Hans Bernhard Schiff

geb. 20. März 1915 in Berlin, gest. 10. Sept. 1996 in Saarbrücken

Foto: pmk

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Hans Bernhard Schiff war als Rundfunkmann, als treibende Kraft bei der Organisation saarländischer Schriftsteller und als vielseitiger Autor eine wichtige Persönlichkeit des regionalen Literaturbetriebs in den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg. Ein Literaturpreis ist nach ihm benannt.

Schiffs Lebenslauf ist in seiner ersten Hälfte von zahlreichen Brüchen gekennzeichnet. Es existiert keine Biografie, die Autobiografie reicht nur bis ins Jahr 1934 und ist nicht immer detailgenau, so dass man sich den Lebenslauf aus verschiedenen Quellen zusammensuchen muss, die nicht immer deckungsgleich sind. So viel scheint festzustehen:

Schiffs Vater ist Bankier in Berlin; Hans Bernhard Schiff ist ein Neffe des 1922 ermordeten Reichsaußenministers Walter Rathenau. Er wächst mit zwei Schwestern zunächst in großbürgerlichen Verhältnissen auf, man hat Personal, eine große Wohnung am Kurfürstendamm, eine Villa und eine Segeljacht in Travemünde. Aber der Vater besitzt, so Schiff in seiner Autobiographie, „ein Talent, innerhalb von etwa sieben Jahren alles, was er besaß, wieder zu verlieren“. Als Hans Bernhard noch ein Kind ist, trennt der Vater sich von der Mutter, die Kinder bleiben bei ihm. Der Junge besucht zunächst das Mommsen-Gymnasium in Berlin, mit 12 wird er in die Kadettenanstalt Dresden-Striesen geschickt, wo er „auf Vordermann gebracht“ werden soll. Nach einem Jahr holt ihn der Vater wieder von dort weg, er kommt zurück nach Berlin in die väterliche Wohnung, besucht das Grunewald-Gymnasium. Ab Ostern 1929 sind er und seine Schwestern im Landerziehungsheim Marquartstein (Oberbayern). Da er dort kein Abitur machen kann, muss er 1932 für zwei Jahre nach Halle, wo er 1934 die Reifeprüfung ablegen kann. Nach Nazi-Kategorien ist er, obwohl evangelisch getauft, durch seine Mutter Halbjude, er weiß, dass er Deutschland verlassen muss. Er geht nach London und studiert am Pitman’s College in London (Wirtschafts-)Englisch und an der philosophischen und naturwissenschaftlichen Fakultät in Genf Philosophie und Physik, bis seine Schweizer Aufenthaltsgenehmigung widerrufen wird. Daraufhin kehrt er, je nach Angabe 1936 oder 1937, nach Deutschland zurück, ins jüdische, nicht-zionistische Auswanderungslehrgut Großbreesen bei Breslau, das Jugendliche auf die Auswanderung in andere Länder als Palästina vorbereiten will. 1938 reist er per Schiff nach Paris zu einem Onkel, den er zwei Jahre lang bis zu dessen Tod pflegt. “Seine durch einen Schlaganfall des Onkels erzwungene Abreise bewahrt ihn vor dem KZ und dem tragischen Schicksal seiner Mutter, die in Theresienstadt umkommt”, schreibt Ruth Wahlster. Nach dem deutschen Einmarsch flieht Schiff in den Süden Frankreichs, wo er sich als bäuerliche Hilfskraft durchschlägt. Dann arbeitet er als Dolmetscher für die amerikanische und französische Armee, seit Ende 1943 zusätzlich als Lehrer in Frankreich.

