Alfred Petto

geb. 12. Dez. 1902 in Saarbrücken, gest. 30. Januar 1962 in Homburg (Uniklinik)

Alfred Petto war nach dem Zweiten Weltkrieg einer der führenden Autoren im Saarland; im Laufe der 50er Jahre versuchte er mit moderneren Inhalten und Formen, sich von seinem Image als Heimatdichters zu befreien.

Alfred Petto wächst in Saarbrücken auf als Sohn eines kleinen Eisenbahners. Nachdem er am Ludwigsgymnasium das Abitur gemacht hat, erlaubt der Vater ihm nicht, ein Studium zu beginnen. Alfred Petto tritt in den Justizdienst ein und wird Rechtspfleger; in den letzten Jahrzehnten ist er am Amtsgericht Saarbrücken mit Vormundschaftsangelegenheiten befasst.

Im Zweiten Weltkrieg ist er ab 1943 als Soldat in Italien eingesetzt. 1944 gerät er in amerikanische Kriegsgefangenschaft.

Obwohl er schon zur Zeit des Nationalsozialismus einiges publiziert hat, hat Alfred Petto im Staat von Johannes Hoffmann offensichtlich keine Probleme. Als wäre er nicht längst ein beschriebenes Blatt, taucht der 46jährige 1948 in einem Sammelband „Junge saarländische Erzähler“ auf – zusammen mit den 20 Jahre jüngeren Autorenkollegen Heinz Dieckmann und Werner Meiser.

Das Saarbergmannskind

Soldat in ItalienSeinen ersten Roman schreibt Alfred Petto mit 16 Jahren; „was genau in ihm stand, weiß der Dichter heute selbst nicht mehr“, heißt es 1951 („Die Kulturgemeinde“ 1951, Heft 4, S. 78). 1934 erscheint „Das Saarbergmannskind“, Untertitel „Bildnis einer Jugend“, mit Zeichnungen des Saarbrücker Künstlers Fritz Zolnhofer. Der Erzähler behauptet, darin die Erlebnisse seines Nachbarn Peter Hunsicker aufgeschrieben zu haben, eines Bergmanns, der heroisch seine harte Arbeit geleistet hat. Es ist kein naturalistischer Report aus der Arbeitswelt; in romantischer Tradition mit märchenhaftem Erzählton wird versucht, den Beruf des Bergmanns ins Mythische zu erhöhen; Ort und Zeit der Handlung bleiben im Dunkeln, nur der Titel der Erzählung gibt den Hinweis aufs Saarrevier. Der alte Bergmann ist dem Gesetz gefolgt, „dass es den Männern dieser Erde aufgetragen sei, das kostbare Gut im Keller ihrer Heimat [die Kohle] zu heben und zu hüten. Und: dass dieses Gesetz wohl ein hartes und unerbittliches und dennoch ein lebenswertes und menschenwürdiges sei, darin der Mensch sich bewähre und erfülle.“ Petto bringt dieses Buch noch vor der Rückgliederung des Saargebiets in einem Verlag des Deutschen Reichs heraus, nämlich im Ludwigshafener Westmark-Verlag. Die 2. Auflage erscheint 1940 in Zusammenarbeit mit der Deutschen Arbeitsfront N.S. Gemeinschaft „Kraft durch Freude“. Eine weitere Ausgabe wird zu „Kriegsweihnachten 1941“ vom Saarbrücker Verkehrsamt „unseren Saarbrücker Soldaten überreicht“, 1943 erscheint eine Feldpostausgabe.

1936 wird zum ersten Mal ein Roman von Alfred Petto verlegt, „Das verborgene Leben“. Die Geschichte einer jungen Frau, die ein uneheliches Kind erwartet und sich trotz aller Anfechtungen entschließt, es zur Welt zu bringen, wird von manchen als Sakralisierung der Mutterschaft gedeutet, als „Sinngedicht des ewig Mütterlichen“. Man könnte den Roman auch anders lesen: Dann wäre die uneheliche Mutterschaft nur ein Beispiel für eine bestimmte existenzielle Situation. „Wie ist das doch“, heißt es an einer Stelle, „daß keiner uns helfen kann, daß wir allein und einsam sind unter denen, die das nämliche Herz in sich tragen und dieselben Worte sprechen?“

Die grauen Berge

Für den Erzählungsband „Die grauen Berge“ (1939) hat der Saarbrücker Literaturwissenschaftler Günter Scholdt dem Autor einen Persilschein ausgestellt: Neben konformer Heimaterhöhung gebe es „immerhin Abweichungen von der herrschenden Ideologie – etwa in der verständnisvollen Schilderung von Desertionswünschen der Soldaten gegen Ende des Ersten Weltkriegs.“ Und zu einer anderen Erzählung des gleichen Bandes heißt es: „Wo das Überschreiten der Grenze auch nur bis nach Lothringen offenbar bereits ein gewisses Gruseln hervorruft […], finden militärische Raubzüge oder Annexion fremder Länder sicher keine literarische Legitimierung.“

