Mundart in Sarreguemines – Marianne Haas-Heckel

geb. 16. Dez. 1946 in Saargemünd/Sarreguemines

Porträ Marianne Haas-Heckel

Foto: Privat

Marianne Haas-Heckel gehört zur seit anderthalb Jahrhunderten ersten Generation im Département Moselle, die im Lauf ihres Lebens nicht zwangsweise die Staatsangehörigkeit wechselte. Allerdings ist dies auch die erste Gruppe, die nach der gescheiterten Annexion durch das Dritte Reich aufgrund der strikten französischen Sprachenpolitik (wenigstens zunächst) den Kontakt zur überlieferten, aber nun offiziell verpönten Sprache ausschließlich noch im privaten Umfeld hatte. Schien das völlige Verschwinden der rhein- und moselfränkischen Mundarten zunächst nur eine Frage der (kurz bemessenen) Zeit, kam doch auch eine Gegenbewegung auf, die ihre Erhaltung auch als einen Beitrag zur Bewahrung der eigenen Identität begriff und die grenzüberschreitende sprachliche Verflechtung mit den Nachbargebieten nicht als pangermanistische Umtriebe missdeuten lassen wollte.

Erste Zeugnisse schriftstellerischer Arbeiten von Marianne Haas-Heckel finden sich im Jahr 1991. Die erste Buchveröffentlichung (gemeinsam mit Robert Lambert) zum Platt des Saargemünder Landes folgt 1994: „Mir honn so geredd“. Die so eingeschlagene Richtung verfolgt sie auf allen ihr zugänglichen Wegen konsequent weiter. Regelmäßige Rundfunksendungen unter dem Motto „Platt redde isch gesund!“ und Pressebeiträge, sprachkundliche Werke wie z.B. Mundartwörterbücher und neben eigenen literarischen Texten auch Nachdichtungen in Lothringer Platt. ZITAT

Nach und nach erweitert sie ihre Tätigkeiten auch auf volkskundliche Arbeiten. Zum 2007 erschienenen Buch „Alltag – Sonntag – Feiertag / Sitten und Bräuche in Saar-Lor-Lux“ (Französische Ausgabe „Vie familiale, dimanches et jours de fêtes“) steuert sie Beiträge über Lothringen bei. Folgerichtig arbeitet sie auch im Vorstand des Vereins Confluence, der das Saargemünder Stadtarchiv unterstützt, und im Verein Les amis des musées et des arts de Sarreguemines.

Um überlieferte Märchen und Sagen den Landsleuten zugänglich zu machen, die mit der deutschen Sprache nicht mehr sicher genug vertraut sind, geht sie auch den umgekehrten Weg der Übersetzung ursprünglich schriftdeutscher Texte, auch ins Französische. Die von der Lothringerin Angelika Merkelbach-Pinck (1885-1972) gesammelten Lothringer Märchen und Sagen veröffentlicht sie 2004, 2006 und 2007 in den drei dreisprachigen Büchern „Lothringer erzählen“, 2007 ausgezeichnet mit dem Prix special du Jury Claude Seignolle im Rahmen der Büchermesse Les Imaginales in Epinal.

Marianne Haas-Heckel steht dafür ein, dass der einzige Weg zur Rettung des Lothringer Platts (in all seinen Variationen) nur darin bestehen kann, es zu sprechen und sich überhaupt ernsthaft und konsequent damit zu beschäftigen. Diesem Ziel dient auch die von der ehemaligen Vor- und Grundschullehrerin 2007 ins Leben gerufene „Saargeminner Schriebstubb“, in der Interessierte aller Altersklassen aus Lothringen und dem Krummen Elsass mit ihrer Hilfe in ihrem Platt literarisch arbeiten und ihre Texte in einer Zeitschrift veröffentlichen
Die enge Verbindung zur benachbarten saarländischen Mundartregion wird sichtbar in der Auszeichnung durch den Ehrenpreis 2020 des Mundartrings Saar.

Peter Eckert

Rösselsprünge längs der Nied

Nied PanoramafotoVon Fred Oberhauser

„De béschd mein Bach / De béschd mein Fluss / De béschd mein Meer…“ Acht Quellflüsse hat die Nied in Lothringen. Vier für die Deutsche, vier für die französische Nied. Östlich von Metz kommen beide zusammen. Vor Niedaltdorf quert der Fluss die französisch-deutsche Grenze. Zur Topographie des Pays de Nied vier autobiographische Fragmente:

Créhange (Kriechingen) 1634 – Johann Michael Moscherosch
Drei Jahre zuvor haben französische Truppen die Stadt überfallen und geplündert, auch das Haus des reichsgräflichen Amtmanns Johann Michael Moscherosch. Im Winter 1632 starb seine Frau Esther, nach ihr der Sohn Franz Friedrich. 1633 heiratete Moscherosch wieder, Maria Barbara Paniel, die „Phillis“ seiner Gedichte.
Im Oktober 1634 überfallen Kaiserliche die Stadt. Die Pest bricht aus. Auf der Flucht mit Mann und Sohn Ernst Ludwig stirbt Maria Barbara in La Petite Pierre (Lützelstein). Der Dichter „An seinen Sohn“:
So wein und seufze nun, daß es muß Gott erbarmen
Du unseliges Kind und ich betrübter Mann!
Ach wohl, wer folgen könnt in diesem Todesbann,
ich an meine Weibes Seit, du in deiner Mutter Armen.

(„Insomnis cura parentum. Christliches Vermächtnuß oder Schuldige Vorsorg Eines Trewen Vatters“. Straßburg 1634)

St-Avold 1969 – Heinrich Böll
Auf der Rückfahrt von Metz nach Köln, zwischen Metz und Saarbrücken auf der Landstraße, stutze ich plötzlich vor einem Ortsschild, das mir zunächst nur bekannt vorkam, dann, als ich hielt und nachdachte, eine ganze Kette vielschichtiger Erinnerungen auslöste. Ich konnte weder den Ort noch die Erinnerungen umgehen, ich mußte hinein und hindurch. Ich hatte das Städtchen schmutzig und von Menschen – hauptsächlich deutschen Soldaten – wimmelnd in Erinnerung: zweiundzwanzig Jahre später um die Mittagszeit erwies es sich als sehr sauber und fast menschenleer […]. Vor zweiundzwanzig Jahren kannte ich fast jedes Haus in der kleinen Stadt, weil ich überall nach Quartier für meine Frau fragte, die an den Wochenenden herunterkam. Jetzt erkannte ich kein Haus wieder, und die Erlebnisse, an die ich mich erinnerte, fanden keinen Ort und keinen Platz; die Erinnerung hatte sich selbständig gemacht, der Ort war belanglos, beliebig, austauschbar geworden.

