Maria Croon
Geb. 13. Mai 1891 als Maria Brittnacher in Meurich, heute Ortsteil von Kirf, Rheinland-Pfalz; gest. 23. März 1983 im Losheimer Ortsteil Britten, Kreis Merzig-Wadern. Bestattet auf dem Gemeindefriedhof in Meurich.
„Die Erinnerung ist ein Paradies, aus dem uns niemand vertreiben kann“, schrieb sie gerne in ihre Bücher, wenn sie ihr zum Signieren gereicht wurden. Und für den Bau eines neuen Eigenheims empfahl sie, unbedingt das „Stille Fenster“ einzuplanen. Damit ist der Sinn und Zweck, den die Schriftstellerin Maria Croon ihrem Werk selbst gegeben hat, klar umrissen: Bewahren und Erinnern. In ihren zahlreichen Werken – Kurzgeschichten, Erzählungen, Theaterstücken für die Laienbühne, Gedichten – bewahrte sie das Leben der Bauern auf dem moselfränkischen Saargau in der Zeit, die man in den 1950er Jahren des 20. Jahrhunderts noch die “gute alte” nannte. Eine Welt, die noch von katholischer Frömmigkeit und den Sitten und Bräuchen des vor-industriellen 19. Jahrhunderts bestimmt war. Eine Welt, deren Lebensrhythmus von der Natur bestimmt wurde und in der die Menschen auch größere Entfernungen selbstverständlich zu Fuß zurücklegten. Eine nur vordergründig idyllische, im Inneren eine harte Welt, die gnadenlos vereinnahmte und ausgrenzte, was sich nicht anpassen ließ. Eine Welt ohne Strom, Zentralheizung und fließendes Wasser, und draußen vor der Haustür mit Boom und Elend der Industrialisierung in den Kohle-und Stahlrevieren saaraufwärts.
Maria Croon gehörte wie Gustav Regler (1898–1963) und Matthias Enzweiler (1900–1987) noch der Generation an, die zwei Weltkriege im Erwachsenenalter miterlebte. Als geborene Maria Brittnacher wuchs sie im Kreis Saarburg, heute Rheinland-Pfalz, in dem Bauerndorf Meurich bei ihren Großeltern mütterlicherseits auf. Ihre Mutter, die Bauerntochter Katharina Brittnacher, war eines von acht Kindern; nach Marias Geburt zog sie ins saarländische Völklingen und heiratete einen Hüttenarbeiter. Die kleine Maria Brittnacher blieb bei den Großeltern, die einen großen Bauernhof bewirtschafteten. Sie musste von klein an mithelfen bei den Arbeiten, die auf dem Hof anfielen. Aber beim Viehhüten konnte sie auch gut ihren Gedanken nachgehen, Mensch und Tier beobachten, alles in sich aufnehmen, was die Umwelt an Wahrnehmungen bot. Sie konnte für sich sein und las alles, was sie in die Finger bekam, Triviales und Hochgestochenes, religiös Erbauendes, Heiligenlegenden, Romanzen und Anspruchsvolleres aus der Borromäus-Bücherei.
Acht Jahre lang besuchte Maria Brittnacher die Dorfschule in Kirf, in die sie zu Fuß ging, jeden Tag eine halbe Stunde hin und wieder zurück. In der Schule fiel bald auf, dass das Mädchen schnell lernte und sprachlich den anderen Kindern voraus war. In diesem bäuerlichen Milieu fehlte das Geld für “Extratouren”, weshalb es meist von der Aufmerksamkeit und dem Urteilsvermögen einer Lehrperson oder des Pfarrers abhing, ob die Bauernkinder nach der Volksschule weiter lernen durften bis zum Lehrer- oder Priesterberuf, oder ob sie gleich in den Ernst des Lebens entlassen wurden. Maria Brittnacher erhielt eine Empfehlung für die Präparandie, die Vorschule zum Lehrerinnenseminar in Saarburg. 1905 bestand sie die Aufnahmeprüfung, mit Schwierigkeiten nur im Fach Musik; dem heiklen Vorsingen weiß sich die Vierzehnjährige aber mit Hilfe der Heiligen Cäcilia zu entziehen. Die Anekdote dazu ist in Maria Croons letztem Buch, „Heielei Hett“, nachzulesen.
Zu Ostern 1908 begann Maria Brittnacher ihr Studium am Königlichen Katholischen Lehrerinnenseminar zu Saarburg. 1911 erhielt sie dort das „Zeugnis der Befähigung als Volksschullehrerin“. Im gleichen Jahr hatte die 19jährige ihre erste Erzählung gedruckt vor sich liegen: Eine Liebesgeschichte mit dem Titel „Künstlerschicksal“. Das Bistumsblatt „Paulinus“ zahlte der jungen Autorin neun Mark Honorar dafür.
