der Saar-Abstimmung „dahin gehen sollten, daß Völker als solche sich in großen Fragen idealistisch und nicht nach ökonomischen Gesichtspunkten entscheiden. Obgleich Deutschland z. Z. eine ökonomische Krise durchmache, habe die Saar für es optiert.“ Thomas Mann folgt in diesem Fall nicht der Argumentation, er fragt: „War aber dies das einzige Obgleich? Gab es nicht anderes, Ideelleres, was die Saarländer allenfalls hätte abhalten können? Wäre es nicht vielleicht idealistischer von ihnen gewesen, anders zu stimmen?“

In Folge der Abstimmung wird das Saargebiet am 1. März 1935 ans Deutsche Reich angegliedert. Zur Feier besucht Hitler Saarbrücken und fährt im offenen Wagen vor dem Rathaus in St. Johann vor. Am 5.3. notiert Thomas Mann: „Hitler, aus dem Saargebiet mit ‚leichter Erkältung‘ und ‚starker Heiserkeit‘ zurückgekehrt, hat auf Wunsch ‚der Ärzte‘ alle Empfänge etc. für die nächste Zeit abgesagt und ‚auch‘ den britischen Minister [John Simon] ersuchen lassen, seinen Besuch zu verschieben! – Hübsch.“

Für Anfang März ist der Besuch des britischen Außenminister Simon in Berlin verabredet. Am 4. März veröffentlicht die britische Regierung ein Weißbuch zur heimlichen deutschen Aufrüstung. Mann notiert am 7.3.: „Der ‚Führer‘ empört über das englische Weißbuch. Berlin macht kein Hehl aus dem ‚diplomatischen‘ (?) Charakter der Krankheit, und die Presse tobt über die Feststellung des deutschen Kriegsgeistes.“

Das NS-Regime beginnt 1935 mit der systematischen Aushöhlung des Versailler Vertrages. Nachdem Göring bereits die Existenz einer deutschen Luftwaffe bekanntgegeben hat, wird am 16. März die Allgemeine Wehrpflicht in Deutschland wiedereingeführt und eine Aufrüstung der deutschen Streitkräfte auf 550.000 Mann beschlossen. Thomas Mann am Tag darauf: „Es zeigt sich, daß die ganze Berliner Entrüstung, Hitlers Krankheit ein Betrug zur Vorbereitung dieses Coups. […] Zugleich innenpolitisch radikale Nachrichten. Verhaftung aller Häupter der Bekenntniskirchen-Bewegung, darunter Niemöller. Auch das ist wohl zur inneren Kriegsbereitschaft notwendig. Man erkennt, wie sehr der Übermut der Gewalthaber seit der Saar-Abstimmung gewachsen ist.“

Es dauert noch fast ein Jahr, bis zum Februar 1936, bis Thomas Mann sich öffentlich vom NS-Regime distanziert. Am 2. Dezember 1936 wird ihm die deutsche Staatsbürgerschaft aberkannt. (RP)