Saarländische Mundart und Mundartliteratur

von Peter Eckert

Um welche Sprachen geht es?

Zwei Mundartfamilien gibt es im Saarland

Moselfränkisch im Nordwest-Drittel: Kreise Merzig-Wadern, Saarlouis und St. Wendel (nördlicher Teil), ferner Ausläufer im Regionalverband Saarbrücken (wie auch in Hunsrück, Eifel, Westerwald, nördliches Département Moselle, Luxemburg).

Rheinfränkisch in den südöstlichen zwei Dritteln: vom früheren Nassau-Saarbrücken bis zum südlichen Kreis St. Wendel, ferner in der ehemals bayrischen Saarpfalz (wie auch – von West nach Ost – südliches Département Moselle, Teile des angrenzenden Nordelsass, Pfalz, Rheinhessen, Kurpfalz und, je nach Definition, Südhessen und in Bayern die Aschaffenburger Gegend.) Entlang der südlichen saarländischen Landesgrenze und im anschließenden Frankreich enthält das Rheinfränkische zunehmend auch alemannische Elemente.

Wechselnde politische Grenzen erschweren die strikte Abgrenzung zum Umland, wo alte Identitäten und historische Bindungen nachwirken, z.B. in den Bereichen Saar-Pfalz oder auch Hochwald-Hunsrück (Ausrichtung auf Trier, im Nordostzipfel oldenburgisches Fürstentum Birkenfeld).

Welchen Rang hat Mundart andernorts?

Der Gegenbegriff „Hochdeutsch“ scheint die Charakterisierung als „Tiefdeutsch“ herauszufordern, womit man hierzulande nicht grundsätzlich schief läge. Anderswo sieht es anders aus: Das norddeutsche Niederdeutsch (Plattdeutsch/Plattdüütsch) kann unter dem Schutz der Sprachencharta des Europarats sogar Amtssprache sein, z.B. in der „Verfatung von dat Land Mäkelborg-Vörpommern“. Literarische Ahnen wie Fritz Reuter, Klaus Groth oder auch Theodor Storm haben noch immer größere und kleinere Nachfolger.

Der oberdeutschen Literatur zuzurechnen ist einer der Mundartklassiker schlechthin, Johann Peter Hebels Allemannische Gedichte. Musterbeispiel für den selbstverständlichen Gebrauch der Mundart ist die alemannische Deutschschweiz. Dachsprache ist zwar Schweizer Hochdeutsch, in der mündlichen Kommunikation aber dominiert – auch amtlich und im Geschäftsleben – auf allen Ebenen die Mundart in all ihren lokalen Varianten.

So hoch ordnet das bayrische „Mia san mia“ die Mundart zwar nicht ein, steht aber selbstbewusst zur mundartlichen Einfärbung der – auch gehobenen – Umgangssprache, was verweist auf eine Verwandtschaft zum benachbarten „Honoratiorenschwäbisch“. Und das dortige „Wir können alles außer Hochdeutsch“ – zwischen Großmäuligkeit und Augenzwinkern – erklärt sich selbst.

Mundarten unserer Region haben ganz unterschiedliche Schicksale. Nachbar Luxemburg hat aus dem Moselfränkischen eine Schriftsprache entwickelt und zur Amtssprache erhoben. Der Erhalt der „germanophonen“ Mundarten des französischen Moseldepartements (Rhein- und Moselfränkisch) wird erst gestützt, seit das endgültige Aussterben trotzdem unabwendbar scheint. Ähnlich, wenn auch angesichts der größeren und dadurch etwas stabileren Sprachgemeinschaft, dürfte die Entwicklung des Ober- und Niederalemannischen im Elsass verlaufen.

Und wie steht man hierzulande zur Mundart?

Dazu sind sehr verschiedene Einstellungen denkbar. Mundart als heruntergekommenes, minderwertiges Deutsch mag vielleicht nicht mehr die unangefochten herrschende bzw. geäußerte Wertung sein, unterschwellig ist sie gleichwohl vorhanden. Das kann sogar so weit gehen, dass Mundartsprecher, die diese selbst erlebte Geringschätzung verinnerlicht haben, bestenfalls mit großer Mühe vom Eigenwert ihrer Muttersprache überzeugt werden müssen (was nicht immer gelingt).

