geb. 22. April 1923 in Offenbach
Werner Klippert, ein Hesse, der seit den 1970er Jahren im Saarland lebt, ist ein anerkannter Hörspieltheoretiker und -praktiker, im Ruhestand ist er auch als Erzähler hervorgetreten.
Klippert studiert nach Krieg, Verwundung und Gefangenschaft in Frankfurt am Main Germanistik und Geschichte, schreibt gleichzeitig Theater- und Funkkritik und besucht eine Schauspielschule. Danach arbeitet er als Gymnasial- und Hochschullehrer. Ab 1965 ist er Hörspieldramaturg beim HR, dann Chefdramaturg beim NDR. Von 1970 bis 1986 leitet er die Abteilung Hörspiel beim SR und betätigt sich als Regisseur.
Zu Beginn der 1950er Jahre beginnt Klippert, bis dahin Theaterkritiker, Hörspielkritiken zu schreiben. Aus der theoretischen Beschäftigung mit diesem Medium entsteht 1977 das Reclam-Bändchen „Elemente des Hörspiels“, das mehrere Auflagen erlebt und zum Standardwerk der Radiotheorie wird. Der Saarbrücker PoCul-Verlag bringt das Buch, das seinerzeit vergriffen ist, 2012 wieder auf den Markt. Zuvor hat Klippert in einem Beitrag für eine von ihm herausgegebene Hörspielanthologie „die erste deutschsprachige Kurzhörspielästhetik“ entwickelt.
Im Ruhestand veröffentlicht Klippert autobiographische Erzählungen, deren einer Teil von seinen Kriegserlebnissen handelt, während andere sich kritisch mit seinen Erfahrungen als „Medienmensch“ beschäftigen.
Sein umfangreichstes Kriegsbuch ist „Drôle de Guerre“ (1994). Ludwig Harig schreibt dazu in seinem Vorwort: Werner Klippert „erzählt vom Scheißkrieg, der buchstäblich in der Scheiße endet, vom Sisiphus, der sich gesund frißt, um dann zu sterben, vom Stoßtrupp, der einen mit eigenen Leuten besetzten Bunker knackt. Welche Komik liegt im ‚Heimatschuß‘, welche Paradoxie spricht sich im ‚Himmelfahrtskommando‘ aus! Welch bittere Ironie verbirgt der ‚Gefrierfleischorden‘!“
Klippert, der ab 1933 das Gymnasium besucht hat, ist auch Verfasser eines autobiographischen Buchs über Schülerstreiche im „Dritten Reich“ („De Tschupp…“). „Die Lehrer, die wir hatten, waren, verglichen mit der heutigen Lehramtsgeneration, meist originellere Typen“, meint der ehemalige Lehrer, der glaubt, „dass derzeit auch die Schülerstreiche einfallsloser geworden sind“.
In „Also sprach der Organ-Utan“ versammelt Klippert den vollständigen Text seines titelgebenden Hörspiels, Teile seiner Hörspieltheorie, seines Kriegsbuchs „Drôle de Guerre“ sowie seines Buches über Schülerstreiche mit eigens für diese Publikation geschriebenen Passagen.
Dezidiert medienkritisch ist das Buch „CHEFS oder Das Medium bin ich“, eine Schlüsselerzählung, in der der Ich-Erzähler unter dem Namen Kern kaum verborgen ist, auch der Bezug zum Saarländischen Rundfunk ist eindeutig. Klippert beklagt dabei vor allem den Bedeutungsverlust des Hörspiels, das nach und nach an attraktiven Sendeplätzen und Produktionsmöglichkeiten verliert. „Was für ein Medium, dessen Herzstück, die einzige Kunstform, die es hervorgebracht hatte, so ins Abseits manövriert worden war, dass es gerade mal ein Nischendasein führte?“ (siehe auch HÖRSPIELE)
Mit „Schlehenschnaps“ hat Klippert einen Beitrag zur Gattung der regionalen Kriminalerzählung geliefert. Die Handlung spielt im saarländisch-lothringischen Grenzraum; in Großblittersdorf soll eine immense Müllverbrennungsanlage errichtet werden; plötzlich ist der dem Projekt kritisch gegenüberstehende Bürgermeister von Kleinblittersdorf verschwunden.
Kleinblittersdorf, genauer: Bliesgersweiler, ist auch der Wohnort von Klippert. In seinem verschlüsselt autobiographischen Buch „Chefs“ schildert er den Hauskauf. Es sollte eine Lage nicht allzu weit vom Saarbrücker Funkhaus sein. „Mit dem Hauskauf wollte Kern [Klipperts Alter Ego] seinen Entschluss bekräftigen, hier zu bleiben und seine Stellung zu befestigen.“ (RP) ZITAT
Zitat von Werner Klippert
Jetzt war jedes Wochenende mit Fahrten zu Häusern ausgefüllt, die angeboten wurden. Sie durften einen bescheidenen Kostenrahmen nicht überschreiten und sollten nicht allzu weit vom Funkhaus entfernt liegen. Mit dem Hauskauf wollte Kern seinen Entschluss bekräftigen, hier zu bleiben und seine Stellung zu verteidigen. Er wollte einen vitalen, kräftigen Boden unter die Füße bekommen, eine Stufe zum Wiederaufstieg.
