Heinrich Leopold Wagner
geb. 19. Febr. 1747 in Straßburg, gest. 4. März 1779 in Frankfurt a.M.
Dichter des Sturm und Drang – einziges Gegenbeispiel dafür, dass in Saarbrücken im 18. Jahrhundert literarisch nichts los war.
„Kein Sturm und Drang in Saarbrücken“, überschreibt der Saarbrücker Germanist Gerhard Sauder einen Beitrag, der sich Heinrich Leopold Wagners Saarbrücker Episode widmet. Wagner hat in seiner Heimatstadt Straßburg Jura studiert, dabei die Bekanntschaft der literarisch ambitionierten Kommilitonen Johann Wolfgang Goethe und Jakob Michael Reinhold Lenz gemacht und selber einen (wegen der Zensur) ungedruckten Gedichtband geschrieben, als er im Frühjahr 1773 nach Saarbrücken kommt. Hier hat er eine Stelle als Hofmeister beim Regierungspräsidenten von Günderode bekommen, seine Aufgabe ist es, die beiden Söhne zu unterrichten; bald wird er darüber hinaus so etwas wie der Privatsekretär seines Arbeitgebers. Parallel arbeitet Wagner an seiner Schriftstellerkarriere. Aus der literarischen Diaspora in Saarbrücken heraus sucht er brieflichen Kontakt zu anderen Schriftstellern und ihren Projekten.
Wagner ist nicht servil genug, um sich am Hof des Fürsten Wilhelm Heinrich Freunde zu machen, selbst wenn er sich literarischer Huldigungsformen bedient. Die Schlussformel einer gereimten Fabel zum 5. Geburtstag des Prinzen Heinrich von Nassau-Saarbrücken gerät ihm so, dass ihr Charakter als Lobgedicht in Frage gestellt wird. Eine Romanze mit dem Titel „Phaeton“, dem Fürsten angeblich „in tiefster Erfurcht erzehlet“, wird als kritische Satire auf den Fürsten verstanden.
Eine von Wagner in aufklärerischer Absicht gegründete Lesegesellschaft geht schon nach wenigen Monaten ein. Auch von Günderode hat gegen Anfeindungen zu kämpfen. Wagner ist von Saarbrücken frustriert – und der Hof von ihm. Er und Günderode werden der Unterschlagung von Staatsgeldern beschuldigt, Wagner wird Ende Mai aus der Stadt vertrieben. Es ist ihm wohl gerade recht.
Literarisch ist die Zeit in Saarbrücken für ihn nicht verloren. Sauder: „Immerhin gehört Wagner zu den Autoren, die am schärfsten gesellschaftliche Missstände dargestellt haben. Sein Aufenthalt in Saarbrücken war für ihn in dieser Hinsicht eine vorzügliche Schule.“ Saarbrücker Erfahrungen sind wohl in seinen Roman „Leben und Tod Sebastian Silligs““ eingegangen, in dem die Anprangerung von Mätressenwirtschaft, Bauwut und Schuldenmacherei ziemlich eindeutig auf Saarbrücker Verhältnisse verweisen. „Die Vertreibung aus dem Territorium des Fürsten von Nassau-Saarbrücken darf als eine der wesentlichen Voraussetzungen für die Radikalisierung von Wagners literarischer Tätigkeit betrachtet werden.“ (Sauder)
Als Ludwig Harig aus dem Stoff der Vertreibung Wagners aus Saarbrücken ein 1981 von WDR und SR produziertes Hörspiel schreibt, bezieht er seine Informationen auch aus dem oben zitierten Aufsatz von Gerhard Sauder. Das „Deutsche Allgemeine Sonntagsblatt“ schreibt über „Ein Fest für den Rattenkönig“: „Von Pinschern, Ratten und Schmeißfliegen, geistigen Umweltverschmutzern und anderen rhetorischen Versatzstücken aus dem Wörterbuch des Unmenschen, die nicht nur Höflingen aus dem 18. Jahrhundert wie Rülpser über die Lippen kamen, ist die Rede. Diese würdelose Intellektuellenschelte montiert Harig mit einem über das ganze Spiel gestückelten Bittbrief Wagners an seinen Gönner; Lesungen aus Wagners Schriften werden frivole Rokoko-Lieder, arrangiert und vorgetragen von der Gruppe ‚Espe‘, zur Seite gestellt.“ Und Werner Klippert deutet Harigs Hörspiel dahingehend, dass hier „die Frage nach der dichterischen Existenz und ihrer Möglichkeiten unter dem Anspruch tonangebender Macht“ aufgeworfen wird. (RP)