Dabei greift es zu kurz, die Probleme grundsätzlich früheren Zeiten anzulasten. Gegenbeispiel ist Rektor Wilhelm Hahn, er widmete sich 1914 dieser Aufgabe mit einer 50-seitigen Handreichung „Mundart und Hochdeutsch in Saarbrücken – Ein Heimatsprachbuch für Schüler und Lehrer“. Das Konzept geht aus von der Einsicht, dass die weitaus meisten Schüler Hochdeutsch nur im Unterricht begegnen und Mundart zunächst ihre eigentliche Muttersprache ist.  Ein leichterer Erwerb der Hochsprache soll erreicht werden anhand zahlreicher praktischer Beispiele, die Unterschiede in Wortschatz und Grammatik beider Systeme gezielt verdeutlichen. Es scheint, dass diese Bemühungen nicht konsequent fortgesetzt wurden.

Was heutigen Schulkindern noch an Mundart begegnet, hat großenteils einen Umfang, der vernachlässigt werden kann. Nun „endlich“ greifen die seit mindestens einem Jahrhundert zu beobachtenden Bemühungen um „die eine“ normierte Sprache. Brauchten Eltern der 68er-Generation noch die dogmatisch bewehrte Rechtfertigung, Mundart schädige das Hochdeutsche und erschwere Kindern dadurch ihren Lebensweg, sind derlei – inzwischen von Sprachforschern widerlegte – Begründungen längst nicht mehr nötig, weil die so vor dem Kontakt mit dem Dialekt bewahrten Kinder als Eltern mittlerweile nichts mehr haben, was sie ihren eigenen Kindern mitgeben könnten. Zwar sind wir im Saarland auf diesem Weg noch nicht so weit vorangekommen wie viele andere Regionen, dennoch dürfte diese Entwicklung auch hier mittlerweile ein Selbstläufer sein.

Mundartliteratur im Saarland

Ein eigenes literarisches Genre?

Nein! Wie im sogenannten „Hoch“-deutschen ist jedes beliebige Genre denkbar. Aber!

Gleichgültig, wer Mundart wann und wo „auch“ spricht: Gewachsen ist sie an Bedürfnissen der Alltagskommunikation „gewöhnlicher Sterblicher“. Das setzt dem Vokabular Grenzen, was den Ruf als Sprache der Ungebildeten begründet. Erfahrung zeigt zwar, dass sich der Mundart bei Bedarf auch ungewohnte Anwendungsgebiete erschließen lassen (z.B. im religiösen Umfeld), weit überwiegend ist Mundartliteratur aber geprägt von der Lebenswirklichkeit der Menschen, deren Sprache sie ist.

Sagen die einen, in Mundart könne man alles sagen, es dauere nur länger, rühmen andere, sie sei kurz und treffend. Lobt man indessen aus „höherer Sicht“, sie sei farbig, prall, zupackend und lebensnah, könnte darin auch eher gönnerhaftes Mitleid liegen als echter Respekt. Wo Mundartliteratur an sich als „Genre“ minderen Ranges gilt, kann das auch an unreflektierten Vorbehalten liegen.

Inhalte
Dass Mundartliteratur vergröbernd mit Heimatliteratur gleichgesetzt wird, mag erklärbar sein, da es nahe liegt, über das eigene Umfeld, Land und Leute, aber auch erlebte Geschichte zu schreiben. Vaterländische Begeisterung alter Zeiten lebt vielleicht weiter im kämpferischen Lokalpatriotismus. Tatsächlich sind Themen und Kategorien je nach Verfasser sehr viel weiter gespannt: Lebensläufe (Kindheit und Schule, Ehe und Familie, Alter, Tod), Liebe, besondere Menschen, Jahreszeiten, Feste im Jahreslauf (auch Brauchtum, kirchlicher Hintergrund), Essen und Trinken, Natur (Landschaft, Tiere), Stimmungsbilder, alltagsphilosophische Betrachtungen, individuelle und kollektive Identität, die Sprache selbst, religiöse Aussagen, meditative Stimmungen, Lebenserfahrungen, ferner Sagen, Märchen, Legenden und Fabeln. Ergänzend erwähnt seien hier auch Übersetzungen, Nachdichtungen, Parodien. Und selbstverständlich reicht die Skala der Tonfälle von tiefernst, getragen, melancholisch einerseits bis zu heiter, ironisch, satirisch, sarkastisch andererseits.

Formen
Prosa: Nicht zuletzt das oft überbewertete Problem der Lesbarkeit verschrifteter Mundart führt dazu, dass Mundarttexte in der Regel eher kurz ausfallen. Im Saarland ist nur ein Roman bekannt (Karl Conrath: Dä Konschtebaiass vu Rom). Auf kürzere Erzählungen, Kurzgeschichten, Glossen und Anekdoten entfällt der weitaus größte Anteil der Prosatexte.