Die meisten Erzählungen dieses Bandes spielen in der bäuerlichen Welt des Hochwaldes, aus dem Pettos Mutter stammt. In „Dorf der Mutter“ schreibt er: „Nicht nur damals, nein, ich gäbe auch jetzt, während ich dies schreibe, vieles darum, im Dorf der Mutter zu sein, im Herzen jenes magischen Leibes Heimat, aus dem wir kommen und in den wir wieder einströmen, früh oder spät.“

„Der Ruf aus der Kammer“ wird 1941 als Fortsetzungsroman in der „Saarbrücker Zeitung“ gedruckt. 1943 erscheint „Kornelius im Frauenwald“, ein Ehe-Roman mit der Tendenz, dass das Leben des Einzelnen seinen Sinn findet in der Kette der Generationen. Zweimal tritt Alfred Petto in jenen Jahren als Herausgeber auf, 1941 mit der Anthologie „Westmärkische Heimat“ (Verlags-Vorwort: „Der Plan zu diesem Büchlein ist erwachsen aus dem oftmals geäußerten Wunsch unserer Soldaten nach einer geistigen Kost, die heimisch schmeckt.“), die u.a. Texte von Maria Croon und Johannes Kirschweng enthält; und 1943 mit einem Band voll betulicher, harmloser Schwänke unter dem Titel „Der Spaßvogel“.

Alfred Petto ist also seit Mitte der 1930er Jahre auf dem literarischen Markt recht präsent. Seine Literatur ist zwar frei von Bekenntnissen zum Nationalsozialismus, war den Machthabern offenbar aber willkommen. Man kann vermuten, dass es das Bekenntnis zur Heimat und die Tendenzen zur anti-individualistischen Schicksalsergebenheit waren, die ins Konzept passten.

Und die Erde gibt das Brot

Seite aus seiner Veröffentlichungsliste

Nach dem Krieg gilt Alfred Petto unter der Regierung des als Antifaschist ausgewiesenen Johannes Hoffmann offenbar nicht als diskreditiert, er kann nach seiner Rückkehr aus der Kriegsgefangenschaft sofort wieder veröffentlichen und erarbeitet sich eine prominente Stellung im saarländischen Literaturbetrieb. Er ist in jener Zeit der saarländische Heimatdichter par excellence. Ein Notizheft, in dem Petto über seine Veröffentlichungen Buch geführt hat, nennt zwischen 1947 und seinem Tod 1962 nicht weniger als 883 Titel (mitgezählt auch Veröffentlichungen eines Textes in mehreren Medien). Darunter sind Erzählungen in Zeitungen (hauptsächlich in der „Saarbrücker Zeitung“, aber auch in überregionalen Medien wie „Frankfurter Allgemeine“ oder „Christ und Welt“) sowie Funkerzählungen und Hörspiele, in der Regel geschrieben für Radio Saarbrücken, wo er auch Sendungen mit Beiträgen anderer Autoren betreut. Als Nachfolger von Johannes Kirschweng kommt er wöchentlich in der Sendereihe „Von Mensch zu Mensch“ zu Wort. Und als Nachfolger von Hans Bernhard Schiff wird Petto 1956 Präsident des Saarländischen Autorenverbandes. Im saarländischen Schullesebuch der 50er Jahre, „Schau ins Land“, ist Alfred Petto mit drei Erzählungen aus der Welt des Bergbaus vertreten. Eine tiefe Enttäuschung stellt für ihn 1960 die Vergabe des Saarländischen Kunstpreises an Gustav Regler dar, nachdem Petto öffentlich als Kandidat gehandelt worden ist.

Sein Roman „Bis ich wiederkomme“ erscheint 1951 in Fortsetzungen in der „Staats-Zeitung und Herold“, einem in New York verlegten Blatt für Deutschamerikaner; es ist die dritte Fassung eines unter dem Titel „Haus ohne Dach“ zum ersten Mal 1942 bearbeiteten, nicht veröffentlichten Stoffes. Im gleichen Jahr kommt in Saarbrücken der Roman „Und die Erde gibt das Brot“ heraus (Vorabdruck unter dem Titel „Das lockende Feuer“ in der „Saarländischen Volkszeitung“, dem Parteiorgan von Johannes Hoffmanns CVP). Wieder ist es die Geschichte eines alten Bergmanns, Jakob, der immer sehr fleißig war und nebenher eine Landwirtschaft betreibt, damit zu bescheidenem Wohlstand kommt, Grundstücke erwirbt, dem aber die Kinder, besonders der Sohn Emil, nicht so geraten, wie er es sich vorgestellt hat. Der Roman spiegelt einen Epochenumbruch zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Implizit enthält er Kritik am Materialismus des Ich-Erzählers und seinem Glauben, alle müssten ihr Leben so einrichten wie er. Als Ort des Geschehens wird das Dorf Lampenest (mit einem n) genannt, das nicht gleichzusetzen ist mit dem Grubendorf Lampennest, heute Ortsteil von Saarbrücken-Riegelsberg; der Name des Dorfes, schreibt der Autor, spiele “lediglich eine versinnbildlichende Rolle für das, was der Verfasser darzustellen versucht.“

Im Nachwort zu „Und die Erde gibt das Brot“ beruft W. H. Recktenwald sich auf den Leser, „der seit je und in fast jeder Zeile Pettos die ruhige geistige Ordnung schätzt, das heimfeste Maß“; „das Heimatliche“ und „das Mütterliche“ seien “die beiden wesentlichen Erlebnisgründe seines Schaffens”. Wiederholt fühlen Kritiker sich bei Alfred Petto an Adalbert Stifters „sanftes Gesetz“ erinnert.