Über Vertretungen als Schulamtsbewerberin im Landkreis Saarlouis – in Hüttersdorf (1911), Fraulautern (1911) und Schmelz-Außen (1911 – 1913) – erhielt Maria Brittnacher ihre erste Anstellung ab April 1913 an der Volksschule in Hüttersdorf. Nach bestandener Zweiter Staatsprüfung Anfang 1914 wurde die Anstellung endgültig. Der berufliche Wechsel in den Landkreis Saarlouis versetzte Maria Brittnacher in ein völlig anderes soziales Milieu. Die Menschen in der Gegend von Schmelz waren Industriearbeiter und Nebenerwerbsbauern, die in den Hütten und Gruben des Saar-Reviers ihren Lebensunterhalt verdienten. Die strapaziösen Wanderwege der „Hartfüßer“ zu ihren Arbeitsplätzen werden heute als Erbe der Industriekultur gepflegt.
In Hüttersdorf unterrichtete auch ein gewisser Nikolaus Croon (1884–1944). Maria Brittnacher und er verliebten sich ineinander, aber die 1914 beschlossene Hochzeit verhinderte zunächst der Beginn des Ersten Weltkriegs; Nikolaus Croon wurde Soldat. Erst während eines Fronturlaubes 1918 konnten die beiden sich trauen lassen. Zum Jahresende 1918 gab Maria Croon ihren Beruf auf – in einem Lebenslauf schrieb sie später: „wegen Verheiratung ausgeschieden“. Nach dem Krieg kehrte Nikolaus Croon auf seine Lehrerstelle zurück, und Maria wurde Hausfrau und Mutter. Zwei Kinder kamen (Helmut Werner, 1919, und Maria Isolde, 1922). In Primsweiler fand sich eine Lehrer-Dienstwohnung mit Garten, in der die junge Familie sich ausbreiten konnte. Und hier fand Maria Croon die Zeit und den Raum, sich als Schriftstellerin zu entfalten. Ihr erstes Buch, das 1931 erschien, schilderte das Leben an der sogenannten Heimatfront des Ersten Weltkrieges: „Und wir daheim – ein Kriegsbuch der Frauen und Mütter“.
Von ihrer Heimat auf dem Saargau war Maria Croon ab 1920 durch die im Versailler Vertrag geschaffene Saargebiets-Grenze getrennt. 1933 zogen die Croons nach Merzig; hier kam im gleichen Jahr der jüngste Sohn Winfried Aloysius zur Welt. Das Haus der Familie in der Merchinger Straße steht noch heute.
Nur wenige Jahre später griff ein neuer Weltkrieg ins Leben der Croons ein. In der ersten Evakuierung des deutsch-französischen Grenzgebietes längs der Saar 1939 verschlug es die Eheleute nach Niedersachsen. Das Leben in den “Bergungsgebieten” mit den zur Aufnahme von Flüchtlingen dienstverpflichteten und daher nicht immer gastfreundlichen Einheimischen war für die meisten evakuierten Saarländer und Saarländerinnen eine schlimme Erfahrung. Maria Croon machte aus ihren Erlebnissen in der Evakuierung zahlreiche Geschichten und Anekdoten.
Als ihr ältester Sohn an der “Ostfront” in der Sowjetunion vermisst gemeldet wurde, stellte sie Nachforschungen an, womit sie die Aufmerksamkeit der Gestapo auf sich zog; sie wurde überwacht und auf die Dienststelle am Schlossplatz 15 in Saarbrücken einbestellt. Auch dieses Erlebnis verarbeitete sie in ihren Erzählungen. Im Mai 1941 kehrte Maria Croon in den Schuldienst zurück und unterrichtete bis zu ihrem Ausscheiden aus dem Dienst in Merzig im Schulhaus in der Kaiserstraße, später Hochwaldstraße. Hier war schon Gustav Regler ABC-Schütze gewesen. Das Schulhaus ist bis heute äußerlich kaum verändert. Es beherbergt die Stadtbibliothek Merzig.
In der zweiten Evakuierung im Dezember 1944 suchten die Croons in Hüttersdorf bei Verwandten Zuflucht; der Ort lag nicht in der geräumten “Roten Zone”. Einen Tag vor Silvester 1944 kehrte Nikolaus Croon von einem seiner Fußmärsche ins Merziger Haus nicht mehr zurück. Er hatte Winterkleidung holen wollen und wurde auf der Straße in Merchingen von einer amerikanischen Artilleriegranate getötet. Maria Croon flüchtete mit ihrem jüngsten Sohn weiter nach Thalexweiler, wo sie den Einmarsch der Amerikaner erlebten. Dann war der Krieg zu Ende; Tochter Maria Isolde, die zur Flak eingezogen war, kam nach Hause, und 1949 auch der im Osten vermisste Sohn Helmut. Nun erwies es sich als Glücksfall, dass Maria Croon den Schuldienst wieder aufgenommen hatte, denn sie war nun die alleinige Ernährerin der Familie. 1951 zog sie sich, die nun sechzig Jahre alt war, aus dem Berufsleben zurück. Und legte mit dem Schreiben erst richtig los.