Lyrik: Nach wie vor dominieren dürfte der am Lied orientierte Aufbau. Im Übrigen scheinen zwei so gegensätzliche Formen wie Sonett und Haiku besonders beliebt zu sein. Auch Ballade oder Limerick, selbst Akrostichon und Konkrete Poesie fallen öfter ins Auge. Eher selten bleiben dagegen Ode, Elegie, Hymne oder ähnliche Formen; die Mundart dürfte in der Regel dem feierlich hohen Ton kaum anzupassen sein.

Eine große Gruppe bilden reimlose Gedichte in freien Rhythmen oder prosanaher Sprache, wogegen der Blankvers eher selten verwandt wird.

Experimentelle Macharten (wie z.B. die Werke der Wiener Gruppe) sind zwar nicht prinzipiell ausgeschlossen, sind aber auf mittlere Sicht wohl kaum zu erwarten. Einerseits fehlt dazu auf Produzentenseite der avantgardistisch-intellektuelle Vibrationsraum der Metropole. Andererseits fehlt dazu mit größter Wahrscheinlichkeit das Publikum, das solche Werke auch nur wahrzunehmen, geschweige denn zu goutieren bereit wäre. Inwieweit dies als beklagenswerter Mangel einzuschätzen wäre, dürfte eine Ermessensfrage sein.

(Klarstellung: Selbstverständlich nicht einbezogen sind ohne weitergehende Absichten regellos verfasste Gelegenheitsgedichte).

Streitfall Schreibung

Was wäre ein Buch, das man nicht lesen kann, wenn man also nicht in der Lage wäre, das von anderen schriftlich Fixierte zu entziffern? Ist schon die Schreibung der Schriftsprache spätestens seit der Rechtschreibreform nicht mehr über alle Zweifel erhaben, gilt dies in noch viel größerem Ausmaß bei der Verschriftung von Mundarten. Für sie gibt es nicht einmal ein Richtwerk wie den Duden; ein Manko, an dem auch die in durchaus nennenswerter Zahl vorliegenden Mundart-Wörterbücher nicht zu ändern vermögen, da ihre Verwendung nicht amtlich vorgeschrieben werden kann.

Wie Mundart geschrieben wird, entscheiden die Autoren selbst. Nach welchen Kriterien sie das tun, daran scheiden sich die Geister. Um es mit Karl Valentin zu sagen, ist dazu „zwar schon alles gesagt, aber noch nicht von allen“. In und zwischen fast allen Mundartregionen (hier und anderswo) stehen sich zwei „Schulen“ gegenüber. Eine will die Aussprache des Geschriebenen detailliert und möglichst lautgetreu durch die Verschriftung ausdrücken, ggfs. auch unter Einsatz unüblicher Buchstabenkombinationen und Sonderzeichen. So sollen auch solche Personen sie wie Eingeweihte lesen können, die mit der jeweiligen Mundart nicht vertraut sind. Ein Ziel, das, falls nicht schon die abschreckende Wirkung des Schriftbildes jeden Leseversuch vereitelt, wenn überhaupt, dann nur extrem selten erreicht wird.

Die andere Gruppierung unterstellt, dass ohnehin nur Mitglieder der jeweiligen Sprachgemeinschaft als Leser in Frage kommen. Sie behält das, weil so gewohnt leicht lesbare, Standard-Schriftbild so weit wie irgend möglich bei und verlässt sich darauf, dass die Leute selbst wissen, wie sie lesen sollen.

Eine dritte Gruppierung versucht, die Anliegen beider Positionen angemessen im Rahmen des Machbaren zu berücksichtigen. Sie orientiert sich daher am Regel-Schriftbild der Standardsprache und modifiziert dieses nur insoweit, als erhebliche Abweichungen bestehen.

Sonderfall Schreibung nach Braun/Mangold

Niemand im südwestdeutschen Raum hat mit so viel Mühe und Aufwand die Schaffung einer geregelten, über kleine und größere Grenzen hinweg gültigen Schreibung von Mundarten betrieben und in mehreren umfangreichen Werken beispielgebend angewandt wie Edith Braun zusammen mit dem an der Universität Saarbrücken wirkenden Schweizer Prof. Max Mangold.

Auf der Suche nach Vergleichbarem gelangt man früher oder später in die Schweizer Sprachlandschaft. Es gibt wohl kaum eine Sprachgemeinschaft, in der wie in der Deutschschweiz die Mundart (in allen regionalen und lokalen Varianten) auf allen Ebenen die mündliche Kommunikation dominiert.

