Nikolaus Fox

geb. 31. Jan.1899 in Portz, gest. 14. Mai 1946 in Innsbruck

Nikolaus Fox könnte man beschreiben als „Hans Dampf“, vielleicht nicht in allen, aber doch in vielen Gassen: u. a. Lehrer, Volks- und Sprachkundler, Schriftsteller (Mundart und Schriftdeutsch), Heimatpfleger und Kulturpolitiker. In all diese Aktivitäten sind seine zahlreichen Veröffentlichungen einzuordnen, seien es Einzelpublikationen oder Beiträge in Anthologien, in Zeitungen und Zeitschriften – eine Mischung, die rein chronologisch kaum darzustellen ist. Zudem ist sein Bild überschattet von seinem Wirken in der NS-Zeit.

Verlorenes Idyll

Portz, das Dörfchen, in dem Nikolaus Fox 1899 geboren wird, gehört heute mit seinen rd. 140 Einwohnern als Ortsteil der Gemeinde Merzkirchen (860 Einwohner) zur Verbandsgemeinde Saarburg-Kell in Rheinland-Pfalz. Der Vater, Vorname ebenfalls Nikolaus, ist hier Lehrer, zur Selbstversorgung notwendig ist aber auch eine kleine Landwirtschaft. Aus diesem ausgeprägt ländlichen Umfeld zieht die Familie (zwei Töchter und drei Söhne, zwei weitere Kinder folgen später; dass es auch seit 1891 eine uneheliche Halbschwester gibt, die Schriftstellerin Maria Croon, wird erst viel später bekannt) schon 1902 nach Süden in den übernächsten Kreis Saarlouis; von den späteren trennenden Grenzen ahnt man noch nichts. Im noch selbstständigen Dorf Roden dominieren bei rund 5300 Einwohnern gänzlich andere Lebensverhältnisse, die Männer hier arbeiten überwiegend im Bergbau und in der Industrie. Dass die älteren Geschwister – womöglich lebenslang – ein idealisiertes Bild des verlorenen Heimatidylls pflegen, färbt sicher auch auf den beim Umzug erst dreijährigen Nikolaus ab. Es scheint naheliegend, dass dies sein Interesse an den später so intensiv verfolgten volkskundlichen und heimatpflegerischen Tätigkeiten begünstigt.

Die Volksschule in Roden, an der der Vater eine Klasse mit 60 Kindern unterrichtet, besucht Fox von 1905 bis 1909. Im Anschluss besucht er in Saarlouis das Humanistische Knabengymnasium (heute Gymnasium am Stadtgarten) bis zum Abitur 1917.

War schon zu Friedenszeiten der Schulalltag vaterländisch-monarchistisch ausgelegt, wird dies im Ersten Weltkrieg noch sehr viel deutlicher betont. Leitbild ist eher Unterwerfung unter die bestehenden Machtverhältnisse als durch eigene Einsicht begründete Mündigkeit. Eine politische Zäsur bahnt sich 1918 an mit dem Einmarsch der Franzosen, der Versailler Friedensvertrag errichtet eine Grenze um das Saargebiet, das nach französischen Interessen neu geschaffene Territorium.

Nikolaus Fox studiert zu dieser Zeit bereits an reichsdeutschen Universitäten, zunächst Bonn, dann Köln, mit den Schwerpunkten Germanistik und Geschichtswissenschaft, ergänzend Latein, Französisch, Altnordisch, Philosophie sowie später auch Theater- und Zeitungswesen. Die Promotion zum Dr. phil. folgt bereits 1922, Thema der Dissertation ist die Mundart seines Heimatortes Roden.

Spätestens hier ist belegt, dass der nun 23-jährige bereits zum Volkskundler und Heimatforscher geworden ist. Längst hat er damit begonnen, die im Volk erzählten Sagen und Märchen zu sammeln und im heimatlichen Umland auch das zu dieser Zeit noch vielfach lebendige Brauchtum zu erforschen.

Erfolgreicher Mundartdichter

Auch seine literarische Arbeit nimmt nun ihren Anfang. Von seinen erstaunlicherweise insgesamt nur fünf Mundartgedichten liegen 1922 schon drei vor: „Mei Mammen“ (seiner Mutter gewidmet) sowie „Dat alt Haus” und „Mondnaat”, die im Dillinger Anzeiger gedruckt werden. Zu dieser Zeit gehört er übergangsweise auch der Redaktion dieses Blattes an.

