Der Hauptmann – sein Denkmal

Das Grab, an dem gelacht werden darf

Foto: Stadt Luxemburg

Wenn sich die „Jungfern im Hemd“ zeigten, vulgo die ersten Schneeglöckchen blühten, erschien er auch und spazierte in grauem Armeemantel, die Soldatenmütze auf dem Kopf, durch den „Verluerekascht“. Der Name, „Verlorenkost“ auf Hochdeutsch, passte irgendwie zu ihm. Er bedeutet verlorener Aufwand, die Bastion über der Pulvermühle war der verlorene Posten im verzweigten Verteidigungs- system der Festung Luxemburg.

Der Spaziergänger war kein Luxemburger Militär, aber die alten Luxemburger kannten ihn wohl. Als „Hauptmann von Köpenick“, auf dessen Possenstreich in Uniform – er verhaftete den Bürgermeister und beschlagnahmte die Stadtkasse – das ganze Köpenicker Rathaus hereingefallen war, hatte der Schuster Wilhelm Voigt das Gelächter der ganzen Welt provoziert. Selbst „Wilhelm Zwo“, der Kaiser, soll gelacht haben, er begnadigte jedenfalls den unter Zubilligung mildernder Umstände zu vier Jahren Gefängnis verurtelten Voigt bereits nach 20 Monaten.

Der Entlassene nahm seine Chance wahr, er verstand sich auf die Kunst der Selbstvermarktung, und präsentierte sich in der Rolle seines (zweiten) Lebens der Welt. Zunächst per Phonograph: der „Hauptmann“ auf Schallplatte, die Stimme ein wenig schnarrend, für zwei Minuten und 58 Sekunden (und 200 Mark Gage) verewigt. Dann – 1908 bis 1910 – auf Tournee, durch Deutschland, die großen Städte Europas, in Gasthaussälen Postkarten mit seinem Konterfei signierend, Auftritte in Varietés, Amerika schließlich. New York, Boston, Philadelphia: die Landsleute empfingen ihn jubelnd in ihren Klubs. Die erwiesen sich bald als zu klein, also wählte er ein größeres Forum und trat im Zirkus auf, bei Barnum & Bailay: der Hauptmann von Köpenick als Zugnummer wie Buffalo Bill in der Show der Konkurrenz. Auf die Dauer hielt’s den „Hauptmann“ allerdings nicht in der Neuen Welt, er kehrte zurück in die alte, hatte aber keinen deutschen Pass mehr. Luxemburg nahm ihn auf.

Wilhelm Voigt als Hauptmann von Köpenick

Am 30. April 1910 mietete er sich in der Hauptstadt ein, in Verlorenkost in der rue du Fort Neipperg, bei den Blums. Er richtete sich eine kleine Schusterwerkstatt ein und arbeitete daneben im Garten. Der wurde der schönste des ganzen Viertels und brachte auch sonst die Dinge ins Schickliche: Madame Blum heiratete ihren Gärtner.

Anfang August 1914 erlebten sie den Einmarsch der deutschen Truppen, und die Feldgendarmerie verhaftete Voigt prompt, seines alten Mantels wegen, wegen „unerlaubten Tragens einer Uniform“, setzte ihn bald aber wieder auf freien Fuß. Ende November 1918 machte er sich nach Berlin auf, um einen deutschen Pass zu bekommen, aber schon in Koblenz holte man ihn aus dem Zug und verfrachtete ihn zurück. Fortan war er ein gebrochener Mann. Am 3. Januar 1922 starb Wilhelm Voigt.

Die Armenkasse musste für sein Begräbnis auf dem Liebfrauenfriedhof aufkommen, für einen Grabstein reichte es nicht. Bevor das Grab gänzlich in Vergessenheit geriet, kauften 1961 Mitglieder des Zirkus Sarrasani, in dessen Manege der „Hauptmann von Köpenick“ gern gastiert hatte, die Grabkonzession für 15 Jahre und ließen eine Gedenk- tafel anbringen. 1975 sorgten Abgeordnete des Europäischen Parlaments mit vielen anderen für die Verlängerung des Grabrechts, die Stadt Luxemburg übernahm die Pflege. Ein neuer Stein wurde gesetzt. Der geriet mit seinen Hauptmann-Reminiszenzen, mit den kantigen Zügen unter der Pickelhaube, zwar ein bisschen arg „preisisch“. Bewirkte aber auch, dass auf einem „Luxemburger Friedhof“, wie es seinerzeit in einem Streiflicht der Süddeutschen Zeitung hieß, „Deutschlands einzige „Nationale Gedenkstätte“ entstand, an der offen gelacht werden darf.“