Heinz Helfgen
geb. 7. März 1910 in Friedrichsthal, gest. 28. Okt. 1990 in Völklingen
Heinz (Heinrich Johann) Helfgen war Reiseschriftsteller. Was die Auflage seiner Bücher und die Beachtung außerhalb des Literaturbetriebs angeht, war er der erfolgreichste saarländische Schriftsteller aller Zeiten.
Helfgens Name ist fest mit einem Buchtitel aus der Mitte der 1950er Jahre verbunden: „Ich radle um die Welt“. Darin schildert der Autor, wie er am 3. September 1951 mit nichts als 3,80 DM im Geldbeutel, einem Pass, einem geliehenen Fahrrad der Marke „Patria“ und einer vom einem Sportgeschäft gesponsorten Campingausrüstung von seinem damaligen Wohnort Düsseldorf aus aufbricht, um die Welt zu umrunden, und was er dabei erlebt hat. Da er spät aus der Kriegsgefangenschaft heimgekehrt sei, seien im Journalismus „die Stühle bereits besetzt“ gewesen. Er sei zu der Überzeugung gekommen, dass er in Kombination aller seiner Fähigkeiten, „besonders der athletischen, eine außergewöhnliche journalistische Leistung zu vollbringen hatte, die meine Pressekollegen zwingen würde, mich zu drucken“. Seine Reportagen wurden, noch während er unterwegs war, ein- bis zweimal pro Woche im Boulevardblatt „Abendpost“ abgedruckt, und zwar in 157 (!) Folgen, und sie wurden auch im Radio gesendet (→ Audio-Datei aus dem Archiv des Saarländischen Rundfunks). In Buchform erschienen sind sie 1954 und 1955 in zwei Bänden. Mit zusammen über einer halben Million verkaufter Exemplare werden die Reiseberichte zu Bestsellern.
Der Reiseschriftsteller Stefan Etzel erklärt Helfgens Erfolg so: „Seine Reise um die Erde in 800 Tagen traf in ihrer Mischung aus Karl-May-Romantik, journalistischem Spürsinn und sportlicher Glanzleistung den Zeitgeist aufs Haar.“ Helfgen sei „Deutschlands radelnder Auslandskorrespondent“ geworden, der mit seinen „Lehrstücken des Journalismus der vor-Fernseh-Ära“ den in der Nazizeit von Informationen abgeschnittenen Nachkriegsdeutschen das Fenster zur Welt aufgestoßen habe.
Helfgen berichtet immer wieder von der großen Wertschätzung für Waren Made in Germany und von der Sympathie, die ihm als Deutschem überall in der Welt entgegenschlägt. So berichtet er aus Jamaika: „Es ist immer wieder ein erhabenes und stolzes Gefühl, überall rund um den Erdball das hohe Ansehen Deutschlands unter den Völkern festzustellen. Ich habe die Welt bereits zu einem guten Teil vor der deutschen Niederlage gekannt und kann darum feststellen und behaupten: Der deutsche Name hat nicht gelitten.“ Von seiner Begegnung mit Ernest Hemingway auf Kuba überliefert Helfgen den Satz des weltberühmten Autors: „Ich freue mich, dass es mit Deutschland wieder aufwärts geht.“
Mitte der 60er Jahre ist der Hype vorbei, weiteren Reisebüchern von Helfgen ist kein großer Erfolg mehr beschieden. 1988 erscheint eine Neuausgabe des einstigen Bestsellers in einem Band. Den nachlassenden Erfolg der zurückliegenden zwei Jahrzehnte erklärt Heinz Helfgen damit, dass inzwischen eine neue Generation herangewachsen sei, bei der fast jeder ein Auto und einen Fernseher besitze und die das direkte, unvermittelte Erlebnis kaum noch interessiere. Für die zweite Hälfte der 80er Jahre aber diagnostiziert er „eine Wende“: „Die Menschen erkannten, dass sie die Bindung mit der Umwelt verloren hatten, dass die Vergangenheit für Körper und Geist bekömmlicher war als die vergiftete Umwelt der hochtechnisierten Gegenwart.“ Mit der „sogenannten Nostalgie“ sei auch das Interesse an seinen Reportagen wieder gewachsen. Den Anstoß zu der Neuausgabe gab Dr. Stefan Etzel, selber Reise- und Radjournalist, der ihn auch an seinem letzten Wohnort in Völklingen besuchte. Der Vorschuss des Verlages habe dafür gesorgt, „dass Helfgen seine beiden letzten Lebensjahre in längst vergessener finanzieller Sorglosigkeit verbringen konnte“.