Große Breitenwirkung erreicht der nun 25-jährige 1924 mit seinem ersten Theaterstück „De Kurwel: ein Lustspiel in drei Aufzügen; Mundart des Ortes Roden (Saarlouis 2)“. Kurwel ist der Korb, in dem der fertige Brotteig zum Aufgehen steht, bevor er in den Backofen eingeschossen wird. Der ersten Auflage, bei Ney in Fraulautern erschienen, folgt 1927, nun als Volksschwank bezeichnet, bei Hausen in Saarlouis die zweite. Als „De Brotkorwel“ überträgt Viktor Jantzer den Text ins Pfälzische (1933), Hans Högl 1938 ins Altbayrische als „‘s Bachkerbl“.

Fox bearbeitet schon fast Vergessenes aus dem heimatlichen Umfeld: „Aus dem Leben des Nikolaus Driesch – Nach s. schriftl. Nachlass bearbeitet“ (1933), „Der Erzlügner Michel Tonton – Altsaarlouiser Lügengeschichten“ (1934) sowie „Johann Peter Jager und seine ‚Burleske Beschreibung von Saarlouis‘” (1935). Weitere Werke dieser Jahre sind „Gimpelstedt – Skizzen aus dem Revolutionsjahr 1848“ (Buchveröffentlichung 1937 unter anderem Titel) oder „Das Fünfgroschenstück“ (1938). Erwähnt sei auch, dass Nikolaus Fox in der bei Hofer 1933 erschienenen Anthologie „Unser scheen frehlich Saar““ mit (dem nicht aus dem „Saargebiet“ stammenden) Ernst Thrasolt das Moselfränkische vertritt.

Seine letzten beiden zu Lebzeiten veröffentlichten Werke sind „Volksmärchen – in den Landschaften der Westmark aufgezeichnet“ (1941) sowie „Märchen und Tiergeschichten – in den Landschaften der Westmark aufgezeichnet“ (1942).

Der Volkskundler

Nikolaus Fox beschränkt sich nicht auf Unterhaltendes. Eine gänzlich andere Richtung hat er eingeschlagen mit seinem 1927 erschienen Hauptwerk: In der Reihe „Volkskunde rheinischer Landschaften“ (nach Eifel, Pfalz und Hunsrück) beim Fritz Klopp Verlag GmbH in Bonn steht nun auch seine „Saarländische Volkskunde“. In der Regel wird sie bis heute als wohl wichtigstes seiner Werke angesehen, zumindest ist sie sein umfangreichstes. Die Aufgabe der Volkskunde besteht für ihn „in der Ergründung der Grundkräfte im Volkskörper, d. h. in der Ergründung der Volksseele“. Basismaterial bieten ihm dazu „Mythen, Sagen, Märchen, Lieder, Sitten und Bräuche, Volksglaube, Volksitte (Volksbrauch), Volkssprache und -dichtung, Siedlung, Gemeinschaft und Individuum und ihr Weltbild in ihrer geschichtlichen Entwicklung“. Ausdrücklich beschränkt er sich dabei nicht auf das in Versailles geschaffene Gebiet, denn das sieht er als „modernes Kondominium, dem Völkerbund unterstellt und der Willkür mittelbar preisgegeben“.

Für dieses Werk widmet ihm Ewald Reinhard immerhin einen kurzen Satz in seiner etwa zu gleicher Zeit erscheinenden „Literaturgeschichte des Saargebietes“.

Politische Betätigung

Dass Fox die Abtrennung des Saargebietes und die von Frankreich dominierte Herrschaft des Völkerbunds strikt ablehnt, verbindet ihn mit fast allen, die hier daheim sind, unabhängig von ihrer politischen Orientierung zwischen rechts und links. Die Heimatliebe ist bei Fox gefärbt von offen bekanntem deutschnationalem Patriotismus. Seine im engeren Sinn politische Betätigung beginnt spätestens mit dem Eintritt in die nationalliberale Deutsch-Saarländische Volkspartei 1930, von der er 1933 zur NSDAP wechselt. Im gleichen Jahr geht die DSVP auf Betreiben ihres Vorsitzenden Hermann Röchling wie u. a. auch vorläufig die NSDAP in der Deutschen Front auf. Fox hat sich mittlerweile als „Kreisredner“ qualifiziert.