Aber auch in der Schweiz wird Mundart geschrieben. Wen könnte es also wundern, dass man auch dort seit Jahrzehnten über die Verschriftung diskutiert und manchmal auch richtig streitet?

Den „großen Wurf“ wagte hier 1938 der Zürcher Sprachwissenschaftler Prof. Eugen Dieth mit seinem Leitfaden „Schwyzertütschi Dialäktschrift“, die weitestmögliche Lautnähe bei der Verschriftung aller schweizerdeutschen Dialekte anstrebt. Nicht alle Regionen schlossen sich seinem Vorschlag an.

Der Berner Werner Marti legte 1972 seinen Alternativvorschlag „Bärndütschi Schrybwys“ vor, dessen Hauptunterschied „im Bestreben liegt, das schriftdeutsche Schriftbild zu schonen, wenn es zu keinen lautlichen Verfälschungen führt.“ Das Manko, Sprachfremde könnten so nicht lautgerecht lesen, hält er entgegen, „dass die Erleichterung, die durch den Rückgriff auf das neuhochdeutsche Schriftbild gewährt ist, die Benachteiligung durch lautliche Missverständnisse weitgehend aufhebt.“

Dieser Blick in die fremde Sprachlandschaft spiegelt in wesentlichen Punkten die Situation hierzulande.

Das 1984 entstandene Saarbrücker Wörterbuch von Braun/Mangold, war das erste ernstzunehmende Wörterbuch dieser Sprachlandschaft seit Friedrich Schöns Wörterbuch der Mundart des Saarbrücker Landes. Ihre Sicht auf Schöns Wörterbuch beschreibt Edith Brauns Beitrag „Zur Schreibung der Saarbrücker Mundart bei Friedrich Schön“, veröffentlicht 1993 in „Nachbarschaften“, der Festschrift für Max Mangold.

Wichtigster Kritikpunkt sind für sie die Inkonsequenzen und Nachlässigkeiten in Schöns Verschriftungssystem. Für sie als Phonetikerin wäre zur exakten Fixierung der korrekten Aussprache selbstverständlich die internationale Lautschrift das Mittel der Wahl. Für Nichtfachleute entstünde so aber eine in der Regel unüberwindliche Hürde. Gemeinsam mit Max Mangold entwickelt sie also eine lautgerechte oder zumindest lautnahe Schreibung mit Hilfe der Standardschrift, wodurch sehr ungewohnte Schriftbilder entstehen

Der Unterscheidung der beiden unterschiedlichen o-Laute (z.B. in Bogen und Morgen) dient der vom Französischen her bekannte Akzent accent grave (Gravis). Aus „z“ wird grundsätzlich „ds“, aus „st“ und „sp“ ggfs. „schd“ und „schb“, aus harten Konsonanten wie „p“, „k“, „t“ wird „b“, „g“, „d“. Aus „nk“ wir „ngg“, ein Wort wie „Zank“ heißt nun also „Dsangg“. Wer nur gewohnt ist, Schriftdeutsch zu lesen, scheut möglicherweise zurück, ganz abgesehen von den Autoren, die aus ihrer gewohnten Schreibung zunächst die Braunsche Schreibung ableiten müssten.

Der Konflikt bleibt ungelöst. Viele Schreibende und Lesende empfinden ein Missverhältnis zwischen Nutzen und Aufwand, zumal Mundart in der Regel fast ausschließlich von Angehörigen der eigenen Mundartfamilie gelesen wird und der „rechte“ Klang heute mit technischen Mitteln besser zu konservieren ist. Weiterer wesentlicher Einwand: Die Mundartliteratur des Saarlandes ist überschaubar und wäre, hätte es den ersten Mundartwettbewerb 1979 – 1998 nicht gegeben, wohl noch deutlich kleiner. Die erheblich ältere, umfangreichere, aktivere und nach wie vor blühende Mundartliteratur der Pfalz, der Kurpfalz und Rheinhessens samt ihrer verwandten Nachbargebiete pflegt seit 100 Jahren und länger eine Schreibung, die sich an der Schriftsprache orientiert, was ihrem Wert nicht schadet, ihrer Akzeptanz aber von Nutzen ist. Dass z.B. ein Autor wie Heinrich Kraus sich davon nicht abwendet, sollte unmittelbar einleuchten.