Radio-Zeit in Saarbrücken

Er nennt sich nun Jean Bernard, und als solcher kommt er nach Kriegsende ins französisch dominierte Saarland. Er ist damals Lehrer, Erzieher und stellvertretender Direktor an der École de Guyenne in der Gironde und hat Lyrik-Übersetzungen aus dem Französischen und Englischen an Radio Saarbrücken geschickt. Daraufhin hat man ihn eingeladen, sich am Sitz des Senders in der Saarbrücker Wartburg persönlich vorzustellen. In seinen persönlichen Erinnerungen an die Rundfunkzeit schildert er nicht im Einzelnen, wie es dazu kommt, jedenfalls wird aus dem Übersetzer nach einiger Zeit der Leiter der Literaturabteilung, die seinerzeit große Programmflächen zu bespielen hat. Schiff beschreibt, wie in diesen Aufbaujahren bei knappen Mitteln sein Improvisationstalent gefragt ist; die Sendungen, auch Hörspiele, werden anfangs noch nicht auf Band aufgezeichnet, sondern live produziert. Bei Radio Saarbrücken lernt Schiff auch seine spätere Frau kennen, die dort für ihn als Sekretärin arbeitet. Der Literaturredakteur scheut nicht den Konflikt mit der Führung des Senders, in einer ihm zugeschriebenen Denkschrift beklagt er, jede Aussprache mit dem Generaldirektor, Sendeleiter und Produktionsleiter erscheine als “völlig illusorisch, weil man genau weiß, dass diese Herren nur an ihre eigenen Interessen denken, und weil bei ihnen ein Ja kein Ja und ein Nein kein Nein ist”. 1956 muss Schiff den Sender verlassen; über die genaueren Umstände ist nichts bekannt, auffallend ist allerdings der zeitliche Zusammenhang mit dem Ausgang des Saar-Referendums, nach dem deutsch-nationale Kräfte beim Sender die Oberhand gewinnen. Als Vierzigjähriger muss Schiff sich eine neue Existenz aufbauen. Er studiert Mathematik und Physik und wird Lehrer, zuletzt an der Mädchen-Oberrealschule in Saarbrücken-Ludwigspark (bis 1980).

1948 gründet Schiff die Interessengemeinschaft zur Abschaffung der Atombombe. 1950 ist er beteiligt an der Gründung des Bundes föderalistischer Autoren, aus dem 1951 der Verband saarländischer Autoren hervorgeht, später der Verband deutscher Schriftsteller (VS) im Saarland, der sich 1973 der IG Druck und Papier anschließt (heute ver.di); Schiff ist Vorsitzender von den 1950er bis Ende der 1970er Jahre. 1986 wird er für seine Verdienste um die Kultur und um die Belange seiner Schriftstellerkollegen mit dem Bundesverdienstkreuz geehrt.

Abbrüche und Neuanfänge

Seit den 1950er Jahren veröffentlicht Schiff eigene literarische Texte. Er hat ein umfangreiches Werk in zahlreichen Gattungen hinterlassen (Erzählung, Gedicht, Essay, Aphorismus, Hörspiel, Dramatik). Ruth Wahlster hat versucht, in der Fülle der Formen und Themen die Konstante zu erkennen. Sein Leben sei durch eine Reihe von Abbrüchen und Neuanfängen gekennzeichnet. Zentrales, Schiffs Denkweg formendes Ereignis sei die Terrorherrschaft des Nationalsozialismus gewesen, als für ihn alles Vertraute in Auflösung geriet. Schlüssel zum Verständnis seines Gesamtwerkes “mit seiner Fülle sehr unterschiedlicher Aussageweisen und oft irritierenden, scheinbaren Widersprüchen und Zumutungen” sei die Suche nach einer anderen, wahreren Wirklichkeit; seine Weltanschauung sei geprägt durch ein frühes Nietzsche-Erlebnis, vermittelt durch die Jugendbewegung (er war Mitglied der Nerother).

Schiff hat Texte in fast allen literarischen Gattungen verfasst. Immer wieder durchbricht er allerdings die Gattungsgrenzen und fügt essayistische bzw. reflexive Elemente ein.

1986 ist Hans Bernhard Schiff Stadtteilschreiber für Saarbrücken-Burbach, wo er in der Ottstraße wohnt. Auf Initiative seines Sohnes Joachim vergibt die Stadt Saarbrücken seit 1997 jährlich den Hans-Bernhard-Schiff-Literaturpreis. Der Nachlass befindet sich im Literaturarchiv Saar-Lor-Lux-Elsass, darunter auch unveröffentlichte Skizzen als Fortsetzung seines autobiografischen Buches von 1995.

2018, im Jahr des 103. Geburtstages von Hans Bernhard Schiff, gibt sein Sohn Robert Joachim Schiff unter dem Titel „Hundertdrei“ eine Sammlung von Texten mehrerer saarländischer Autoren zu Leben und Werk seines Vaters heraus. Darunter ein Aufsatz von Hans Gerhard, der Recherchen zu Schiffs Aufenthalt in der Kommune Groß Breesen in Schlesien 1936/37 angestellt hat, einer landwirtschaftlichen Ausbildungsstätte für junge jüdische Auswanderwillige; eine Würdigung seines Vor-Vor-Vor-Vorgängers als Vorsitzender des saarländischen Schriftstellerverbands durch Klaus Behringer; sowie u.a. Erinnerungen des Sohnes an die unkonventionelle Persönlichkeit von Hans Bernhard Schiff. (RP)
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