Es dauerte über ein halbes Jahr, bis er etwas Passendes fand. […] Als sie das erste Mal den steilen, holprigen Weg hinauf gefahren waren, um Haus und Grundstück allseitig zu umschleichen, war ihnen etwas Merkwürdiges passiert, was ein Licht auf die Gegend warf, in der er wohnen wollte.
Schon immer hatte Kern sich gern, er nannte es Pionierland zum Wohnen ausgesucht. Häuser am Rande der Bebauung, feld- oder waldnah. Auch hier war es das letzte Haus am Hang, ein Feldweg führte das letzte Stück zu ihm hin. Wald auf der Seite des Gemeindewegs, hinter dem Haus ein Wiesenhang, der von hohen Kiefern mit ungewöhnlich großen und kräftigen Nadelbüscheln begrenzt wurde.
Zum Tal hin ostwärts und nach Norden waren Felder, Wiesen, von Busch- und Baumgruppen durchsetzt. Im Talgrund floss ein Flüsschen, nur zu erkennen an der dichten Baum- und Buschschlange, die vom Hintergrund her auf den Haushang zulief und dann nach Süden abbog. Den im Blickfeld liegenden Hügel zur einen Seite des Flüsschens hinauf blinkten meist weiße Häuser eines größeren Dorfes im Abendlicht. Auf der anderen Seite hielten sich Häuser eines Straßendorfs im Tal an die Schlange des Flüsschens angelehnt. Dort war Frankreich. Wenn man die Höhe hinter dem Haus über den Wald hinaus aufstieg, konnte man in einem weiten Rund ein idyllisches Tal mit Kirchtürmen als trigonometrische Anhalte fürs Auge und bergige Hügel als Ringwall überblicken.
Kern meinte, es ei der richtige Ausblick zur inneren Sammlung in Muße. Als er und seine Frau freilich zu ihrem Renault hinab kamen, der an der Einfahrt zum Haus geparkt stand, erwartete sie ein vierschrötiger Mann, der aufgebracht auf sie zuging und wissen wollte, was sie hier verloren hätten.
„Was gibt Ihnen das Recht, sich hier so aufzuspielen?“, fragte Kern gereizt.
„Mir gehört der Weg hier.“
„Ich muss ihn wohl benutzen“, bedauerte Kern ironisch.
„Aber rauf kommen Sie mir nicht mehr!“, knirschte der Kerl.
„Das wird sich nicht vermeiden lassen“, sagte Kern und stieg, um Streit zu vermeiden, hinter sein Steuerrad.
„Aber rauf kommen Sie mir nicht mehr!“, rief ihm der Grobian nach, als Kern schon abwärts lenkte.
Wirklich eine Pioniergegend mit robusten Typen, dachte Kern, vermutlich lauter Wirtschaftswunderlinge.
Bald erfuhr er, dass der Mann im Lotto ein Millionenvermögen gewonnen hatte und sich als Boss der Siedlung aufführte. Das störte die anderen aber nicht, die alle ebenfalls mittelständische Chefs waren. Sie lebten hier halb legal, denn ihre Häuser überschritten in aller Regel die Maße von Wochenendhäusern, die einzig hier genehmigt waren, und waren Dauerwohnsitze. Allerdings hatten sie auch Licht- und Wasserleitungen selbst gelegt und durch zureichende Sickergruben für die Abwässer gesorgt. Auf ihren Grundstücken fühlten sie sich wie Ritter auf ihren Burgen und pflegten Gewohnheiten von Feudalherren. Hunde verbellten jeden, der ihre Grenzen streifte, Wanderer kamen in dieser Erholungsgegend entnervt, zumindest verschüchtert in der Gartenwirtschaft an, die am unteren Ende des Weges lag. Es gab Pferde, Waffen, Schwimmbecken, und kein Grundstück war kleiner als zweitausend Quadratmeter, die meisten weit größer. Der Volksmund nannte den Hang den Millionenhügel.
Umso mehr sagte Kern der billige Kaufpreis zu. Für diesen Betrag hätte er in Frankfurt am Main nicht einmal eine Zwei-Zimmer-Eigentumswohnung erwerben können. Hunde würden ihn als Autofahrer nicht stören und Menschenströme und Diebsgesindel abhalten.
„Und die Kinder auf ihrem Schulweg?“, fragte seine Frau.
„Die Hunde werden sie bald kennen und still sein.“
„Du hast Nerven!“, sagte sie.
„Ich wollt ich hätte welche“, entgegnete er gut gelaunt.
Aus: Werner Klippert: CHEFS oder das Medium bin ich. Saarbrücken 2010 (mit freundlicher Genehmigung des Autors)
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