Krummes Elsass

Hinter Weidesheim fließt die Saar ein Stück über elsässisches Gebiet. Es handelt sich dabei um den westlichen Ausläufer des Krummen Elsass (frz. Alsace Bossue; els. ’s Gromme), das wie ein Wurmfortsatz über den Vogesenkamm nach Westen ragt. Ursprünglich war das Gebiet weder elsässisch noch lothringisch, sondern gehörte großteils zu den beiden protestantischen Grafschaften Saarwerden (einer Exklave des Fürstentums von Nassau-Saarbrücken) bzw. Lützelstein (einer Exklave der Pfalz). Erst 1793 wurden diese Gebiete Frankreich angegliedert und wegen des evangelischen Glaubens der meisten Bewohner nicht dem lothringischen Département de la Moselle, sondern dem elsässischen Département du Bas-Rhin zugeschlagen. Wer mit dem Auto unterwegs ist, wechselt hier von der lothringischen D33 auf die elsässische D38 Richtung Herbitzheim.

Bei Sarralbe (dt. Saaralben; ca. 4.500 Einw.) wird die Saar für einen kurzen Moment wieder lothringisch. Der Ort wurde 718 unter dem Namen „Alba“ (lat. weiß) erstmals erwähnt, gehörte im Mittelalter zum Bistum Metz und fiel im 16. Jahrhundert an das Herzogtum Lothringen. Während des 30jährigen Krieges sollen die Einwohner die Glocke der Dreifaltigkeitskirche (Eglise de la Trinité) im Wald vergraben und nach dem Waffenstillstand nicht wieder gefunden haben. Doch ein Wildschwein soll sie freigescharrt und ein Pferd zurück auf den Albener Berg gezogen haben. Ein altes Kinderlied erinnert daran:

Ding, dang, do dan,
Die Bergerglock ischt ingergang.
S´ Wildsau hat se raus gewihlt,
S´ Wildperd hat se furtgeführt.
Ding, dang, do dan,
Ding, dong, dong.

Über die D1061 verlassen wir den Ort in südlicher Richtung und folgen der Saar auf nun wieder elsässischem Boden in die nach ihr benannte Ortschaft Sarre-Union (dt. Saarunion; ca. 3.000 Einw.). Sie entstand 1794 aus der Vereinigung der beiden älteren Gemeinden Bouquenum (dt. Bockenheim) und Ville-Neuve (dt. Neu-Saarwerden), die ihren Eigencharakter bis heute bewahrt haben.

Im mittelalterlich geprägten Ortsteil Bouquenum steht das „Haus mit den Totenköpfen“ (1 Rue du passage), das in den Fensterstürzen jeweils einen steinernen Menschenkopf zeigt. Einst befand sich hier das Bürgermeisteramt, später eine Mädchenschule. Während des Unterrichts soll den Schülerinnen einmal eine unheimliche Gestalt mit einem kahlen Totenschädel erschienen sein, woraufhin diese schreiend ins Freie liefen. Danach wagte lange niemand mehr, das Haus zu betreten. Später sollen zur Erinnerung daran besagte Köpfe am Haus angebracht worden sein.

In der erst 1708 gegründeten Ville-Neuve befindet sich die Maison Morel, die auch als „Lachmännchen-Haus“ bekannt ist (Ecke Rue du Magasin / Rue de Verdun). Einst lebte hier der Steuereintreiber der Grafen von Nassau-Saarbrücken, der ein Meister der schwarzen Magie gewesen sein soll. Selbst nach seiner eigenen Beerdigung erschien er den Bewohnern dieses Ortes noch mehrmals, um sie über den Tod hinaus weiter zu ärgern und auszulachen. Erst nach zweimaliger Umbettung soll seine Seele endlich Ruhe gefunden haben, doch ganz sicher ist man sich dessen bis heute nicht.

Friedrich Schillers Verwechslung

Südlich von Sarre-Union liegt Sarrewerden (dt. Saarwerden; ca. 900 Einw.), ehemals Sitz der gleichnamigen Grafschaft. Liebhaber der Weimarer Klassik können hier an Friedrich Schiller (1759-1805) denken, der in seiner 31-strophigen Ballade Der Gang nach dem Eisenhammer (1797) die Geschichte einer „Gräfin von Savern“ erzählt. Da es jedoch nie einen Grafen oder eine Gräfin von Saverne gegeben hat, ist anzunehmen, dass der Dichter die beiden elsässischen Orte Saverne (dt. Zabern) und Sarrewerden verwechselt hat, zumal er beide nicht kannte. Die Ballade beginnt folgendermaßen: ZITAT

Kunigondes nicht nur mütterlichen Gefühle für Fridolin machen den Jäger Robert eifersüchtig, der Fridolin daraufhin beim Grafen der verbotenen Liebe anklagt. Dieser will ihn dafür in das Feuer eines Schmiedeofens werfen lassen, doch infolge einer schicksalhaften Verwechslung kommt darin nicht Fridolin, sondern der Verräter Robert um.

Südlich von Sarrewerden liegen sieben Dörfer, die während des Bauernkrieges aufgegeben und im 16. Jahrhundert mit calvinistischen Glaubensflüchtlingen (sog. Hugenotten) neu besiedelt wurden. Die meisten stammten aus dem französischsprachigen Lothringen, weshalb man von den „welschen“ (französischsprachigen) Dörfern im Krummen Elsass spricht. In den übrigen Gemeinden der Gegend dominiert dagegen ein rheinfränkischer Dialekt. Für den Schriftsteller Friedrich Lienhard (1865-1929) war dies der schönste Winkel seiner elsässischen Heimat, wohl auch deshalb, weil er hier als pubertierender Jüngling einer geheimnisvollen „Waldfrau“ begegnete. Jahrzehntelang schmachtete und dichtete er sie aus der Ferne an, bis er sie im bereits fortgeschrittenen Alter von 50 Jahren schließlich doch noch heiratete. Das Dorf Bust (dt. Büst), wo er sie zum ersten Mal sah, stilisierte er folgerichtig zu einer paradiesischen Landschaft: ZITAT