(„Der Ort war zufällig“. Rundfunkbeitrag)

Adelange (Edelingen) 1940 – Ernst Jünger
Hier ist die deutsche Sprache nicht nur vorherrschend, sondern die einzige, die gesprochen wird […]. In den Häusern hat man das Gefühl, daß Holzwürmer und Fliegen das Inventar zu Mulm zermahlen, und draußen, daß alles unter Mist versinken wird. Braune Rinnsale, die hin und wieder schillernde Spiegel bilden, sickern die Dorfstraße hinab. Zahlreiche Häuser sind zerstört und ausgebrannt, und an den Wegen häuft sich verlassenes Kriegsmaterial. Dazwischen leben und weben die Menschen in einer dumpfen und, wie mir scheint, fast zeitlosen Stimmung; das Ganze könnte ebensogut ein Bild aus dem Dreißigjährigen Krieg sein.

(„Gärten und Straßen. Aus den Tagebüchern 1939 und 1940“. Berlin 1842)

KriegerdenkmalFilstroff 1988 – Jean-Louis Kieffer
Die Anciens Combattants vorm Kriegerdenkmal:

Un dann génn de Nämen ronnergelääst, Nämen von léi, wou mir
all kennen, deutsch-lotringer Nämen. Nämen von Leit wou eich
nii kannt han, awwer wou em Alwis, em Pitt, em Sepp, em
Néckel, em Klääs verscheinlich geglich han.

Déi vur em Bluomenstrauss, alt Kämpfern mét Tränen én de Auen
…un déi hénnerm Blumenstrauss, of em Stän, jong Leit én der
Naat verschwonn, fou dei Vaterland gefall. Wat fou Vaterland?

Kréich 14/18: ém Verdun bgefall, mém Spétzhelm om Kopp, fou
den Kaiser Wilhelm gefall. Fou dei Vaterland!
1940: of der Front én Belgien, fou Frankreich gefall. Fou
dei Vaterland!
1942: Stalingrad. Fou dei Vaterland!
1944: Struthof. Fou dei Vaterland!
Bomben fou dei Vaterland!
[…]
Lotringer Soldaten: fou neischt sénn der nét gefall:ä mol fou
Deitschland, ä mol fou Frankreich, awwer fou Lotringen émmer.
(„Wo de Nitt béllat. Gedichter un Gesichter of Muselfränkisch“. Bouzonville 1988)

Dieser Text von Fred Oberhauser wurde zuerst veröffentlicht in Literaturblatt für Baden-Württemberg, hrsg. v. Irene Ferchl. Mai/Juni 2015

Forbach – literarisch

Von Rainer Petto

Das Saarland und Lothringen spielen in der Geschichte der deutschen Literatur keine ganz unbedeutende Rolle. Es war die in Saarbrücken regierende Elisabeth von Lothringen, die mit ihren Übertragungen französischer Heldenepen als die Schöpferin des deutschen Prosaromans gilt. Der in Limbach (heute Kirkel) geborene Theobald Hock hat mit seiner Lyriksammlung „Schönes Blumenfeldt“ von 1601 in einer Zeit und Umgebung, in der Neulatein noch die dominante Sprache der Gelehrten und Dichter war, den ersten deutschsprachigen Gedichtband eines einzelnen Autors veröffentlicht. Und in Forbach, der lothringischen Nachbarstadt von Saarbrücken, wirkte gegen Ende des 16. Jahrhunderts ein Amtmann namens Johann Fischart, der als „der genialste Schriftsteller seiner Zeit“ (Deutsche Biographie), größter Satiriker der deutschen Literatur (Adolf Hauffen) oder auch als „deutscher Rabelais“ bezeichnet wird.

Genau genommen, hat Fischart wenig Originäres verfasst. Die meisten seiner Schriften sind Um- und Neugestaltungen fremder Werke. Und doch sind sie ganz eigenständig. Fischarts Bearbeitungen und Übersetzungen halten sich nicht eng an die Originaltexte, sondern strotzen vor sachlichen und vor allem sprachspielerischen Ergänzungen. Dabei hat er das Vorbild Rabelais, dessen „Gargantua“ er ins Deutsche überträgt, noch übertroffen. Er hat innerhalb der deutschen Literatur einen ganz eigenen, unverwechselbaren Stil geprägt und die literarische Leistungsfähigkeit der deutschen Sprache bewiesen. Mit seiner Methode, die Sprache selbst zum Gegenstand der Literatur zu machen, ist Fischart ein früher Vorläufer der Moderne, man hat von ihm aus eine Linie gezogen zu James Joyce, der Fischart aber wohl nicht kannte; ausdrücklich auf ihn bezogen haben sich Arno Schmidt und Günter Grass.
Und auch der saarländische Schriftsteller Ludwig Harig beruft sich auf Fischart. Harig, der sich selber als „spielbesessenen Luftkutscher“ beschreibt, sieht Fischart als frühen Vorläufer einer spielerischen Poesie. Fischart habe ihm mit seiner „Gargantua“-Übertragung „die Augen für witzige Worterfindungen und dialektische Ideenverknüpfungen“ geöffnet, und Harig hat sogar eine Passage dieses Romans weitergesponnen und in eine erfundene Sulzbacher Mundart übersetzt. Angeregt durch Fischarts Dichtung „Das Glückhafft Schiff von Zürich“ ist 1984 Harigs Erzählung „Deutschland ein Narrenschiff“ entstanden.

Fischarts deutsche Übersetzerin Ute Nyssen schreibt: „Dass es für ihn Eindeutigkeit des Wortes nicht gibt, wird evident vor allem in seinen Wortspielen. Mit einem mal geringen, kaum spürbaren, mal unbedenklich derben Eingriff in das Wortgefüge, den Lautstand, die Orthographie bricht er die Geschlossenheit eines Wortes auf und bringt den Reichtum seiner etymologischen, semasiologischen [die Wortbedeutung betreffenden], metaphorischen oder nur witzig-assoziativen Möglichkeiten an den Tag.“ Gern zitiertes Beispiel: Aus dem knappen „tous dancerent“ bei Rabelais macht Fischart: „da danzten, schupfften, hupfften, lupfften, sprungen, sungen, huncken, reyeten, schreieten, schwangen, rangen: plöchelten: füßklöpffeten: gumpeten: plumpeten: rammelten: hammelten, voltirten: Branlirten, gambadirten, Cinqpassirten: Capriollirten: gauckelten, redleten, bürtzleten, balleten, jauchzeten, gigageten, armglocketen, hendruderten, armlaufeten, warmschnaufeten (ich schnauff auch schier).“

