Sarrebourg

Von Fénétrage folgen wir der Saar weiter flussaufwärts in südlicher Richtung nach Sarrebourg (dt. Saarburg; ca. 13.000 Einw.), einer Gemeinde mit langer Geschichte: Im „Musée du pays de Sarrebourg“ (13 Rue de la Paix) erinnern Ausgrabungen an die römischen Ursprünge der Ortschaft, an das Mittelalter, als sie zum Bistum Metz gehörte, und an die Neuzeit, als sie an das Herzogtum Lothringen und schließlich an Frankreich fiel. Doch diese Zugehörigkeit blieb weiter umstritten. Im 30jährigen Krieg wurde Sarrebourg völlig zerstört, im Ersten Weltkrieg fand vor ihren Toren die „Schlacht von Saarburg“ statt (20.08.1914), an der auch zwei Dichter teilnahmen:

Nathan Katz (1892-1981) war ein jüdischer Elsässer aus dem Sundgau. Am 20. August 1914 traf ihn bei Sarrebourg eine Kugel in den rechten Arm. Nach einem Krankenhaus-Aufenthalt in Tübingen und Freiburg im Breisgau wurde er wie viele Elsässer an die Ostfront versetzt, wo er in russische Kriegsgefangenschaft geriet. Im Juni 19115 verfasste er im Lager von Sergatsch einen ersten Gedichtband in hochdeutscher Sprache: Das Galgenstüblein. Ein Kampf um die Lebensfreude (gedruckt 1920). Bekannt wurde er in der Zwischenkriegszeit mit seinen in jiddisch-elsässischer Mundart verfassten Gedichten, Theaterstücken und Novellen. In seinen Gschichte üs em Sundgäu kommt er auch auf seine Erlebnisse im Sommer 1914 zu sprechen: ZITAT

Der zweite Dichter war der expressionistische Lyriker Alfred Lichtenstein (1889-1914). Zwar ging er unverletzt aus der Schlacht hervor, fiel aber wenige Wochen später im Alter von nur 25 Jahren bei Vermandovillers. Kurz zuvor hatte er das Gedicht Die Schlacht bei Saarburg verfasst. Es ist der verzweifelte Versuch, das erlebte Grauen in Worte zu fassen und dennoch einen Rest von Haltung zu wahren: ZITAT

Chagalls Lebensbaum

Saarburgs kriegerischer Vergangenheit stellte Marc Chagall (1887-1985) ein Kunstwerk gegenüber, das ganz dem Frieden gewidmet ist: 1970 war der Chor der ehemaligen Franziskanerkirche (Chapelle des Cordeliers) aus dem 13. Jahrhundert abgerissen worden, um Platz für eine Straßenerweiterung zu schaffen. Um die nun offene Westflanke der Kirche wieder zu schließen, schuf Chagall in den Jahren 1974-76 ein 12 Meter hohes Glasfenster, das zu seinen Hauptwerken zählt. 1978 kamen die Seitenfenster und 1991-92 die der Apsis hinzu, so dass der Raum heute ein einzigartiges Gesamtkunstwerk bildet. Vier im Schiff aufgestellte Kuben geben Erläuterungen zu Chagalls Leben und Werk. Im benachbarten Garten kann der Besucher über Kopfhörer Chagalls Stimme und der seiner Freunde lauschen, die Gedichte des Künstlers rezitieren. Im Museum können zudem Teppiche bewundert werden, die nach Motiven Chagalls gewebt wurden.

Neben seiner Arbeit als bildender Künstler war Chagall auch als Buchautor tätig. Er schrieb Gedichte und eine Autobiographie, die er 1921 auf Russisch verfasste. Auch seine Frau Bella war schriftstellerisch tätig. Allerdings verfasste sie ihre Romane und Erinnerungsbücher in der Sprache ihrer Kindheit, auf Jiddisch. Angesichts dieser engen Bindung an die Literatur ist es nicht verwunderlich, dass Chagall auch zahlreiche Bücher illustrierte, am häufigsten die Bibel. Auch in der Kirche von Sarrebourg variiert er biblische Motive.
Das Hauptfenster trägt den Namen La Paix ou l´arbre de la vie. Vor einem blauen Hintergrund zeigt es einen rot leuchtenden Lebensbaum, der aus einer Stadt (Sarrebourg?) heraus als ein Symbol des Friedens in den Himmel wächst. Im Zentrum umarmen sich Adam und Eva, Symbol einer letztlich göttlichen Liebe, die auch den Hass unter den Völkern zu überwinden vermag. Um den Baum herum sind Gestalten und Symbole aus dem Alten und Neuen Testament angeordnet: Der Prophet Jesaja, Moses mit den Gesetzestafeln, ein siebenarmiger Leuchter (Menora), Abraham mit den drei Engeln, König David und Szenen aus dem Leben Jesus´. Kurz vor seinem Tod sagte Chagall dazu: „Das Glasfenster versinnbildlicht die transparente Trennwand zwischen meinem Herz und dem der Welt“. Doch der tiefere Sinn dieser Aussage erschließt sich erst auf Französisch: „Le cœur“ bezeichnet zugleich das menschliche Herz und den Chor einer Kirche.