Gemeinsam mit Carl Roderich Richter (1885–1965, evangelischer Pfarrer in Saarlouis 1920–1955) veröffentlicht Fox 1934 die Streitschrift „Saarlouis und Frankreich. Eine Auseinandersetzung mit den angeblich historischen Ansprüchen Frankreichs auf Saarlouis“. Sie wird erwidert vom Lothringer Pierre-Emile Kiffer: „Offener Brief an Herrn Nikolaus Fox, Doktor und Studienrat in Dillingen (Saar), womöglich auch schon in Saarlouis“ (Metz 1934). Hierauf antwortet wiederum Fox unter dem Titel „Die Mundart der Stadt Saarlouis“. Richter steuert zum Volkskalender „Der Bote von der Saar“ 1935 einen knapp dreiseitigen Artikel zum Thema bei.

Dieses publizistische Scharmützel, so kann man annehmen, wird schon geführt mit Blick auf die Saarabstimmung am 13.01.1935, die als eine Option die „Vereinigung mit Frankreich“ nennt. Das Abstimmungsergebnis mit über 90% für Deutschland bringt die Rückgliederung ans Deutsche Reich am 1. März.

Im August wird Fox Mitglied des Nationalsozialistischen Lehrerbundes, denn in der Zwischenzeit hat er seinen eigentlich gewählten Berufsweg als Lehrer fortgesetzt: Nach bestandenem ersten Staatsexamen 1925 war er eingesetzt in Neunkirchen, Saarbrücken, Merzig und Homburg. Nach dem zweiten Staatsexamen 1928 geht er ans Lyzeum Dillingen, bis 1934 als Assessor, dann bis 1939 als Studienrat.

Im Mai 1937 ist er  aus der Katholischen Kirche ausgetreten. Im August wird er zum Kreiskulturwart der NSDAP für den Kreis Saarlouis ernannt.

Im Krieg

Im Rahmen der Evakuierung zu Beginn des Zweiten Weltkrieges wird Fox im September 1939 als Lehrer in Kassel abgestellt. Die Rückführung der geräumten Zone beginnt ein Jahr später. Zur Organisation der Wiederaufnahme des Schulbetriebs wird Fox im August zurückbeordert. Er wird Schulleiter der städtischen Oberschule für Mädchen (seit 1978 Robert-Schuman-Gymnasium) in „Saarlautern“ (Saarlouis) und 1941 Oberstudiendirektor. Dass seine politischen Aktivitäten die Laufbahn begünstigt haben, ist nicht unwahrscheinlich.

Erst im September 1944, acht Monate vor Kriegsende, wird er zur Wehrmacht eingezogen. Ab jetzt geben von der Familie bewahrte Briefe und sein Kriegstagebuch Auskunft über das weitere Geschehen. Demnach macht er sich Sorgen nicht nur um die Familie, sondern auch um seine schriftstellerischen Arbeiten, die im Luftschutzraum gesichert werden sollen. Der Einsatz in Norwegen beginnt im Süden mit der Ausbildung, dann geht es im Polargebiet in das Umland von Narvik. Von Kampfhandlungen berichtet er nicht. Er hoffe aber, dass die Ardennenoffensive die Heimat entlastet, und vertraue auf den Endsieg, an dem gemessen persönliche Sorgen nicht zählten.

Inwieweit die einschlägigen Notizen seine innere Überzeugung wiedergeben, ist schwer einzuschätzen. Er vermerkt, dass er für seinen Sold Bücher kauft, u. a. eine norwegische Ausgabe der Edda, und dass er nordische Märchen übersetzt und erklärt. Daneben gibt es kritische Anmerkungen zum Barras-Alltag und unfähigen Vorgesetzten.

Schwere Erkrankung

Spätestens Mitte März wird deutlich, dass seine schwere Erkrankung ihren Anfang genommen hat, mit ein Grund zu selbstkritischen Gedanken. Im Rückblick erkennt er beschämt, „dass wir manchen Menschen nicht hinreichend gewürdigt oder sogar verkannt haben, dass wir manchem Unwürdigen unsere Zeit und unseren Umgang schenkten, dass wir manch gute Tat übersahen und manch gutes Wort überhört haben.“ Und: „[…] ich ruhe fest in meinem Glauben an Gott, an seine Güte und seine Gerechtigkeit. Die Lüge ist das Übel und es gibt nur eine Erlösung, das ist die Erlösung von dem Übel. Die Lüge ist mannigfaltig. Die sittliche Erneuerung eines Volkes kann nur von der Redlichkeit und der Wahrhaftigkeit aus begonnen werden.“