Zu Lebzeiten ist Fischart ein angesehener Schriftsteller, dessen Bücher in der Regel mehrere Auflagen erreichen. Sein Frühwerk sind polemische anti-katholische Schriften. Erst danach lässt er seiner Lust am Sprachspiel freien Lauf. Er veröffentlicht u.a. einen „Eulenspiegel“ (1572), einen an einem Werk von Rabelais orientierten Jahreskalender mit dem Titel „Aller Practic Großmutter“ (1572) sowie eine Übersetzung des ersten Buches von Rabelais‘ berühmtem „Gargantua“ unter dem Titel „Geschichtsklitterung“ (1575; der vollständige Titel ist von ausschweifender barocker Länge, beginnend mit “Affentheuerlich Naupengheuerliche Geschichtsklitterung…“). Es ist Fischarts Hauptwerk. Die Textvorlage wurde durch Einschübe und Zusätze erheblich erweitert, so dass die Übertragung den dreifachen Umfang des Originals besitzt.
Einen seiner größten Bucherfolge erzielt er 1579 mit dem „Binenkorb des Heyl. Römischen Imenschwarms“, der Bearbeitung einer niederländischen konfessions-polemischen Schrift. Mit der Übersetzung (zuerst 1581) eines scharfmacherischen Handbuchs für die um sich greifenden Hexenprozesse, der „Démonomanie“ des berühmten Strafrechtlers Jean Bodin, macht Fischart sich einen Namen als Jurist. Sein letztes Werk ist der „Catalogus Catalogorum perpetuo durabilis“, der im März 1590 in Forbach abgeschlossen wird, „ein wahnwitziger Bücherkatalog, mit über vierhundert teils echten, teils grotesk entstellten, teils gänzlich erfundenen Titeln, eine Parodie auf den dürren Wildwuchs unnützer Bücherfluten“ (Wolfgang Hörner).

Fischart, 1546 oder 1547 als erstes von sechs Kindern eines Straßburger Gewürzhändlers geboren, trägt zwar den Beinamen Mentzer (Mainzer), dennoch scheint festzustehen, dass er aus Straßburg stammt, sein Vater oder sein Großvater kommt wahrscheinlich aus Mainz. Und selbst wenn Fischart nicht in Straßburg geboren sein sollte, so spricht aus seinen Schriften doch eine besondere Verbundenheit zu dieser Stadt. Gestorben ist er wohl 1590 in Forbach, die genauen Sterbedaten sind nicht zu ermitteln, weder in Forbach noch in Straßburg sind die entsprechenden Akten erhalten.

Als Stationen von Fischarts Biographie sind bekannt: Besuch der Lateinschule in Worms, Studium in Tübingen, ab 1566 Reisen nach Flandern und Paris, ab 1570 wieder in Straßburg. 1574 in Basel Promotion zum Doktor der Rechte. Ab 1581 Advokat beim Reichskammergericht in Speyer. Durch Ausbildung und Interesse ist Fischart ein überaus gebildeter Mann mit einem breiten Spektrum von Wissensgebieten.

Da die Stellung in Speyer ungesichert und schlecht bezahlt ist, sucht Fischart andernorts nach einer Festanstellung. 1583 hat er es geschafft, er wird Amtmann in Forbach, und zwar durch Vermittlung eines ihm bekannten Adligen (Egenolf III. von Rappoltstein, der verwandt ist mit der Familie von Hohenfels und seit 1570 Mitvormund des noch minderjährigen Johann VI. von Hohenfels-Reipoltskirchen, des Besitzers von Forbach). Für den Kandidaten Fischart spricht, dass er durch juristische Veröffentlichungen ausgewiesen, Protestant und des Französischen mächtig ist. Die feste Stelle in Forbach ermöglicht Fischart im November 1583 die Heirat mit der 22jährigen Anna Elisabeth, Tochter des bekannten elsässischen Chronisten Bernhard Herzog. Ein Sohn und eine Tochter werden in Forbach geboren. In seinen Schriften hat Fischart immer wieder die Korruptheit der Amtsleute angeprangert, er selber muss unbestechlich gewesen sein, denn er starb mittellos. Fischarts Tätigkeit in Forbach lässt sich nur bis September 1586 belegen, aber es gilt als höchstwahrscheinlich, dass er die Stelle bis zu seinem Tod behielt.

Aus Fischarts amtlicher Tätigkeit in Forbach ist nichts Substanzielles aus seiner Feder überliefert. Forbach gehört damals zum Herzogtum Lothringen, das Karl III. von Nancy aus regiert. Es ist in drei Verwaltungsbezirke (Baillages) eingeteilt, darunter das deutsche Bellistum, das in vier Amtsgerichte zerfällt: Mörchingen (Morhanges), Rechiecourt, Saarbrücken und Forbach. Der Amtmann ist Vorsitzender beim Hochgericht, Richter in Strafsachen und in Rechtsstreitigkeiten, wenn es sich um größere Summen handelt. Er übt auch die Funktionen des Forstrichters und des Polizeichefs aus. Alles wird mündlich verhandelt, es herrscht das Gewohnheitsrecht. Gerichtssprache ist Deutsch, aber die Berichte der Amtleute an die anderen lothringischen Balleien und an die obersten Behörden in Nancy müssen französisch abgefasst werden.
Seine Amtsstube befindet sich im Schloss, wo er die Zahlungen (Gerichtskosten, Geldstrafen, Gebühren etc.) sowie die Steuern und Abgaben an Feldfrüchten der Untertanen entgegennimmt. Er vertritt die Herrschaft gegenüber den Meiern und den Parteien.

Ein Aspekt von Fischarts Wirken in Forbach wird von Literaturwissenschaftlern gern übergangen oder nur schamhaft erwähnt: die Beteiligung an Hexenprozessen. Sie zu führen, gehört zu den Aufgaben eines Amtmanns. „Gerade die pflichtbewussten Verwaltungs-‚Fachleute‘ befleißigten sich in der Fürsorge für ihre Untertanen oft besonderer Sorgfalt bei der Verfolgung ‚satanischer‘ Machenschaften.“ (Wilhelm Kühlmann). Fischart hat sich mit der Übersetzung der „Dämonomanie“ ja als Fachmann profiliert, und für September 1785, also in Fischarts Amtszeit, sind in Forbach tatsächlich Hexenprozesse nachgewiesen. Gegen drei Frauen aus Forbach, Öttingen und Spicheren wurden Verfahren durchgeführt, die mit der Verbrennung der Angeklagten endeten. In den Akten wird Fischarts Name zwar nicht genannt. „Die Vermutung aber ist nicht abzuweisen, dass der Amtmann Fischart, als hiezu berufene Person, die angeführten Prozesse geleitet habe oder doch in irgendeiner Weise daran beteiligt war“, meint der Fischart-Forscher Adolf Hauffen.
Als Schriftsteller hat Fischart sich in seinen ersten Jahren in Forbach sehr zurückgehalten. 1588 wird er dann wieder aktiv, der Fall der katholischen spanischen Weltmacht lässt seine publizistische Aktivität wieder aufflackern. Als eigenständige Veröffentlichung bringt er den „Catalogus Catalogorum“ (s.o.) heraus. Und er arbeitet an der dritten Auflage seiner „Geschichtsklitterung“, in die er aktuelle Erfahrungen einbringt, etwa indem er die schlechte Qualität des Lothringer Papiers beklagt. Insgesamt aber ist er nicht mehr so produktiv wie in den 70er Jahren. Er stirbt im Winter 1589/90 „in der Blüte seiner Jahre“.