Indessen sind alle Mundart-Veröffentlichungen Edith Braun, auch solche, bei denen sie nur mitwirkt, in der von Braun/Mangold entwickelten Schreibung gehalten. Und selbstverständlich sind auch diese Texte flüssig zu lesen, wenn man es will. Daher kränkt es sie, dass sie nicht mehr Autoren dafür gewinnen kann. Selbst der Verweis auf ihren geliebten Wilhelm Busch – „Vergebens predigt Salomo,/die Leute machen’s doch nicht so“ – hilft ihr in diesem Konflikt nicht weiter.

Dabei wird der außerordentliche Wert ihrer Arbeit in keiner Weise in Zweifel gezogen. Die Schaffung des Saarbrücker Wörterbuchs als Sammlung des verfügbaren Wortbestandes der 1980er (entstanden 7 Jahrzehnte nach Schöns Erhebungen) und als Aussprachehilfe bleibt auf Dauer eine wichtige Dokumentation, wertvoll nicht zuletzt auch wegen der darauf aufbauenden Werke.

Der nächste Schwerpunkt bei Edith Brauns Beschäftigung mit dem Saarbrücker Platt bringt als Ergebnis ihre Dissertation, aus der das Saarbrücker Homonym-Wörterbuch hervorgeht. Dazu ist anzumerken: Bei den dargestellten Homonymen handelt es sich oftmals eher um Homophone, die zu Homonymen erst werden durch die rigoros angewandte Regel, gleichklingende Wörter auch gleich zu schreiben.

Da in der Saarbrücker Mundart (wie meist auch im übrigen rheinfränkischen Sprachgebiet) aus dem standarddeutschen „eu“ und „äu“ (eigentliche Aussprache „oi“) ein wie „ai“ klingender Diphtong wird, verwendet das Werk für diese und die auch im Schriftdeutschen schon vorhandenen „ei“- und-ai-Laute durchgängig nur noch ei. (was ja eigentlich bei den Buchstaben folgender Aussprache ee-ii zu sprechen wäre). So wird aus Kaiser Keiser und, sieht man von der Groß-/Kleinschreibung ab, aus Häuser, heiser und heißer in Mundart  heiser. Dies hat zur Folge, dass einerseits Wörter, die im Schriftdeutschen anhand des Schriftbildes zu unterschieden sind, bei Anwendung dieser Regel allenfalls noch aus dem Zusammenhang zu deuten sind, andererseits aber erst diese Angleichung die Homophone zu Homonymen werden lässt.

Der zeitliche Abstand allein bewirkt schon, dass der Wortbestand sich in den rd. 60 Jahren erheblich verändert hat

Entwicklung der Mundartliteratur im Spiegel exemplarischer Anthologien

Heute ein Buch zu veröffentlichen, fällt leicht. Das täuscht vielleicht darüber hinweg, wie viel schwieriger und teurer es früher war. Je älter die Texte, umso eher finden wir sie also nicht in selbstständigen Veröffentlichungen, sondern in Zeitungen, Heimat- und Jahrbüchern, Kalendern (z.B. Saar-Kalender, Saarbrücker Bergmannskalender) und Anthologien. Die nachstehende Auswahl bietet einen guten Überblick über die Entwicklung der hiesigen Mundartdichtung:

  • Unser scheen frehlich Saar – Gedichte in Saarbrücker Mundart (Hrsg. Gebr. Hofer unter Mitarbeit mehrerer Autoren, 1934)
    „Saarbrücker Mundart“ ist irreführend. Enthalten sind Autoren aus dem gesamten Saargebiet und (mit dem Saarburger Ernst Thrasolt) sogar darüber hinaus.
  • Mei Geheichnis – Mundartgedichte von der Saar und ihrer Nachbarschaft (Hrsg. Klaus Stief, Leo Griebler, Alfred Petto, Karl Conrath, 1964)
  • Mit uns kann ma schwätze (Hrsg. Gerhard Bungert, 1984)
  • Sprachlandschaften – 10 Jahre Saarländischer Mundartwettbewerb (Hrsg. Saar Bank eG in Zusammenarbeit mit dem Saarländischen Rundfunk, 1989)
  • Die Flemm (Hrsg. Georg Fox & Günter Schmitt, 1989)
  • Heij bei uus – Mundartgedichte von der Saar (Hrsg. Guido König, 1992)
  • Mund-Art (I und II) – Die Kunst der Volkssprache (Hrsg. Günter Schmitt & Georg Fox, 1993/94)
  • Mundart modern – Moderne Texte zu modernen Themen in rheinfränkischer und moselfränkischer Mundart (Hrsg. Friedhelm Schneidewind, 1993)
  • Heimat • Mundart modern II – Moderne Texte in Mundart (Hrsg. Günter Schmitt & Georg Fox, 1995)
  • Silberglöckchen • Saarländische Weihnacht – Gedichte und Geschichten (Edith Braun & Ruth Müller, 2000)
  • Wäär gaggerd, muss aach lee’e – Gedichte, Geschichten, Erinnerungen in saarländischen Mundarten (Hrsg. Mundartring Saar e.V., Red. Edith Braun, Peter Eckert, Lutz Hahn, Christel Keller, Evelyn Treib, 2011)
  • 4-bändige Anthologie Mundart: Frühling, Sommer, Herbst, Winter (Hrsg. Manfred Spoo, 2011)
  • Reihe So schwäddse mir im Landkreis: Saarlouis (2016), St. Wendel (2012), Neunkirchen (2013) – jeweils herausgegeben von Manfred Spoo bzw. Heike Linster