Die Texte der Neuausgabe hat der Autor nach eigenen Angaben „von Grund auf“ neu geschrieben. Laut Einführung von Stefan Etzel handelt es sich dabei um Kürzungen von Passagen, die im historischen Abstand von geringerem Interesse geworden seien, und um Ergänzungen durch Episoden, die seinerzeit aus politischen oder persönlichen Rücksichten nicht hätten mitgeteilt werden dürfen, wie z.B. die Umstände von Helfgens Flucht aus Jugoslawien mit Hilfe der CIA.
Helfgen hat im hohen Alter – er erwähnt, dass er schon Urgroßvater ist – autobiographische Skizzen diktiert. Seine Witwe hat Kopien davon dem Verfasser dieses Beitrags 1991 in ihrem Haus in der Völklinger Heinestraße übergeben. Daraus lässt sich sein Leben bis ins Jahr 1939 genauer rekonstruieren. Da diese Erinnerungen bisher nirgendwo veröffentlicht sind, soll ihrem Inhalt hier breiterer Raum gegeben werden:
Mütter, schreibt Helfgen, habe er „mehrere“ gehabt. Die leibliche Mutter wurde 1918 „von einer Grippe-Epidemie dahingerafft“. Der Vater hat „ziemlich schnell nach der Beerdigung“ noch einmal geheiratet. Der 8-jährige Sohn „hasste die Frau“, in seine „Gefühlswelt war der Winter eingezogen“. Nach einer Aggression gegen die Stiefmutter kommt Heinz Helfgen von Breslau, wo sein Vater im Krieg stationiert ist, nach Püttlingen zu seiner „dritten Mutter“, seiner Tante Maria.. „Mein Vater lieferte mich ab – ohne viel Federlesen. So etwa wie der Briefträger einen Einschreibebrief.“ Püttlingen kennt er schon, „weil Mutter mit uns zwei Buben, als Vater 1914 in den Krieg zog, zwei Jahre dort verbrachte.“ Weil die katholisch-bigotte Tante „stets in höheren Regionen“ schwebt, ist die warmherzige Großmutter, die Mutter seiner Mutter, „die wirkliche Pflegemutter“.
Unter dem Einfluss seiner Tante wird Helfgen Ministrant im so genannten Köllertaler Dom, fühlt sich von Mystik angezogen. Als 12-jähriger belauscht er den philosophischen Zirkel im Haus der Tante, an dem auch der berühmte saarländische Philosoph Peter Wust teilnimmt. In der Unterhaltung der Erwachsenen fällt das Stichwort vom „Geist des Ganzen“, das zum Leitmotiv in Helfgens späten autobiographischen Erinnerungen wird.
Mit 16 verliebt er sich in die 13-jährige Kunigunde Wagner, seine spätere Frau. Als die Tante krank wird, muss er zurück in die Familie des Vaters und der Stiefmutter in der Neunkircher Schlossstraße. Heimlich wird er Spieler bei Borussia Neunkirchen. Die Stiefmutter kommt dahinter, verbrennt seine Fußballsachen,
Nun beginnt eine abenteuerliche Zeit. Der Junge flieht von zu Hause, mit 17 schreibt er sich in Paris bei der Fremdenlegion ein. Er kommt in eine Garnison in Nordafrika. Ein Brief aus der Heimat rührt ihn so sehr, dass er desertiert. Als blinder Passagier auf einem Frachtschiff gelangt er auf Umwegen zurück nach Deutschland. Bei seiner Ankunft in Hamburg wird er als französischer Spion verhaftet. Nach vier Tagen U-Haft wird er freigelassen, will nun aber nicht in Deutschland bleiben. Wieder schleicht er sich als blinder Passagier auf einem Schiff ein, kommt nach Brasilien, wird dort Novize bei den Redemtoristen.