verschwundene Erinnerungstafel an Fischart im Forbacher Schlosspark

In Forbach erinnert nur wenig an den bedeutenden Dichter. Gewiss, das Schloss, in dem er amtierte, ist als Ruine erhalten, aber die Gedenkplatte in dem Säulenhalbrund im Schlosspark ist abhandengekommen. Immerhin, ein Platz ist nach Fischart benannt: der große Parkplatz an der Stelle, an der früher die Lackkarton-Fabrik der Gebr. Adt stand, zur Erläuterung des Namens heißt es auf dem Schild lakonisch: „humaniste“.

Forbach und die Literatur – das beschränkt sich nicht nur auf den großen Fischart. Anfang des 20. Jahrhunderts macht die Stadt als Mittelpunkt eines literarischen Skandals Furore. Es ist die Reichsland-Zeit, Forbach ist eine deutsche Garnison. 1903 erscheint ein Roman mit dem Titel: „Aus einer kleinen Garnison“, der – so der Untertitel – „ein militärisches Zeitbild“ entwirft. Das Buch wirft ein denkbar schlechtes Licht auf die Zustände beim Militär einer ungenannten Stadt. Misshandlung von Untergebenen, Schuldenmacherei, Alkoholismus, Schlendrian, Intrige, Klatsch, Ehebruch und Standesdünkel sind in dem „elenden Nest“ an der Tagesordnung, dabei werden Existenzen ruiniert und Leben zerstört.
Bei aller Schärfe der Kritik enthält der Roman durchaus konstruktive Züge. Die Zustände in der Garnison werden nicht fürs ganze preußische Militär verallgemeinert, sondern auf ein ganz spezifisches hier herrschendes Klima zurückgeführt, das typisch sein soll für kleine Garnisonen in Grenzlage, in denen sich militärische Randexistenzen versammeln. Im Gespräch von Offizieren werden Vorschläge gemacht, wie dem abzuhelfen wäre.

Aufnahme der Reighen Häuser

Teil der ehem. Train-Kaserne im Forbacher Guise-Viertel

Der Roman ist so unvollkommen verschlüsselt, dass einige der Dargestellten sich wiedererkennen, sich in ihrer Ehre verletzt fühlen und Klage gegen den Verfasser einreichen. Erst durch den Prozess wird das Buch, das ansonsten mit Sicherheit untergegangen wäre, zum Skandal, die Auflage wächst schon im ersten Jahr nach Erscheinen auf über hunderttausend, der kleine Roman erlebt mehr als dreißig Auflagen. Und natürlich wird dabei öffentlich bekannt, dass mit der namenlosen Garnisonsstadt Forbach gemeint ist (und mit der nahegelegenen großen Stadt also Saarbrücken), und dass sich hinter dem Pseudonym Fritz von der Kyrburg ein gewisser Leutnant Fritz Oswald Bilse (1878-1951) aus Kirn verbirgt, der seit 1902 in Forbach stationiert ist. Bei dem Prozess, der im November 1903 in Metz stattfindet, wird Bilse wegen Beleidigung zu sechs Monaten Haft verurteilt und unehrenhaft aus der Armee entlassen. Danach startet er eine Karriere als Schriftsteller, ein weiterer Bestseller gelingt ihm allerdings nicht.

Aufnahme des Konservatorium

Im Forbacher Guiseviertel – einst Kasernengebäude, heute Konservatorium und Station des Circuit touristique

Im Forbacher Guise-Viertel stehen noch einige Gebäude der ehemaligen deutschen Garnison. In einer Reihe einfacher Häuser sind heute u.a. der Verband der Unteroffiziere, die Freunde der Fremdenlegion und die Anciens Combattants untergebracht. Andere Gebäude sind teilweise in schlechtem Zustand, einige hervorragend restauriert und einer neuen Nutzung zugeführt, etwa als Schule oder als Konservatorium. Am Eingang zum Gelände des Konservatoriums weist eine Tafel das Gebäude als Teil des Circuit touristique aus und erinnert daran, dass ein gewisser Leutnant Bilse seinerzeit den Namen Forbachs und seiner Train-Kaserne (Train = militärisches Transportwesen) international bekannt gemacht habe.

Roger Bichelberger, 1938 in Alsting geboren, ist der renommierteste zeitgenössische Autor aus Lothringen, unter anderem wurde er mit dem saarländischen Peter-Wust-Peis ausgezeichnet. In seinem Roman „Der Mai, der schöne Mai“ (französische Ausgabe 2001, Übersetzung von Irmengard Peller-Séguy 2004 im Gollenstein Verlag) ist der Ich-Erzähler Philippe wie der Autor Lehrer am Forbacher Collège Jean-Moulin in der rue Maurice Barrès. Bichelberger, der sich selber als scheibender Christ bezeichnet, verklammert hier eine Familientragödie mit französischer Zeitgeschichte, nicht nur des revolutionären Mai 1968, sondern auch der Zeit der beiden Weltkriege. Philipp, ein unpolitischer Bücherwurm, bekommt die Mai-Revolte in Paris nur ganz indirekt mit – bis die Ausläufer auch Forbach erreichen.

Aufnahme der Ruine

Fischarts Arbeitsplatz, das Forbacher Schloss

Die neue Kollegin Louise, in die er sich verliebt, zieht ihn in die aktuellen Ereignisse und in die tragische Vergangenheit hinein. Sie wohnt auf dem Schlossberg, der durch sie zum geheimnisvollen, verbotenen Ort wird: „Komme niemals zu mir herauf, niemals, hörst du mich?“ Aber durch Louise erfahren wir auch ganz Reales über den Forbacher Schlossberg: „Zerstört 1634 durch die Soldaten des Marquis de la Force, auf Befehl von Richelieu. Das Schloss, eingerollt wie eine Schnecke auf der Höhe des Castelmont, bietet trotz der Restauration durch Gustav Jakob Adt für den Besucher nur noch Reste des viereckigen Bergfrieds, auf einer Seite ein Tor mit Rundbogen aus der ursprünglichen Burg, die Bastion von 1541, die Höfe…und der berühmte achteckige Turm, auf dem seit dem Amtsantritt von General de Gaulle (sagen die Deutschen, unsere Nachbarn) die Trikolore weht. Der Turm heißt Saareck.“
Über Fischart aber kein Wort.