Das Kriegsende erlebt er in Narvik. Er hat begriffen, wie es jetzt in der zerstörten Heimat aussieht. Ob er das Böse sieht, das auch in seinem Namen zuvor anderen zugefügt wurde, ist nicht zu ersehen. „Das große Unglück wird manchen zur Besinnung bringen und ihn zu einer ernsteren und sittlicheren Auffassung des Lebens führen.“ Und schließlich: „Ein vermiedener Krieg ist mehr wert als ein gewonnener. Wer schreibt das Buch über die Staatsmänner, die den Krieg vermieden?“

Als Kriegsgefangener im berüchtigten Lager Bretzenheim bei Bad Kreuznach („Feld des Jammers“) auch deutschen Lagerpolizisten ausgeliefert, gehört er zu denen, die wochenlang unter freiem Himmel in Wind und Regen ausharren müssen. Das macht die letzten Chancen auf Genesung zunichte, trotz der Verlegung in die Universitätsklinik Innsbruck, wo er seine letzten Monate verbringt. Seine Hoffnung auf Heimkehr und Wiederaufnahme eines bürgerlichen Lebens erfüllt sich nicht; er stirbt am 14.05.1946 und wird auf dem Friedhof in Innsbruck-Pradl beerdigt.

Zögernde Rezeption

Nikolaus Fox samt seinem Werk wird in der Nachkriegszeit oft zunächst eher distanziert wahrgenommen. Zwar veröffentlicht die in Stuttgart erscheinende „Zeitschrift für Volkskunde“ 1953 in ihrem Heft. Nr. 50 eine späte, recht positive, mit Blick auf zahlreiche Forschungsdetails wohl an Fachleute gerichtete Rezension seiner 1942 veröffentlichten „Märchen und Tiergeschichten – In den Landschaften der Westmark aufgezeichnet“, doch dürfte das ein Zufallstreffer sein.

Erst um 1955 legt der Hausen Verlag fünf Mundart-Schwänke neu auf:De Kurwel“, „De Kenddäf“sowie drei Stücke nach Hans Sachs, nämlich „De topig Fra’u, oder Der fahrende Gesell aus dem Paradeis“, „Der Kouhdipp“ sowie „Der tote Mann“. Von Laienbühnen werden diese Stücke bis in unsere Tage noch immer gern aufgeführt.

Ob es die Umwälzungen im Zusammenhang mit der Rückgliederung des Saarlandes 1957 und der vorangegangenen Abstimmung 1955 sind, die zu einer veränderten Wahrnehmung führen, bleibt Spekulation.

Allerdings bringt der in neuer Form entstandene Saarländische Rundfunk schon am 03.06.1957 als Hörspiel unter der Regie von Viktor Lenz „De Kurwel“, der authentischen Sprache halber aufgeführt durch die Laienspielschar Fraulautern-Roden.

Im Band „Das Saarland“ (1958) berichtet Wilhelm Heinrich Recktenwald von drei fast komplett geretteten Manuskripten der von Fox gesammelten und übersetzten unbekannten Märchen (Island, Dänemark, Norwegen, Färöer), deren Druck an der kriegsbedingten Papiersperre scheiterte, zwei Volksstücken, „Familie Hahnemann“ und „Herr Knipprath“ sowie dem unvollendeten Roman „Die große Flut“.

In der 1964 erschienen Anthologie „Mei Geheichnis“ ist Fox mit vier seiner fünf Mundartgedichte vertreten. Erst 1979 folgt der unveränderte Nachdruck seiner „Saarländischen Volkskunde“.

Die hierzulande verfügbaren Fakten beruhen größtenteils auf Informationen, die Stefan Schwall, u. a. im Kontakt mit der Familie, zusammengetragen und, oft auch in Zusammenarbeit mit dem Rodener Geschichtskreis, öffentlich verfügbar gemacht hat. Besonders erwähnt sei sein Auszug aus dem Kriegstagebuch in der „Saarbrücker Zeitung“ vom 16.06.2001. Erst die von ihm gemeinsam mit Guido König 1995 herausgegebene Sammlung „Der Weinesel – von Käuzen, Schelmen und klugen Frauenzimmern!“ hat große Teile von Fox‘ Werk nach einem halben Jahrhundert wieder zugänglich gemacht.

Wie es scheint, hängt Fox seine Nazi-Vergangenheit, insbesondere als Kulturwart für den Kreis Saarlouis, besonders lange nach und überschattet das Positive, das er geleistet hat. Während schwerer Belastete aus der Entnazifizierung als Mitläufer oder gar unbelastet hervorgingen, war Fox durch seine schwere Erkrankung daran gehindert, wie andere in der Heimat seine Rehabilitierung zu betreiben.

Peter Eckert