Saarländische Mundart
von Peter Eckert
Um welche Sprachen geht es?
Zwei Mundartfamilien gibt es im Saarland:
Moselfränkisch im Nordwest-Drittel: Kreise Merzig-Wadern, Saarlouis und St. Wendel (nördlicher Teil), ferner Ausläufer im Regionalverband Saarbrücken (wie auch in Hunsrück, Eifel, Westerwald, nördliches Département Moselle, Luxemburg).
Rheinfränkisch in den südöstlichen zwei Dritteln: vom früheren Nassau-Saarbrücken bis zum südlichen Kreis St. Wendel, ferner in der ehemals bayrischen Saarpfalz (wie auch – von West nach Ost – südliches Département Moselle, Teile des angrenzenden Nordelsass, Pfalz, Rheinhessen, Kurpfalz und, je nach Definition, Südhessen und in Bayern die Aschaffenburger Gegend.) Entlang der saarländischen Landesgrenze und im anschließenden Frankreich enthält das Rheinfränkische zunehmend auch alemannische Elemente.
Wechselnde politische Grenzen erschweren die strikte Abgrenzung zum Umland, wo alte Identitäten und historische Bindungen nachwirken, z.B. in den Bereichen Saar-Pfalz oder auch Hochwald-Hunsrück (Ausrichtung auf Trier, im Nordostzipfel oldenburgisches Fürstentum Birkenfeld).
Mundartliteratur: eigenes literarisches Genre?
Nein! Wie im sogenannten Hochdeutschen ist jedes beliebige Genre denkbar. Aber!
Gleichgültig, wer Mundart wann und wo „auch“ spricht: Gewachsen ist sie an Bedürfnissen der Alltagskommunikation „gewöhnlicher Sterblicher“. Das setzt dem Vokabular Grenzen, was den Ruf als Sprache der Ungebildeten begründet. Erfahrung zeigt zwar, dass sich der Mundart bei Bedarf auch ungewohnte Anwendungsgebiete erschließen lassen (z.B. im religiösen Umfeld), weit überwiegend ist Mundartliteratur aber geprägt von der Lebenswirklichkeit der Menschen, deren Sprache sie ist.
Sagen die einen, in Mundart könne man alles sagen, es dauere nur länger, rühmen andere, sie sei kurz und treffend. Lobt man indessen aus „höherer Sicht“, sie sei farbig, prall, zupackend und lebensnah, könnte darin auch eher gönnerhaftes Mitleid liegen als echter Respekt. Wo Mundartliteratur an sich als „Genre“ minderen Ranges gilt, kann das auch an unreflektierten Vorbehalten liegen.
Inhalte
Dass Mundartliteratur vergröbernd mit Heimatliteratur gleichgesetzt wird, mag erklärbar sein, da es nahe liegt, über das eigene Umfeld, Land und Leute, aber auch erlebte Geschichte zu schreiben. Vaterländische Begeisterung alter Zeiten lebt vielleicht weiter im kämpferischen Lokalpatriotismus. Tatsächlich sind Themen und Kategorien je nach Verfasser sehr viel weiter gespannt: Lebensläufe (Kindheit und Schule, Ehe und Familie, Alter, Tod), Liebe, besondere Menschen, Jahreszeiten, Feste im Jahreslauf (auch Brauchtum, kirchlicher Hintergrund), Essen und Trinken, Natur (Landschaft, Tiere), Stimmungsbilder, alltagsphilosophische Betrachtungen, individuelle und kollektive Identität, die Sprache selbst, religiöse Aussagen, meditative Stimmungen, Lebenserfahrungen, ferner Sagen, Märchen, Legenden und Fabeln. Ergänzend erwähnt seien hier auch Übersetzungen, Nachdichtungen, Parodien. Und selbstverständlich reicht die Skala der Tonfälle von tiefernst, getragen, melancholisch einerseits bis zu heiter, ironisch, satirisch, sarkastisch andererseits.
Formen
Prosa: Nicht zuletzt das oft überbewertete Problem der Lesbarkeit verschrifteter Mundart führt dazu, dass Mundarttexte in der Regel eher kurz ausfallen. Im Saarland ist nur ein Roman bekannt (Karl Conrath: Dä Konschtebaiass vu Rom). Auf kürzere Erzählungen, Kurzgeschichten, Glossen und Anekdoten entfällt der weitaus größte Anteil der Prosatexte.
Lyrik: Nach wie vor dominieren dürfte der am Lied orientierte Aufbau. Im Übrigen scheinen zwei so gegensätzliche Formen wie Sonett und Haiku besonders beliebt sein. Auch Ballade oder Limerick, selbst Akrostichon und Konkrete Poesie fallen öfter ins Auge. Eher selten bleiben dagegen Ode, Elegie, Hymne oder ähnliche Formen; die Mundart dürfte in der Regel dem feierlich hohen Ton kaum anzupassen sein.
Eine große Gruppe bilden reimlose Gedichte in freien Rhythmen oder prosanaher Sprache, wogegen der Blankvers eher selten verwandt wird.
(Klarstellung: Selbstverständlich nicht einbezogen sind ohne weitergehende Absichten regellos verfasste Gelegenheitsgedichte).