 

Eingrenzung der Mundartliteratur

Geht man vom Literaturland Saarland als Mittelpunkt der Überlegungen aus, fällt es nicht ganz leicht, diesem Betrachtungsgegenstand scharf definierte Grenzen zuzuordnen, ist doch unsere Region mit vielerlei Grenzen reichlich, nun ja, gesegnet bestimmt nicht, also eingedeckt:

  • die uralten rhein-moselfränkisch-alemannischen Sprachgrenzen,
  • die jungen Territorialgrenzen wie die alte Grenze des Völkerbund-Saargebiets oder die Nachkriegsgrenze des Saarlandes,
  • die alten Grenzen zwischen Preußen und Bayern bzw. Rheinprovinz und Pfalz, Großherzogtum Oldenburg, Frankreich bzw. Lothringen und Elsass mit ihren Departements,
  • dazu die noch älteren, teils größeren, aber auch sehr eng begrenzten Territorien, aus denen diese Gebiete hervorgingen,
  • und davon ganz abgesehen kann natürlich jedes Dörfchen eine Welt für sich sein.

Dazu kommen wie überall:

  • zeitliche Grenzen, die Ende alter und Beginn neuer Identitäten abstecken,
  • noch diffuser die individuell unterschiedlich empfundenen Grenzen zwischen vertrauter Heimat und der großen weiten Welt
  • und die Grenzen zwischen schwierigen neuen und den angeblich so guten alten Zeiten.

Scheinen viele Grenzen heute auch verschwunden: Zuweilen wirken sie nach, mal im Kopf, mal im Bauchgefühl. Die Zerstückelung des Landstrichs hat eine auch heute noch feststellbare Kleinräumigkeit des Denkens und Empfindens zur Folge.

Eigene Sichtweise und Vorgestimmtheit bestimmen, wie man Leute von jenseits der Grenze erlebt, ihre Sprache, ihre Art, ihre Identität: Ob man ihr Anderssein verübelt oder sich freut, dass Vielfalt jedem Vogel eigenen Gesang und eigenes Gefieder schenkt. Man kann das Trennende suchen oder Verbindendes, Abschottung oder Austausch.

Bezogen auf Mundartliteratur wäre es ohne künstliche Grenzen unerheblich, ob der St. Ingberter Karl August Woll (1834 – 93), wirklich Pfälzer ist oder gar Bayer. Unter den Rheinpreußen wäre der Saarburger Moselfranke Ernst Thrasolt (1878 – 1945), ebenso viel oder wenig Saarländer wie der Saarbrücker Rheinfranke Friedrich Schön (1879 – 1949). Der Hunsrücker Peter Joseph Rottmann (1799 – 1881) und der Spicherer Peter Michels (1902 – 84) wären vielleicht auch nicht nur Eingeweihten bekannt. Und alle gemeinsam könnten wahrgenommen werden als Personen, die auf ihre je eigene Weise die Kultur der Gesamtregion bereichert haben.

Doch obwohl das Rhein-Mosel-Saar-Gebiet mit ebenso guten Gründen als einheitlicher Raum zu begreifen wäre wie die alemannische Region, wurde und wird es oft als ein zerstückeltes Sammelsurium in schier unzähligen Schränkchen, Schubladen und Schachteln wahrgenommen. Selbst dem unbestritten mit der „grenzenlosen“ schriftdeutschen Literatur verflochtenen saarländischen Spross fällt es nicht leicht, diese Verbindung zu halten und mit Leben zu füllen.