Auch ein Saarländer hat Forbach in die Literatur eingebracht. Für den Vater von Ludwig Harig ist der Name von Forbach ein „Zauberwort“, eine „Beschwörungsformel“, die er „auf gedankenverlorene Weise“ ausspricht. Forbach ist für ihn „ein Ort des fernen Geheimnisses, ein Winkel der zärtlichen Erinnerung“.
Als der Schriftsteller sich für seinen Roman „Ordnung ist das ganze Leben“ (1986) auf die Spuren seines Vaters im Ersten Weltkrieg begibt, stößt er in Forbach auf eine Kaserne, aber es sind nicht die gleichen Gebäude, die bei Bilse eine Rolle spielen. Harig hat seinem Vater Bilses Roman zu lesen gegeben. „Oje“, sagt der Vater, „das war bei der Kavallerie, bei Infanterie hätte es so etwas nicht gegeben.“

Er war bei der Infanterie, ist als 19jähriger Rekrut im November 1915 nach Forbach gekommen, und die siebenmonatige Ausbildung dort war streng und hart. Der Sohn kann die Faszination des Vaters von diesem Ort nur schwer verstehen: „Ach Vater, waren das deine Glückseligkeiten, diese Wonnen der Härte, diese Räusche des Drills, diese Lüste des Geschundenseins?“

Blick auf Kaserne von Straße

In dieser ehem. Kaserne in Forbach, Ecke rue des Gardes-rue Bataille war Harigs Vater untergebracht

Ludwig Harig beschreibt, wie er und sein Bruder sich nur durch ein Loch im Maschendrahtzaun Zugang zu dem abgeriegelten Kasernengelände verschaffen können. Das Staunen über den Vater bleibt: „Die Kaserne in Forbach ist sein Lebensraum geblieben, sein wirklicher Umkreis, sein beseeltes Heim.“
Im Jahr 2017 steht von den ehemals zwanzig Gebäuden nur noch ein einziger stattlicher Bau, aus der Infanteriekaserne ist eine Mietskaserne geworden. Sie liegt an der Kreuzung von rue des Gardes und rue Bataille, der Zugang ist frei, man muss nicht mehr durch ein Zaunloch kriechen. Eine Tafel klärt darüber auf, dass die „Schönblick-Kaserne“ 1911, als zweite Forbacher Kaserne neben der Train- Kaserne von 1893, auf den weiten Flächen der Bellevue errichtet wurde. Nach 1918 erhielt sie den Namen „Caserne Bataille“ in Gedenken an General Henri Jules Bataille, der sich in der Schlacht bei Spicheren am 6. August 1870 besonders hervorgetan hatte. Das Gebäude ist heute, wie die Train-Kaserne im Guise-Viertel, Teil des Forbacher Circuit touristique.

Und man hat von hier aus tatsächlich eine belle vue, einen schönen Blick, nämlich auf den gegenüberliegenden Hügel mit dem Schloss, in dem Fischart seines Amtes gewaltet hat.

Literaten an der französischen Saar

Texte von Stefan Woltersdorff

Die Saar (frz. Sarre) ist ein deutsch-französischer Fluss von insgesamt 235 Kilometern Länge: Über die Hälfte davon (121 km) liegt auf französischem Gebiet, auf weiteren 11 Kilometern bildet er die Grenze zwischen beiden Ländern. Wir wollen auf den folgenden Seiten dem Lauf der jungen (oberen) Saar folgen: von der Grenzstadt Saargemünd flussaufwärts durch lothringisches und elsässisches Gebiet bis in die Vogesen zu ihrer doppelten Quelle, der Roten bzw. Weißen Saar. Doch nicht der Fluss selbst soll dabei im Mittelpunkt stehen, sondern Schriftsteller und Schriftstellerinnen, die sich an seinen Ufern aufgehalten haben und sich von ihm zu literarischen Produktionen anregen ließen: auf Deutsch, Französisch oder im Dialekt.

Metz – literarisch

von Rainer Petto

Paroramafoto des Eingangs

Kathedrale

Es gibt viele Gründe für einen Kulturausflug nach Metz. Um nur ein paar Stichworte zu nennen: die Kathedrale mit den Chagall-Fenstern, das Centre Pompidou-Metz als Schwesterinstitution des weltberühmten Centre Pompidou in Paris, das FRAC mit der zeitgenössischen regionalen Kunst im ältesten Gebäude der Stadt, die archäologische Sammlung im Musée de la Cour d’Or, der schöne Konzertsaal im Arsenal, die Tempelritterkapelle, das älteste heute noch bespielte Theater Frankreichs, das geschichtlich und architektonisch interessante Bahnhofsgebäude, die ursprünglich als Bischofssitz geplanten Markthallen…

Aber die Stadt ist auch voll von literarischen Bezügen. Viele davon sind ganz real, an Ort und Stelle identifizierbar, man kann sie sehen, besichtigen. Teils haben sie mit dem Leben eines Schriftstellers zu tun, teils mit seinen Werken; manche sind von der Nachwelt eingerichtete Orte der Erinnerung. Andere kann man nur atmosphärisch wahrnehmen – wenn man um sie weiß und seine Phantasie spielen lässt.

Beginnen wir mit dem Konkreten.
In Höhe des Einkaufszentrums St. Jacques, auf der Kreuzung von rue d’Enfer und rue de la Jurue, steht bzw. stand das Gebäude, in dem nach örtlicher Überlieferung François Rabelais gewohnt hat. Der französische Dichter (1494 oder 1483 oder 1490 bis 1553) ist Verfasser des berühmten fünfbändigen Romanzyklus um die Riesen Gargantua und Pantagruel, einer witzigen Zeitsatire im Geiste der Renaissance. Egon Friedell schreibt in seiner „Kulturgeschichte der Neuzeit“ über Rabelais: „Nie ist in jener extrem spottlustigen, kirchenfeindlichen und antischolastischen Zeit Kirche und Scholastik auch nur annähernd so großzügig verspottet worden wie von ihm.“

Nach Erscheinen des Dritten Buches – es ist nach Ansicht der Theologen „vollgestopft mit verschiedensten Häresien“ – muss er das Königreich Frankreich verlassen und findet Asyl in der freien Reichsstadt Metz. Während seines Aufenthaltes von April 1546 bis Ende Juni 1547 arbeitet er als Stadtarzt. Aber Metz beeinflusst auch sein Schreiben: Dem Gourmet Rabelais soll die regionale Küche Inspiration zum Vierten Buch des „Pantagruel“ gegeben haben, in dem er die Figur des Graoully benutzt und Ausdrücke des lokalen Dialekts verwendet. Der Drache Graoully hat der Legende nach in den Ruinen des römischen Amphitheaters von Metz gehaust. Im Wappen des FC Metz hat sich sein Bild erhalten.