Entwicklung der Mundartliteratur im Spiegel exemplarischer Anthologien
Heute ein Buch zu veröffentlichen, fällt leicht. Das täuscht vielleicht darüber hinweg, wie viel schwieriger und teurer es früher war. Je älter die Texte, umso eher finden wir sie also nicht in selbstständigen Veröffentlichungen, sondern in Zeitungen, Heimat- und Jahrbüchern, Kalendern (z.B. Saar-Kalender, Saarbrücker Bergmannskalender) und Anthologien. Die nachstehende Auswahl bietet einen guten Überblick über die Entwicklung der hiesigen Mundartdichtung:
- Unser scheen frehlich Saar – Gedichte in Saarbrücker Mundart (1934)
„Saarbrücker Mundart“ ist irreführend. Enthalten sind Autoren aus dem gesamten Saargebiet und (mit dem Saarburger Ernst Thrasolt) sogar darüber hinaus. - Mei Geheichnis (1964)
- Sprachlandschaften – 10 Jahre Saarländischer Mundartwettbewerb (1989)
- Heij bei uus – Mundartgedichte von der Saar (1992)
- Mund-Art (I und II) – Die Kunst der Volkssprache (1993/94)
- Wäär gaggerd, muss aach lee’e (2011)
- 4-bändige Anthologie Mundart: Frühling, Sommer, Herbst, Winter (2011)
Autorinnen und Autoren in ergänzenden Stichworten
- Karl August Woll (1834-1898, RF) und Hanns Glückstein (1888-1931, RF) sind zwar im Saarland geboren, zu Mundartklassikern wurden sie aber in der Pfalz.
- Friedrich Schön (1879-1949, RF) gilt als erster Saarbrücker „Klassiker“. Neben Prosa und Gedichten erarbeitete er das erste Wörterbuch des Saarbrücker Landes.
- Carl Schumann, genannt „Leimpann“, (1872-1943, RF) wirkte etwa zur gleichen Zeit wie Schön.
- Nikolaus Fox (1899-1946, MF) war Volkskundler und schrieb (neben Prosa und Lyrik) Theaterstücke, die auch heute noch gespielt werden.
- Johannes Kühn (* 1934, MF) ist als einer der bedeutendsten deutschen Lyriker hoch ausgezeichnet. Seine Mundartgedichte unterscheiden sich oft deutlich vom übrigen Werk.
- Ferdi Welter (1903-1974, RF) pflegte über Jahrzehnte die Mundart im Rundfunk.
- Heinrich Kraus (1932-2015, RF), vielfach hoch ausgezeichnet, ist mit weit über 100 selbständigen Veröffentlichungen in fast allen literarischen Formen wohl unbestritten der herausragende Mundartautor der Region. Mitgründer der Bosener Gruppe und Gründungsmitglied des Mundartrings.
- Alfred Gulden (* 1944, MF) schreibt überwiegend in Standarddeutsch. Gleichwohl ebneten auch seine Mundart-Gedichtbände der neueren saarländischen Mundartliteratur den Weg.
- Friedrich Ebert (*1933, MF) schrieb u.a. den Text zu einer Weihnachtskantate im alten Püttlinger Moselfränkisch seiner Jugendjahre.
- Gisela Bell (* 1949, RF) wendet Theater-Erfahrungen (Gruppe63) bei ihren Lesungen an. Mitgründerin der Bosener Gruppe.
- Edith Braun (1921-2016, MF) verband Liebe zur Mundart mit wissenschaftlicher Akribie, was zahlreiche Werke belegen. Über 20 Jahre lief ihre Mundartkolumne in der Saarbrücker Zeitung. Gründerin und Leiterin der SR3-Mundartwerkstatt.
- Gerhard Bungert (*1949, MF) ist sicher einer der produktivsten und bekanntesten Autoren der Saar-Mundartszene. Nach längerer Pause hat er sich 2016 zurückgemeldet mit seinem Wörterbuch „Saarländisch – So schwätze unn so schreiwe mir“.
- Georg Fox (*1949, RF) hat nicht nur mehrere eigene Werke veröffentlicht, sondern ist auch als Herausgeber an zahlreichen Werken beteiligt. Dauerbrenner „Òòmends schbääd“ auf SR3. Mundartkolumne in der SZ. Mitgründer und erster Sprecher der Bosener Gruppe.
- Hildegard Driesch (* 1954, MF) und Marlies Böhm (* 1952, MF): Die Dillingerinnen hatten in ihrer Frühzeit ein gemeinsames Buchprojekt.
- Karin Klee (* 1961, MF) schreibt in Hochdeutsch und Moselfränkisch. Mundartkolumne in der Saarbrücker Zeitung. Sprecherin der Bosener Gruppe (gemeinsam mit Peter Eckert).
- Relinde Niederländer (* 1949 RF), errang unter den Saarländern die meisten Preise in Mundartwettbewerben des Saarlandes und der Pfalz (Bockenheim, Dannstadt und weitere).
- Peter Eckert (*1946, RF), Mitgründer/Sprecher der Bosener Gruppe, Initiator / langjähriger Vorstandssprecher des Mundartrings, zahlreiche Mundartgottesdienste mit eigenen Texten, Mundartkolumne in der SZ.
- Gérard Carau (* 1948, MF) gestaltet seit 2001 die von Gau un Griis halbjährlich herausgegebene dreisprachige (dt., frz., Mundart) Literaturzeitschrift Paraplé, Mundartkolumne in der SZ.
- Karin Peter (* 1942, MF) pflegt die alte eigenständige Saarlouiser Stadtmundart, in die sie auch bekannte Werke übersetzt. Mundartkolumne in der SZ.
- Ursula Kerber (* 1952) hat aus eigenen Texten und Fotos ihres Ehemannes Klaus eine umfangreiche poetische Webseite gestaltet. (www.utrivia.de)
Siehe auch “Mundart – die andere saarländische Literaturszene“