Mit Werken der kleinen Form in Zeitungen, Heimatblättern und im Bergmannskalender ist Maria Croon bekannt und populär geworden. Ihre einzigen Romane, die das Leben ihrer Heldinnen und Helden über einen längeren Zeitraum hinweg erzählen, schrieb sie erst im Ruhestand. Es sind zugleich ihre bedeutendsten Werke. Den ersten Roman, „Das Werk einer Magd“, veröffentlichte sie 1954. Die Geschichte einer ebenso stolzen wie sturen Bäuerin, die, unverheiratet, den Sohn ihrer verstorbenen Schwester großzieht und ihr ganzes Leben darauf ausrichtet, für ihn einen Acker zurückzukaufen, damit er ein tüchtiger, freier Bauer werden kann. Eine starke, harte Frau, die Schwäche ignoriert, ohne Rücksicht auf eigene Bedürfnisse stur ihr Ziel verfolgt und gerade darin ihre Erfüllung findet.
Im zweiten Roman, „Die köstliche Mühsal“, erzählt Maria Croon das Leben der Bäuerin Susanne Reinhard auf dem Saargau von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis etwa Mitte des 20. Jahrhunderts. Hier ist es der Wunsch, dass ihr jüngster Sohn Peter Priester werde, der die Heldin umtreibt und kein Opfer scheuen lässt. In dieser Susanne Reinhard, ihren Kindern und Kindeskindern verdichtet Maria Croon literarisch das Leben ihrer Großmutter, ihrer Mutter und ebenso ihr eigenes. Die Literaturkritik hat der Autorin bescheinigt, ein „konventionelles Frauenbild“ mit Verzicht und Selbstaufopferung als Leittugenden zu transportieren. Frauengestalten wie die Magd oder Susanne lässt Maria Croon jedoch im Leben so gut allein zurechtkommen, dass Männer bis zur Entbehrlichkeit schrumpfen.
Bemerkenswert ist „Die köstliche Mühsal“ ungeachtet des für heutige Begriffe schnulzigen Titels nicht zuletzt, weil die Autorin hier trotz allem Pathos eindringlich die NS-Zeit auf dem Dorf schildert. Darunter auch die Pogromnacht im November 1938, als brauner Pöbel Susanne Reinhards jüdische Nachbarn aus ihrem Haus wirft und misshandelt.
Maria Croon war unehelich geboren. In der Familie gilt als ihr leiblicher Vater ein Großbauer aus Kirf, bei dem Katharina Brittnacher arbeitete, „wohl als Erzieherin für die Kinder, nachdem die Frau des Bauern gestorben war.“ Dies teilt ein Enkel Maria Croons, Michael Croon, im März 2023 in einer E-Mail mit. Maria Croon selbst gab in einem Lebenslauf am 1. Februar 1946 als ihren Erzeuger Nikolaus Fox an. Nicht den gleichnamigen Germanisten und Autor volkskundlicher Bücher und Aufsätze aus Saarlouis-Roden, denn der war acht Jahre nach ihr geboren und somit ihr Halbbruder, sondern dessen Vater. Der Senior Nikolaus Fox war Volksschullehrer in Portz bei Saarburg. Er soll ein Original gewesen sein, oder besser: ein Bohémien und Geschichtenerzähler. Eine Geschichte fast wie von Maria Croon.
Von 1960 bis zu ihrem Tode 1983 lebte die Schriftstellerin in Britten, heute Ortsteil von Losheim am See. Zunächst in einem Haus mit der schönen Adresse “Am Vogelflug” (heute Seniorenheim); da konnte sie vom Schlafzimmer aus weit über die Hügel, Felder und Wälder der Umgebung schauen. Die letzten dreizehn Jahre wohnte sie in einem Haus in der Saarstraße. Rosemarie Ewerhardy, die Ehefrau des Vermieters, war Anfang Vierzig, als Maria Croon vorzugsweise auf dem Balkon ihr letztes Buch „Heielei Hett“ in die Maschine tippte. Das Klappern erfüllte das ganze Haus. Rosemarie Ewerhardy erinnert sich auch sonst sehr liebevoll an ihre prominente Mieterin. Maria Croon sei im Ort sehr beliebt gewesen und sei immer abgeholt worden, damit sie bei den Aufführungen ihrer Theaterstücke dabei sein konnte. Das erfolgreichste, „Den drejdejen Pätter“, wurde zu ihrem 90. Geburtstag in Merzig noch einmal auf die Bühne gebracht.
Immer aber blieb das Dorf ihrer Kindheit, Meurich, Maria Croons Sehnsuchtsort. Dort hat sie sich auch begraben lassen. Ihren Namen tragen heute: ein im Saarland verliehener Preis für Personen und Institutionen, die sich um die Pflege und Förderung des “Heimatgedankens” verdient machen (ab 1984), ein Kulturwanderweg von Meurich nach Orscholz (seit 1987); und ein Fahrgastschiff, das auf der Saarschleife die Wellen pflügt (seit 1989). (IP) ZITAT