Pizza mit Rabelais

Außenansicht an der KreuzungDas so genannte Rabelais-Haus ist nicht zu verwechseln mit der Chapelle Saint-Genest mit ihrem rechteckigen Turm, an den es angebaut wurde und der noch steht. Rabelais wohnt im Nachbarhaus aus dem 12. Jahrhundert, von dem nur die in die Mauern eingebauten Tore übriggeblieben sind. Eine Info-Tafel zur „Maison de Rabelais“ am Straßenrand macht dies nicht ausreichend deutlich; und die Angabe, Rabelais habe seit 1542 hier gelebt, ist falsch, selbst auf der Homepage des städtischen Tourismusbüros ist nur von einem zweijährigen Aufenthalt seit 1545 die Rede. Im ummauerten Hof hat ein benachbartes italienisches Restaurant im Sommer seine Tische aufgestellt – zum Pizzaessen auf von Rabelais berührtem Boden.

Joseph Roth hat das Haus auf seiner Reise ins Saargebiet 1927 noch gesehen, ein Abbé hat es ihm gezeigt. Es gab da eine finstere morsche Treppe mit hohen Stufen. „Ich möchte wissen“, sagte der Abbé zu Roth, „wie oft der Rabelais herunterfiel, wenn er betrunken nach Hause kam.“

Auch als Günter Metken Metz für sein erstmals 1964 erschienenes Buch „Liebe zu Lothringen“ besucht, steht das Rabelais-Haus noch: „Es vermengt klassische Bauteile mit gotischen. Früher gab es einen Wärter, der das Gebäude besichtigen ließ. Nun ist er gestorben, und kein Besucher betritt mehr jenen schönen Saal im ersten Stock, wo der Arzt und Dichter Gleichgesinnte um sich versammelte und ihnen aus dem entstehenden ‚Quatre Livre‘ seines Pantagruel vorlas. Das Haus hat Viereckturm und Fensterstützen. Es ist an eine Kirchenruine angebaut.“ Schon bald nach Metkens Besuch wird das Haus abgerissen, der Turm steht noch.

Rabelais ist auch sonst noch in der Stadt gegenwärtig. Im Quartier du Sablon trägt eine Schule seinen Namen. Und unter der Marke „Table de Rabelais – L’art de vivre à Metz“ haben sich Gastronomen zusammengetan, die die regionale Küche pflegen – ist doch der enorme Appetit Gargantuas heute noch sprichwörtlich.

Edles und unglückliches Metz

Geburtshaus Verlaine

In Metz geboren ist der symbolistische Dichter Paul Verlaine (1844-1896). In seinen “Confessions” von 1895 hat er sehr positive Erinnerungen an seine Kindheit in der Stadt niedergeschrieben. Der Vater ist Offizier, sie wohnen gegenüber einer Militärschule für künftige Pionier- und Artillerie-Offiziere, er sieht sie jeden Morgen durch die Straße reiten, und sein Herz galoppiert hinter ihnen her. Die Armee ist in der Familie ständiger Gesprächsstoff, und der Junge ist stolz auf die schöne Uniform und die Gardemaße seines Vaters. Metz ist für ihn auch mit der Erinnerung an die Kinderliebe des 7jährigen zu einem ein Jahr älteren Mädchen verbunden. Aber wenn Verlaine schreibt, er könne nicht ohne Emotionen von Metz reden, dann meint er es politisch, denkt an die „edle und unglückliche Stadt“, die in die Hände des deutschen Erzfeindes gefallen ist. So heißt es in seiner „Ode an Metz“: „O Metz, mon berceau fatidique, / Metz, violée et plus pudique / Et plus pucelle que jamais!…“ (ungefähr: O Metz, meine schichsalschwere Wiege, Metz, vergewaltigt und immer noch keusch und jungfräulicher denn je).

Verlain-Büste auf einem Sockel

Verlain Büste am Moselufer

Das Geburtstaus von Verlaine steht in der Nähe des Palais de Justice, rue Haute-Pierre Nr. 2, mit Plakette neben dem schönen Portal. In der Ėglise Notre Dame wurde er getauft; entsprechende Dokumente hängen in einem Rahmen innen an der linken Wand hinter dem Eingang. Vor der Kirche ist eine Info-Tafel aufgestellt.

Auf dem Boulevard Poincaré am Moselufer steht eine Verlaine-Büste auf einem Sockel. Der Metzer Hermann Wendel berichtet in seinen Jugenderinnerungen vom Streit um eine Verlaine-Gedenktafel, deren Anbringung zur Zeit des Reichslands Elsass-Lothringen von den Stadtvätern wegen Verlaines Spottversen auf Wilhelm II. verhindert wurde.

Kriegsschauplatz Hauptbahnhof

seitlicher Blick auf den Eingang

Bahnhof von Metz. Foto: Martin Oberhauser

Eine Fußgängerunterführung im Metzer Bahnhof trägt den Namen „Passage Adrienne Thomas“. Denn der Bahnhof ist Schauplatz des Beststellers „Die Katrin wird Soldat“ von Adrienne Thomas (1897-1980) aus dem Jahr 1930 ist der Metzer Hauptbahnhof. Das Gebäude ist zum Zeitpunkt der Handlung, also im Ersten Weltkrieg, noch nicht alt, unter deutscher Ägide 1905 bis 1908 erbaut im wilhelminischen Stil vom Berliner Architekten Jürgen Kröger.

(Als der Saarländische Rundfunk 1989 aus dem Buch von Adrienne Thomas eine Fernsehserie macht, dreht er allerdings nicht am Metzer Hauptbahnhof, sondern am Bahnhof von Vittel.) Das Buch „Die Katrin wird Soldat“ ist ein Tagebuch-Roman, fußend auf den Erlebnissen der Verfasserin, die als Hertha Strauch in St. Avold geboren wurde und 1904 mit ihrer Familie nach Metz gezogen ist – zunächst in die Königsstraße (rue Royale), 1908 zieht die Familie um in das angesagte Viertel um den Bahnhof, die so genannte Neustadt, Karolingerstr. 11 (heute Ecke rue Charlemagne/rue Gambetta).

schwarz weiß Foto. Eine Frau löffelt Wasser in eine Feldflasche

Katrin (Claudia Brunnert) in der Rot-Kreuz-Küche am Bahnhof Metz. Foto: Michael Strauss

Mit 17 hat Katrin, die Romanheldin, sich, wie die Verfasserin, zum Rotkreuz-Dienst am Bahnhof gemeldet und dort hautnah erlebt, was Krieg bedeutet: mit Hurra an die Front fahrende junge Männer auf dem einen Gleis, die auf dem anderen als Verwundete und Verstümmelte nach Hause zurückkehren. Katrin wie Herta Strauch alias Adrienne Thomas sind Mädchen ohne nationale Ressentiments, ihr Engagement ist rein humanistisch, sie sind gegen den Krieg. Sie gehören zur ersten Generation der in Lothringen Geborenen, deren Eltern aus dem Deutschen Reich hierher gezogen sind, sie sprechen Französisch so gut wie Deutsch, und sie haben ein starkes Gefühl für Metz als ihre Heimatstadt entwickelt.