Das Kloster schickt ihn zum Theologiestudium nach Kärnten ins Kloster Gurk. Verstand und Gefühl beginnen gegen die Kirchenlehre zu rebellieren, besonders die Sexualfeindlichkeit macht ihm zu schaffen. Er zieht die Kutte aus und fährt nach fast sieben Jahren Abwesenheit wieder zurück in die Heimat. Dort begegnet er seiner Jugendliebe Kunigunde wieder, die beiden heiraten gegen den Widerstrand der Familien. Er findet keinen Job. Da besinnt er sich darauf, dass er bei einer Besteigung des Watzmann Rudolf Hess, NSDAP-Größe und später Stellvertreter des Führers, kennengelernt und sich gut mit ihm verstanden hat. Darauf beruft er sich, tritt in die NSDAP ein, mit der er ideologisch in vielen Punkten übereinstimmt („Versailler Diktat“), und lässt sich von der Partei nach Rio de Janeiro schicken, um dort eine deutsch-brasilianische Zeitschrift zu gründen. Zunächst soll er dort aber herausfinden, welche Juden Kapital nach Brasilien transferiert haben. Der mittlerweile 23jährige werdende Vater kann in Rio gesellschaftlich nicht Fuß fassen, nach nur zwei Monaten kehrt er nach Deutschland zurück. Im Reich ist Hitler mittlerweile an der Macht. Helfgen wird vorgeworfen, dass er in Brasilien seinem Spitzelauftrag nicht nachgekommen ist, es kommt zum Zerwürfnis mit der Partei. Helfgen weicht ins Saarland aus, das noch unter Völkerbundmandat steht.
Doch das Saarland optiert am 13. Januar 1935 für den Anschluss an Hitler-Deutschland, und Helfgen flieht ohne seine Frau über Frankreich und die Schweiz nach Rom. Als die Regierung eine Amnestie für geflohene Saarländer ausspricht, kehrt er nach Deutschland zurück und wird von der Gestapo verhaftet. „Es dauerte Monate“, schreibt er, „bis es meiner hochschwangeren Frau gelang, in Dutzenden von Bittgängen bei den Nazifürsten mich wieder freizubekommen.“
Da er als politisch unzuverlässig gilt, findet er keine Arbeit. Bei Kriegsausbruch erfährt er, „dass viele meiner Freunde verhaftet und in Konzentrationslager gebracht wurden“. Ihn verschlägt es im Rahmen der ersten saarländischen Evakuierung nach Halberstadt. Um politischer Verfolgung zu entgehen, meldet er sich als Kriegsfreiwilliger. – Damit enden die uns vorliegenden autobiographische Erinnerungen.
Nicht erwähnt wird in den Erinnerungen das Studium der Politikwissenschaft in München ab 1930 und die Promotion zum Dr. rer. pol. im Jahr 1933. Das Thema der Doktorarbeit ist nicht bekannt, eine Promotion Helfgen ließ sich beim Universitätsarchiv München nicht ermitteln.
Der „Saarbrücker Zeitung“ berichtet Helfgen 1988 (Ausgabe Völklingen vom 21.7.88) von „483 Tagen Haft bei der Gestapo in München und Stuttgart, die er sich durch seinen offenen Widerstand gegen den Nationalsozialismus einhandelte“. Bis zum Zweiten Weltkrieg sei er als Journalist und Auslandskorrespondent tätig gewesen. 1990 sagt Helfgen der SZ-Journalistin Traudl Brenner, er sei in Berlin bei der Reichsrundfunkgesellschaft Chef vom Dienst gewesen und dann „spektakulär aus der Partei ausgetreten“ („SZ-Woche“ 5.-11. Mai 990).
Eine fragmentarische Homepage zu Heinz Helfgen, ursprünglich eingerichtet von einem Urenkel, findet sich unter https://web.archive.org/web/20151129180129/http://www.heinzhelfgen.de (RP)