An der Saar zu Haus

Ist „Und die Erde gibt das Brot“ noch, worauf schon der Titel hindeutet, in Stil und Inhalt den Texten aus der Vorkriegszeit ähnlich, so ist danach deutlich die Tendenz zu aktuelleren, auch kontroversen Themen und einer moderneren Schreibweise zu erkennen. So ist der Roman „Sie nahmen ihn nicht auf“ (1955), „eine Auseinandersetzung mit dem provinziellen Rassismus der Nachkriegszeit“ (Scholdt). In „Das Jahr der Versuchung“ (1962, als Fortsetzungsroman in der „Saarbrücker Zeitung“ 1961) und „Der zerbrochene Spiegel“ (postum 1963) sowie in dem Erzählungsband „Wenn der Regen fällt“ greift Alfred Petto Gegenwartsthemen auf, denen er als Rechtspfleger am Vormundschaftsgericht begegnet. Sein Stil wird knapper, realistischer, möglicherweise beeinflusst von amerikanischen Erzählern.

Erstaunlich lange hält sich „An der Saar zu Haus“ mit Schwarz-weiß-Fotografien des Saarbrücker Fotografen Fritz Mittelstaedt auf dem Markt. Der Bildband ist eine Liebeserklärung an die Heimat, trotz der „unreinen, rußgeschwängerten, feuchten Luft“ und der „schmutzigen Wasser der Saar“. ZITAT


Das Buch erscheint zuerst 1954, also noch zur Zeit von Johannes Hoffmanns halbautonomem Saarstaat, erfährt aber bald nach dem Anschluss an die Bundesrepublik unveränderte Neuauflagen; in den Auflagen aus den 60er Jahren, schon nach Alfred Pettos Tod, wird der Bildteil teilweise verändert, nicht der Text; in den 70er Jahren erfährt das Buch im Zeichen des neuerwachten Regionalismus noch einmal eine Renaissance. Schon im Epilog zu „An der Saar zu Haus“ heißt es, nun sei es genug des Rühmens und Preisens der Heimat, der Autor wolle „den Blick wieder ins Entferntere, ins Allgemeinere der Menschen“ wenden.

Die Mädchen auf der Piazza

BuchcoverDer Roman „Die Mädchen auf der Piazza“ von 1958 bildet den Höhepunkt von Pettos Romanschaffen. Günter Scholdt gibt ihn 2003 in der Reihe „Bücherturm“ („moderne Klassiker der Region“) neu heraus, zusammen mit Auszügen aus Pettos Kriegstagebuch. Der Roman erzählt auf autobiographischer Grundlage die Geschichte eines durchschnittlichen Deutschen, der versucht, seine Kriegserlebnisse in Italien zu verarbeiten. Im Zweiten Weltkrieg ist der Familienvater in einer kleinen Stadt in den Abruzzen stationiert gewesen und hatte dort eine Liebesbeziehung mit einer jungen Italienerin. In der Gefangenschaft hat er einen Magazinbericht gesehen über die Demütigungen, denen italienische Frauen nach dem Krieg ausgesetzt waren, die sich mit Deutschen eingelassen hatten. Von seinem schlechten Gewissen getrieben, begibt er sich auf die Suche nach seiner damaligen Geliebten. In konzentrischen Kreisen lässt der Erzähler ihn sich der Frau nähern. Dazwischen lernen wir ihn als einen zwar schwachen, aber doch von Reue getriebenen Menschen kennen. Günter Scholdt: „In diesem unsentimentalen Liebesroman verarbeitete Petto seine Kriegsjahre in Italien in ehrlichem Bemühen kritischer Selbstprüfung. Es handelt sich um einen in vielen Partien anrührenden Text, der auch heute noch standhält.“

2015 kommt es noch einmal zur Neuveröffentlichung eines Textes von Alfred Petto, in der Anthologie „Stimmen aus dem Saarstaat“ werden auf rund 100 Seiten Auszüge aus dem „Tagebuch eines Rechtspflegers“ veröffentlicht.

Persönliche Erinnerungen an seinen Onkel Alfred hält Rainer Petto in seinem autobiographischen Buch „Ein Kind der fünfziger Jahre“ (1985; S. 67-70) fest.

In Saarbrücken-Malstatt geboren, wohnt Alfred Petto seit seiner Heirat mit Klara Reinert in Herrensohr und in Dudweiler; aus der Ehe gehen ein Sohn und zwei Töchter hervor. Anfang der 50er Jahre zieht die Familie nach Saarbrücken.

In Bexbach gibt es eine Alfred-Petto-Straße, ohne biographischen Bezug.

Alfred Petto Nachlass wird im Literaturarchiv Saar-Lor-Lux-Elsass aufbewahrt. (RP)