Karl May-Weg

Von Peter M. Kruchten (Text und Fotos)

Forsthaus am Sulzbacher Weg, Neuweiler

Forsthaus am Sulzbacher Weg, Neuweiler

Was die Prärien Nordamerikas, die Wüsten Arabiens und die Wälder des Saarlands gemeinsam haben? Nun, eins in jedem Fall: ER war weder hier noch dort, der Autor von so vielen Abenteuer-, Reise- oder Jugendromanen, der Sachse Karl May. So heißt es jedenfalls. Und wie so vieles, was über ihn gesagt wird, ist es nur teilweise richtig.

Ein Karl May-Buch: das ist ein Begriff. Generationen deutscher Kinder sind mit Old Shatterhand und Winnetou, Kara Ben Nemsi und Hadschi Halef Omar aufgewachsen und haben von den Prärien und Wüsten geträumt, die May mit viel Phantasie und wenig selbst erworbener Sachkenntnis beschrieben hat. Und das Saarland? Tatsächlich finden Ortsnamen wie Saarbrücken, Neunkirchen, Merzig oder Mettlach kurz Erwähnung in Mays eher wenig bekanntem, vierbändigem Werk „Die Liebe des Ulanen“. Mehr aber nicht. Und wie gesagt: ER war nie vor Ort gewesen im Saarland. Trotzdem stößt man bei einem Spaziergang zwischen Schnappach, Spiesen und Sankt Ingbert, zwischen Neuweiler und Dudweiler, auf einen „Karl May-Wanderweg“.

Karte mit Streckenverlauf (rot = Sulzbach-Friedrichstaler Schleife, grün = Dudweiler Schleife)

Karte mit Streckenverlauf (rot = Sulzbach-Friedrichstaler Schleife, grün = Dudweiler Schleife)

Um 2009 hatte Hubert Dörrenbächer, damals Förster im Sulzbachtal, die Idee dazu. In seiner Freizeit und mit finanzieller Hilfe der beiden für den Tourismus zuständigen Verbände „Naherholungsgebiet Ruhbachtal“ und „Brennender Berg“ konzipierte der Karl May-Enthusiast das Wegenetz, verband bestehende, ausgebaute Wege mit schmalen Pfaden und schuf eine abwechslungsreiche Route durch unterschiedliche Landschaftsformen. „Wir wechseln hier in diesem ganzen Gebiet zweimal zwischen Buntsandstein und Karbon. Karbon heißt: da staut sich das Wasser, da kann es also auch mal nass und schmierig werden.“ Dafür entschädigen diese Feuchtgebiete aber gerade im Frühsommer mit prächtigen Blütenteppichen.

Am Philosophenweg („grüne Schleife“)

Am Philosophenweg („grüne Schleife“)

Als Förster begegnete Dörrenbächer am Brennenden Berg auch zwei prominenten Spaziergängern: Ludwig Harig und Eugen Helmlé. Die beiden wohnten in Sulzbach bzw. Neuweiler und trafen sich zu gemeinsamen Wanderungen gerne hier am Schlangenweg. Da es in der näheren Umgebung nicht weniger als drei Waldwege dieses Namens gab, beschlossen Dörrenbächer, Helmlé und Harig, „ihren“ Weg umzutaufen – in Philosophenweg. Eine Info-Tafel, auf der aus Harigs Buch „Wer mit den Wölfen heult, wird Wolf“ (München, 1996) zitiert wird, belegt, dass die Strecke zwischen Forsthaus Neuweiler und Brennendem Berg diesen Namen ganz offiziell trägt. Und dass sie Teil des Karl May-Wanderwegs ist.

An rund vierzig Tafeln kommt man vorbei, wenn man die beiden dreizehn und acht Kilometer langen Schleifen (rote bzw. grüne Markierung) des Wanderwegs erkundet. Denn es geht nicht nur um das Naturerlebnis, Dörrenbächer wollte auch über Person und Werk Karl Mays informieren. Angesichts der vielen, widersprüchlichen Aussagen, die über May kolportiert werden, ein verständliches Anliegen, zumal bei einem Verehrer des großen Erzählers.

Der 1842 als Carl Friedrich May im sächsischen Ernstthal geborene Autor ist eine der schillerndsten Persönlichkeiten der (Trivial-)Literaturgeschichte. Seine Selbstinszenierung kann nur atemberaubend genannt werden und bringt ihm schon zu Lebzeiten neben Ruhm und Wohlstand permanente Konflikte mit Kollegen und Obrigkeit ein. Er muss sich als Hochstapler verantworten, schmückt sich mit einem Doktortitel, ohne je promoviert zu haben, behauptet zeitweise sogar, er selbst sei der berühmte Old Shatterhand und Kara Ben Nemsi seiner Reiseerzählungen. Tatsache ist, sowohl der Orient-Zyklus als auch die Winnetou-Romane (1892/93) erschienen Jahre vor Mays erster Reise in den Vorderen Orient (1899/1900) und seiner einzigen, sechswöchigen Nordamerikareise (1908). Die Fraktion der „May-Verächter“ hat es also leicht mit dem „Lügenbold“.

Aber ob arglistige Täuschung oder wilde Träumerei – May  wusste vielleicht selbst nicht immer zwischen Realität und Fiktion zu unterscheiden.  „Bei Lichte betrachtet“, schreibt der Literaturwissenschaftler Helmut Schmiedt in seinem Buch „Karl May oder die Macht der Phantasie“ (München 2011), „erschreibt und inszeniert sich hier ein Mensch, der aus jämmerlichen Verhältnissen stammt und dem im Leben zunächst vieles danebengegangen ist, eine Traumexistenz, mit der alles zum Besseren hin korrigiert wird.“

Zum Besseren und weg vom Bösen wollte der Autor am Ende auch seine Leser führen. In seinen späten Romanen und Essays geht er fundamentalen Fragen nach: Wer sind wir? Woher kommen wir? Wohin gehen wir? Er lässt den nationalistisch-wilhelminischen Zeitgeist hinter sich und wendet sich dem Pazifismus zu… May – eine Persönlichkeit mit vielen Facetten, seit Jahrzehnten immer wieder Gegenstand wissenschaftlicher und ganz und gar unwissenschaftlicher Beschäftigung und Forschung. Ein bisschen Licht ins Dunkel bringen – oder wenigstens Denkanstöße geben – will auch der Karl May-Wanderweg.

Markierung „rote Schleife“ bei Schnappach

Markierung „rote Schleife“ bei Schnappach

Startpunkt „rote Schleife“ am Gasthaus Bayrisch Zell

Startpunkt „rote Schleife“ am Gasthaus Bayrisch Zell

Wandern und dabei Nachdenken – das haben ja auch die beiden prominenten Saarländer Harig und Helmlé praktiziert, auf dem eher gemütlichen Philosophenweg. Nicht alle Abschnitte des Karl May-Wegs sind so einfach. Es soll ja auch ein kleinwenig „Abenteuer“ dabei sein. Das war jedenfalls die Vorstellung von Hubert Dörrenbächer. Der – und wer, wenn nicht er, der Revierförster – ist eben ein echter Waldläufer. Den weniger Abenteuerlustigen und allen Ortsunkundigen sei geraten, auf den markierten Wegen zu bleiben und Rundwanderungen an den vorgesehenen Ausgangspunkten (z.B. Parkplatz Bayrisch Zell) zu beginnen. Es könnte sein, dass man sonst unversehens „auf fremde Pfade“ (so der zweite Name des Karl May-Wegs) gerät…