Jedoch muss ein kleinzellig separiertes Minderheits- und Nischenprodukt wie Mundartliteratur eines kleinen Gebiets ohne Bezug zur Umwelt verkümmern. So seien einige „Grenzfälle“ gennant, Autorinnen und Autoren, die durch den Zufall willkürlicher politischer Grenzziehungen „nicht mehr dazugehören“, aber dennoch im Land, z.T. als Vorbilder wahrgenommen werden oder wurden.

Als Beispiele seien genannt:

  • aus Zweibrücken: Wolfgang Ohler (*1943), Hans Ponader (1911-88), Liesl Ott (1900 – 82),
  • aus Kaiserslautern: Helga Schneider (*1940), Günter Speyer (*1927), Susanne Faschon (1925 – 95), Norbert Schneider (*1957)
  • aus Kusel: Gerd Krieger (1920 – 2010),
  • aus der Region Hunsrück-Hochwald-Mosel: Anna Peetz (*1929), Addi Merten (1920-95)
  • aus Sierck-les-Bains: Jo Nousse (*1958),
  • aus Sarre-Union: Ronald Euler (*1966).

Als „besonderer Fall“ erwähnenswert ist Alfred Mahler (1902 – 2004) aus Bischtroff-sur-Sarre im Krummen Elsass, dessen erstes Buch mit Unterstützung des Mundartrings Saar e.V. zu seinem 100. Geburtstag erschien.

Autorinnen und Autoren in ergänzenden Stichworten (chronologisch)