Ob es den Spielwarenladen in der rue Serpenoise wirklich gegeben hat? Im Roman „Der Zauberer Muzot“ von Ernst Moritz Mungenast (1898-1964) ist die Adresse jedenfalls genau angegeben: Die Ecke Römerstraße/Tuchstraße, wie die Straßen damals hießen, entspricht der heutigen Ecke rue Serpenoise /Lancieu. Wenn man in der Serpenoise steht, muss es das rechte Eckhaus gewesen sein, das heute durch einen Neubau mit Ladenlokal im Erdgeschoss ersetzt ist. Mungenast ist, wie Adrienne Thomas, so genannter Reichslanddeutscher, geboren nach dem Deutsch-Französischen Krieg 1870/71, als Metz zum Deutschen Reich gehört. Der 900-Seiten-Roman „Der Zauberer Muzot“ ist, neben der Handlung um den Spielwarenhändler Andreas Muzot (den „Zauberer“) und seine Familie, ein wahres Kompendium der lothringischen Geschichte. Für Mungenast, der nach dem Ersten Weltkrieg das Land seiner Geburt verlassen musste, ist Lothringen das verlorene Paradies seiner Kindheit, dem er mit dem 1939 erschienenen Buch ein literarisches Denkmal setzt, allerdings unter pro-deutschen Vorzeichen. 1986 ist eine französische Übersetzung in der Metzer Ėdition Serpenoise erschienen.

Innenaufnahme des Fensters

Jean Cocteau, St.Maximin

Noch ein Literaten-Tipp: Der Entwurf für die Fenster der Kirche Saint Maximin im Viertel Outre-Seille stammt von Jean Cocteau (1889-1963), der nicht nur Schriftsteller und Regisseur, sondern auch Maler war. Es ist ein ursprünglich romanischer Bau, die Glasfenster stammen aus den 1960er Jahren. Die Adresse, etwas abseits vom Zentrum: 61 rue Mazelle.

„Hier ist nichts möglich“

Und hier ein paar weitere Hinweise auf Schriftsteller und ihre tatsächlichen oder erfundenen Erlebnisse in Metz. Sie sind nicht unbedingt an Adressen festzumachen, an sie wird nicht mit einer Gedenktafel oder einem Denkmal erinnert, aber wer von ihnen weiß, kann sie mitdenken, kann sich in eine andere Zeit versetzen, wenn er durch die Straßen dieser geschichtsträchtigen Stadt geht.

Germaine de Staël (1766-1817), von Napoleon aus Frankreich ausgewiesen, ist auf der Reise nach Deutschland. Vom 26. Oktober bis zum 8. November 1803 logiert sie mit ihrem treuen Freund Benjamin Constant in Metz an der Place de Chambre. Hier lässt sie sich von Charles de Villers aus dem lothringischen Boulay beraten, der ein Kenner sowohl der französischen wie der deutschen Kultur ist. Sie schreibt über ihn: „Man findet Herrn Villers immer an der Spitze edler und großherziger Ideen, und er scheint durch die Anmut seines Geistes und die Tiefe seiner Studien berufen, Frankreich in Deutschland und Deutschland in Frankreich zu repräsentieren.“ Er führt sie bei den Gelehrten und Philosophen ein, die sie kennenlernen will. Bei diesem Metzer Aufenthalt wird die Basis geschaffen für de Staëls berühmtes Werk „De l’Allemagne“ (1813), das erste und in der Folge äußerst einflussreiche Buch, das den Franzosen die deutsche Kultur vermittelte.

Während Honoré de Balzac (1799-1850) an der „Cousine Bette“ schreibt, einem Stück seiner „Menschlichen Komödie“ in Romanform, in dem zahlreiche Personen lothringische Züge tragen, beschließt er, seine Geliebte, die polnische Gräfin Ewelina Hańska, zu heiraten. In Metz, in der Provinz, wo er sich 1846 längere Zeit aufhält und wo der Präfekt und der königliche Statthalter ihm geneigt sind, hofft er, die Trauung diskret vollziehen zu können. Am 17. September berichtet Balzac der Geliebten: „Die Provinz ist genau so, wie ich sie beschrieben habe: Nichts ist hier möglich.“ Trotzdem ist er da noch voller Hoffnung. Doch sein Plan scheitert am russischen Pass der Gräfin.

Der Schöpfer des „Grafen von Monte Christo“ und der „Drei Musketiere“, Alexandre Dumas (1802-1870), heiratet 1840 die Schauspielerin Ida Ferrier (bürgerlich Marguerite-Joséphine Ferrand), deren Eltern in Metz an der Place de Chambre Nr. 39 ein Kurierunternehmen für die Strecke nach Mainz betreiben.

Alexis de Tocqueville (1805-1859), Politiker und Publizist („Über die Demokratie in Amerika“), Sohn des Präfekten der Moselle, ist Schüler des königlichen Kollegs in Metz und eifriger Nutzer der reichhaltigen Bibliothek der Präfektur. In Metz entdeckt er mit einer gewissen Rosalie Malye aus Bitche die romantische Liebe. Darüber hinaus: „Seine entscheidenden Entwicklungsjahre verbrachte er in Metz, wo die Begegnung mit [den Werken von] Descartes ihn mehr als irgendeine andere geistige Berührung formte.“ (Carl J. Burckhardt)

Vergebliche Billets-doux

D(avid) H(erbert) Lawrence (1885-1930), Verfasser der skandalösen „Lady Chatterley“ (1928) kommt 1912 für kurze Zeit nach Metz, weil er der Baronin Frieda von Richthofen, verheiratete Weekly, nachreist, in die er sich kurz zuvor verliebt hat. Sie ist die Frau seines Professors in Nottingham, sie stammt aus Metz, ihr Vater ist nach dem Deutsch-Französischen Krieg von 1870/71 als Beamter der Zivilverwaltung in die nun deutsche Stadt übergesiedelt (Adresse: route d’Augny 205). Als Friedas Gatte am 4. Mai 1912 das fünfzigjährige Jubiläum seines Eintritts in die Armee feiert, ist das für sie ein Vorwand, ihn und die drei Kinder zu verlassen und sich mit Lawrence in Metz zu treffen. Er quartiert sich im Hotel „Deutscher Hof“ ein, in dem auch Frieda absteigt. Aber sie sind zur Heimlichtuerei gezwungen, er kann sie nur hin und wieder für ein paar Minuten sehen. So hat er sich die romantische Entführung der Geliebten nicht vorgestellt. Er schreibt ihr immer dringlichere billets-doux. Dann wird er auch noch unter dem Verdacht, ein englischer Spion zu sein, verhaftet, und als er wieder freigelassen wird, muss er Metz sofort verlassen. Das Paar trifft sich in Trier wieder, sie heiraten 1914 und bleiben bis zu seinem Tod zusammen. Literarische Frucht des kurzen Metz-Besuchs ist die Erzählung „The Prussian Officer“, die Lawrence 1913 schreibt.

Der rechtsnationale Schriftsteller („La Colline inspirée“) und antideutsche, antisemitische und antiparlamentarische Politiker Maurice Barrès (1862-1923) aus Charmes im Vogesen-Département hat nach seinen eigenen Worten ein einziges politisches Ziel: die Wiedergewinnung von Metz und Straßburg. In seinen Romanen geht es oft um den Ausbruch in die große, dekadente Welt, der mit der reumütigen Heimkehr nach Lothringen endet. Von einer seiner Frauenfiguren weiß man genau, durch wen sie inspiriert ist: durch eine junge Metzerin aus der dritten Etage von Haus Nr. 3 en Chaplerue, die Barrès 1907 dort gesehen hat. „Colette Baudoche. Histoire d’une jeune fille de Metz“ (1908) ist die Geschichte des preußischen Studienrats Asmus, der nach Metz versetzt wird und dort eine gewisse Aufgeschlossenheit gegenüber Land und Leuten entwickelt, besonders gegenüber der Tochter seiner Zimmerwirtin, Colette Baudoche – die als stolze Lothringerin seinen Heiratsantrag ablehnt. Eine zentrale Szene spielt in der Kathedrale von Metz, es ist die Feier zum Gedenken der 1870/71 Gefallenen. – Im November 1918 ist Barrès dabei, als Pétain in Metz einzieht, und verherrlicht das Ereignis in „La Minute sacrée“.

Bernard-Marie Koltès (1948-1989), auch am Saarländischen Staatstheater gespielter französischer Dramatiker („Kampf des Negers und der Hunde“), kommt in Metz als Sohn eines Offiziers zur Welt. Er wohnt in der rue d’Hannoncelles, dann in der rue du Génie, er besucht das Metzer Collège Saint-Clément, erhält seine Regieausbildung am Théâtre National de Strasbourg, beginnt in den 1970er Jahren, für das Theater zu schreiben. In „Retour au désert“ (1988) spielt er an auf seine Jugend in Metz zur Zeit des Algerienkrieges, indem er Personen die Namen von Metzer Stadtvierteln oder Straßen gibt (Madame Queuleu, Polizeipräfekt Plantières, Advokat Borny, Départementpräfekt Sablon und Mathilde und Adrien Serpenoise.

Auch viele deutsche Autoren haben über Metz geschrieben. An zwei von ihnen sei hier erinnert.

Französisches Café – deutsches Café

Als Theodor Fontane 1870 an die Schauplätze des Deutsch-Französischen Krieges reist, um für ein Buch zu recherchieren, wird er in Domrémy als Spion verhaftet und zwei Monate lang von den Franzosen festgehalten. Im folgenden Jahr, nach dem Fall von Paris, in der Zeit des Vorfriedens, unternimmt er einen zweiten Anlauf und kommt dabei auch nach Metz. Seine Beschreibungen der Stadt sind leicht baedekerhaft, und lange hält er sich bei der Belagerung von Metz im Jahr 1552 auf. Doch dann kommt er auf die Cafés zu sprechen, und der Unterschied zwischen dem „französisch“ gebliebenen Café de la Cathédrale und dem „deutsch“ gewordenen Café Heaume ist für ihn ein Beispiel dafür, wie „alles hier einen Gegensatz ausdrückt“. Fontane, alles andere als ein Nationalist, bejaht diesen Doppelcharakter der Stadt. Wie gut es ihm in Metz gefallen hat, merkt er selber und merkt der Leser erst so richtig, als er anschließend für nicht ganz einen Tag („zu lange“) in der Doppelstadt St. Johann-Saarbrücken Station macht, die für ihn „etwas Ödes und Tristes“ hat: „Es mochte ihr freilich zu Ungunsten gereichen, dass ich von Metz kam, das vor hundert anderen Städten etwas ausgesprochen Königliches hat.“

1925 veröffentlicht die saarländische Autorin Liesbet Dill (1877-1962) den Roman „Der Grenzpfahl“, der hauptsächlich in Metz spielt. Es geht um das Schicksal jener Reichsdeutschen, die nach dem von Deutschland gewonnenen Krieg von 1870/71 ins Reichsland Elsass-Lothringen gekommen sind und die nach der Niederlage 1918 nicht mehr wissen, wohin sie gehören. Im Zentrum steht eine junge Frau, Isy Mathieu, die als Tochter eines deutschen Offiziers in Metz geboren und aufgewachsen ist und dort einen Lothringer geheiratet hat. Nach dessen Tod als deutscher Soldat im Ersten Weltkrieg kommt sie bei Verwandten in Deutschland unter. Weil sie es müde ist, auf deren Almosen angewiesen zu sein, und weil ihr minderjähriger Sohn Erbe der väterlichen Fabrik in Metz geworden ist, lässt sie sich „naturalisieren“, d.h. sie nimmt die französische Staatsbürgerschaft an, und kehrt nach Metz zurück. Nun ist sie zwischen alle Stühle geraten: Für ihre deutsche Verwandtschaft ist sie eine Vaterlandsverräterin, für die lothringische Verwandtschaft bleibt sie eine „Boche“. Als sie es dann wieder mit Deutschland versucht, ist nicht ganz eindeutig, ob das aus Patriotismus geschieht oder wegen des Scheiterns ihrer Liebesbeziehung zum Schwager in Metz.

Diskutiert wird in dem Roman immer wieder die Frage, wohin ein Mensch gehört, der das Pech hat, Bewohner eines umkämpften Grenzlandes zu sein: in das Land, in dem er aufgewachsen ist, auch wenn es die Staatszugehörigkeit wechselt, oder in das Land, dessen Nationalität er besitzt. Die pro-deutschen Sympathien der Autorin scheinen eindeutig, samt nationalistischen Zungenschlägen; andererseits gibt Liesbet Dill aber auch dem Gedanken einer politischen Eigenständigkeit Lothringens Raum und plädiert für eine friedliche Auseinandersetzung der Völker. Und vor allem: Ihre Protagonistin entschließt sich am Ende, nach heftigen inneren Kämpfen, dann doch für ein Leben mit ihrem Sohn in Lothringen.