  • Karl August Woll (1834 – 1898, RF) und Hanns Glückstein (1888 – 1931, RF) sind zwar im (damals noch nicht existierenden) Saarland geboren, zu Mundartklassikern wurden sie aber in der Pfalz.
  • Friedrich Schön (1879 – 1949, RF) gilt als erster Saarbrücker „Mundartklassiker“. Neben Prosa und Gedichten erarbeitete er das erste Wörterbuch des Saarbrücker Landes.
  • Carl Schumann, genannt „Leimpann“, (1872 – 1943, RF) wirkte etwa zur gleichen Zeit wie Schön.
  • Nikolaus Fox (1899 – 1946, MF) war Volkskundler und schrieb (neben Prosa und Lyrik) Theaterstücke, die auch heute noch gespielt werden.
  • Ferdi Welter (1903 – 1974, RF) ist sicher kein Mundartautor im engeren Sinn. Er pflegte über Jahrzehnte die Mundart im Rundfunk. Sein unter dem Eindruck von Krieg und Evakuierung „unsere Buwe bei de Soldate“ gewidmetes Buch „Froh und Frisch“ (1941) erzielte allerdings umständehalber eine besondere Breitenwirkung. Keiner Erläuterung bedarf „Ferdi Welter’s Witz-Kalender“ (1955).
  • Edith Braun (1921 – 2016, RF) gibt es sozusagen zweifach. Als Phonetikerin verband sie Liebe zur Mundart mit wissenschaftlicher Akribie, was zahlreiche sprachwissenschaftliche und mundartkundliche Werke belegen. Über 20 Jahre lief ihre sprachkundliche Mundartkolumne in der Saarbrücker Zeitung. Zum daneben bestehenden belletristischen Werk gehört u.a. auch eine weitere Mundartkolumne in der SZ. Die von ihr gegründete und geleitete SR3-Mundartwerkstatt stellte Mundartautorinnen und -autoren aus der rhein- und moselfränkischen Region vor.
  • Heinrich Kraus (1932 – 2015, RF), vielfach hoch ausgezeichnet, ist mit weit über 100 selbstständigen Veröffentlichungen in fast allen literarischen Formen wohl unbestritten der herausragende Mundartautor der Region. Mitgründer der Bosener Gruppe und Gründungsmitglied des Mundartrings.
  • Friedrich Ebert (*1933, MF) lebt den größten Teil seines Lebens in Wadern, wodurch er sich das alte Püttlinger Moselfränkisch seiner Jugendjahre bewahrte. Er verfasste mehrere Mundartbücher mit Lyrik und Prosa, ferner schrieb er u.a. den Text zu einer Weihnachtskantate. Daneben veröffentlichte er zahlreiche heimatkundliche Aufsätze.
  • Johannes Kühn (*1934, MF) nimmt unter den aufgeführten Mundartautoren zweifelsfrei eine Sonderstellung ein, ist er doch als einer der bedeutendsten deutschen Lyriker hoch ausgezeichnet. Seine Mundartgedichte, die nur einen sehr kleinen Teil seines Gesamtwerks ausmachen, unterscheiden sich oft deutlich vom übrigen Werk.
  • Karin Peter (*1942, MF) pflegt die alte eigenständige Saarlouiser Stadtmundart, in die sie auch bekannte Werke übersetzt. Mundartkolumne in der SZ.
  • Alfred Gulden (*1944, MF) schreibt überwiegend in Standarddeutsch. Gleichwohl ebneten, selbst wenn dies so nicht geplant war, seine Mundart-Gedichtbände (z.T. mit ergänzenden Schallplatten) und seine langjährige Mitarbeit in der Jury des 1979-1998 ausgetragenen Saarländischen Mundartwettbewerbs (umfangreicher Bericht als Rückblick auf die ersten 10 Jahre) der neueren saarländischen Mundartliteratur den Weg.
  • Hans Walter Lorang (*1944, MF) hat auch einige gedruckte Werke vorzuweisen, den Löwenanteil seines Werks bilden allerdings zahlreiche – auf Tonträgern verfügbare – Lieder in Moselfränkisch, die diesseits und jenseits der Landes- und Mundartgrenzen ein treues Publikum ansprechen.
  • Charly Lehnert (*1944, RF) an dieser Stelle vorzustellen ist angesichts seiner vielfältigen Aktivitäten (u.a. Verleger, Autor, Veranstalter) kaum machbar, aber wohl auch nicht erforderlich.
  • Relinde Niederländer (*1944, RF), errang unter den Saarländern die meisten Preise in Mundartwettbewerben des Saarlandes und der Pfalz (Bockenheim, Dannstadt und weitere). Mehrere Bücher in Mundart und z.T. Schriftdeutsch.
  • Peter Eckert (*1946, RF), zahlreiche Veröffentlichungen in Mundart und Schriftdeutsch, Mundartkolumne in der SZ, Mitgründer/Sprecher (gemeinsam mit Karin Klee) der Bosener Gruppe, mit Edith Braun Initiator des Mundartrings (langjähriger Vorstandssprecher), zahlreiche Mundartgottesdienste, komplett mit eigenen Texten, über 400 (hochdeutsche) kirchliche Beiträge im Funk.
  • Gérard Carau (*1948, MF) gestaltet – neben seinem persönlichen Werk – seit 2001 die von Gau un Griis zunächst halbjährlich, ab 2023 jährlich herausgegebene dreisprachige (dt., frz., Mundart) Literaturzeitschrift Paraple, Mundartkolumne in der SZ.
  • Gerhard Bungert (*1949, RF) ist sicher einer der produktivsten, umsatzstärksten und somit bekanntesten Autoren, die der Saar-Mundartszene zugerechnet werden. Nach längerer Pause hat er sich 2016 zurückgemeldet mit seinem Wörterbuch „Saarländisch – So schwätze unn so schreiwe mir“.
  • Georg Fox (*1949, RF) hat nicht nur viele (z.T auch selbst illustrierte) eigene Werke in Mundart und Schriftdeutsch veröffentlicht, sondern ist auch als Herausgeber an zahlreichen Werken beteiligt. Der auf SR3 vorübergehend wieder aufgenommene Dauerbrenner „Òòmends schbääd“ (über 330 Folgen) ist mittlerweile wieder eingestellt. Mundartkolumne in der SZ. Mitgründer und (2000 – 2005) erster Sprecher der Bosener Gruppe.
  • Gisela Bell (*1949, RF) wendet Theater-Erfahrungen (Gruppe63) bei ihren Lesungen an. Mitgründerin der Bosener Gruppe.
  • Marlies Böhm (*1952, MF) hatte zunächst ein gemeinsames Buchprojekt mit Hildegard Driesch. Es folgte eine Reihe eigener Veröffentlichungen, darunter zahlreiche – auch religiöse – vertonte Texte, ferner Kurzszenen.
  • Ursula Kerber (*1952, MF) schreibt in Mundart und Schriftdeutsch. Neben einer Buchveröffentlichung hat sie aus eigenen Texten in Kombination mit Fotos ihres Ehemannes Klaus eine umfangreiche poetische Webseite gestaltet. (www.utrivia.de)
  • Hildegard Driesch (*1954, MF) hatte ebenfalls nach dem gemeinsamen Buchprojekt mit Marlies Böhm einige eigene Veröffentlichungen. Besonders hervorzuheben ist auch das Buch, das sie Leben und Werk von Gretel Fischer-Becker (gleichfalls Dillingen-Pachten) widmete.
  • Karin Klee (*1961, MF) schreibt in Hochdeutsch und Moselfränkisch. Mundartkolumne in der Saarbrücker Zeitung. Sprecherin der Bosener Gruppe (gemeinsam mit Peter Eckert).